In einer Woche ist es so weit: Novartis und seine Augensparte Alcon werden nach etwa einem Jahrzehnt getrennte Wege gehen. Die Anlegerwelt ist gespannt, wie sich die Unternehmen in ihrer neu gewonnen Eigenständigkeit schlagen.
Zunächst ein paar Daten zur Erinnerung: Alcon war seit 1977 in Besitz von Nestlé, ging dann aber schrittweise bis 2010 vollständig in den Besitz von Novartis über. Unter dem Strich hat der Pharmakonzern dafür etwa 50 Milliarden US-Dollar hingebättert. Ziel der Übernahme war es, in hochmargige Spezialitätenbereiche zu expandieren und Risiken zu streuen.
Schon nach wenigen Jahren stellte sich allerdings heraus, dass dies keine wirklich glückliche Verbindung war. Für Analyst James Gordon von JPMorgan begann bei Alcon schon 2014 die Phase des Abschwungs, in der die Augensparte zunehmend Marktanteile einbüsste.
Den Hauptgrund dafür sieht der Experte in einer raschen Lancierung seiner Plattform Centurion Vision Systems, die vor allem zur Behandlung des grauen Stars eingesetzt wird. Während Alcon nach Ansicht des Experten diese Geräte an zu viele Spitäler gleichzeitig auslieferte, habe der Mutterkonzern Novartis die Lancierung mit Kostensenkungsmassnahmen untergraben.
Ernüchternde Bilanz des neuen Alcon-Chefs
Entsprechend krass fiel die Bestandsaufnahme von Mike Ball aus, den die Novartis-Führung Anfang 2016 an die Alcon-Spitze setzte, um die Tochter wieder auf Spur zu bringen. Wegen Personalmangel wurden Maschinen nicht ausreichend gewartet oder repariert. Die Kundenzufriedenheit war auf einem Tiefpunkt. Ausserdem sei man sich seiner Sache wohl zu sicher gewesen und habe auch beim Marketing gespart.
Nachdem zunächst der frühere Novartis-CEO Joe Jimenez die Reissleine zog und eine Überprüfung des Augengeschäftes ankündigte, fiel es dem seit gut einem Jahr amtierenden CEO Vas Narasimhan zu, die Abspaltung zu beschliessen.
Gleich ein Blue Chip
Wenn Alcon dann am kommenden Dienstag seine Eigenständigkeit beginnt, gehen die meisten Analysten von einer Bewertung zwischen 19 und 25 Milliarden US-Dollar aus. Die knapp 490 Millionen Alcon-Aktien könnten zunächst zu einem Kurs zwischen 40 und 45 Franken das Stück am ersten Tag zu haben sein.
Mit dieser Marktkapitalisierung wird Alcon von Beginn an zu den Blue Chips am Schweizer Aktienmarkt zählen. Der Börsenbetreiber SIX hatte schon im Vorfeld angekündigt, dass Alcon gleich in den Leitindex SMI aufgenommen wird. Die Privatbank Julius Bär wird den Index dafür verlassen müssen.
Wie Branchenkenner betonen, hängt die Bewertung auch stark davon ab, wen gerade die Analystenschar als Vergleichsgrösse heranzieht. Denn einen wirklichen Konkurrenten hat Alcon nicht.
Zwei Standbeine
Das Unternehmen hat zwei Standbeine. Etwas mehr als die Hälfte seiner Umsätze generiert es mit dem chirurgischen Geschäft, während der Rest mit Kontaktlinsen und anderen Produkten zur Augenpflege erzielt wird. Dabei ist das Unternehmen die weltweite Nummer eins im Bereich Augenchirurgie und Nummer zwei bei der Pflege.
In den Vorabberichten der Analysten wird immer wieder das deutsche Optik- und Elektronikkonzern Carl Zeiss genannt. Zeiss ist beispielsweise auch stark im Lasergeschäft unterwegs und hier ein ernst zu nehmender Konkurrent für die Novartis-Tochter.
Auf jeden Fall wird Alcon, anders als Novartis, kein Pharma-, sondern ein Medtech-Unternehmen sein. Gerade aus diesem Grund stellt sich die Frage, wie sich die jetzigen Novartis-Aktionäre verhalten werden. Trennen sie sich gleich von Alcon, weil sie nur auf die Pharmabranche konzentriert sein wollen? Oder erachten sie die Geschichte von Alcon und das Aufholpotenzial als spannend genug, um weiter investiert zu bleiben?
Mögliche Vorschusslorbeeren müssen verdient werden
Immerhin gehen doch die meisten Experten davon aus, dass Alcon sein zuletzt erzieltes Wachstumstempo vorerst beibehalten werde. Die ist nach ihrer Ansicht aber auch ausschlaggebend, um die Anleger bei Laune zu halten. «Alcon muss auch in den kommenden Monaten zeigen, dass es den zuletzt eingeschlagenen Weg auch beibehalten kann, um dann auch an der Börse eine Erfolgsgeschichte zu sein», betont ein Experte gegenüber AWP.
(awp/tdr)