Marcel Harnisch aus Brig erwähnt nicht einfach eine Jahreszahl, sondern immer dazu das genaue Datum. Harnisch hat Jahrgang 1913, aber sein Gedächtnis funktioniert so zuverlässig und präzise wie die Eisenbahnen, die sein Leben bestimmt haben. Es ist kaum zu glauben, dass Harnisch bald 92-jährig wird. Für Zweifler klaubt er seine Identitätskarte hervor: «9.7.1913» heisst es da beim Geburtsdatum.
Er ist einer der Bahnveteranen der Schweiz. Am 1. Mai 1930 trat er seine Lehrstelle bei der damaligen Visp-Zermatt-Bahn an; am 25. Juni 1930 fuhr der Glacier Express das erste Mal von Zermatt nach St. Moritz. Zu den ersten Fahrgästen zählten Staats-, Bundes- und Verwaltungsräte, nicht aber Harnisch, der 17-jährige Lehrling. Dafür erinnert er sich, als ob es gestern gewesen wäre: «Wir bekamen im Monat Juni 1930 den doppelten Lohn: ich also 120 statt 60 Franken!»
Der Weg zur Bahn war für Harnisch vorgezeichnet: Sein Vater war Lokomotivführer, verschiedene Onkel arbeiteten bei der Bahn. Harnisch brachte es auf 48 Dienstjahre und zur verantwortungsvollen Funktion des Betriebsinspektors. Er weiss abenteuerliche Geschichten über Lawinenniedergänge, Zusammenstösse, Räumungen, Sondereinsätze und Prominente zu berichten. Dem General Henri Guisan schüttelte er die Hand, und die spätere Königin Beatrix der Niederlande rettete er, als diese im Kindesalter unter das Trittbrett gerutscht war.
In seiner Aktivzeit erhielt Harnisch Freikarten für den Glacier Express, hatte aber nie die Musse, diese einzulösen. Erst nach seiner Pension nahm er mit zwei Kollegen, ehemaligen Lokführern, den Zug nach St. Moritz. Doch an der Furka blieb die Lok stehen; das beherzte Eingreifen der drei Senioren brachte den Zug nach drei Stunden wieder in Fahrt