Lange galt die Impfung als Ticket für den Ausweg aus der Pandemie. Doch nun ist zu befürchten: Die Zahl derjenigen, die sich nicht impfen lassen, ist womöglich zu gross, als dass sich die Corona auf diesem Weg in den Griff bekommen liesse.
Damit richtet sich das Augenmerk wieder stärker auf die Behandlung von Covid-19-Patienten mit Medikamenten. Und hier fehlt vor allem noch an einem: ein antiviraler Wirkstoff, vergleichbar mit Roche’s Tamiflu gegen die Grippe. Also ein Medikament, das sich in grossen Mengen herstellen lässt, das günstig ist und das bei einer Infektion oder womöglich sogar präventiv, nachdem jemand dem Virus ausgesetzt war, eingenommen werden kann, um die Vermehrung der Viren im Körper zu bremsen.
Merck ist gut im Rennen
Das Rennen um die Covid-19-Pille läuft. Gute Nachrichten gab es dieser Tage zu Molnupiravir. Der Wirkstoff kommt von der amerikanischen Merck. Er schleust RNA-ähnliche Bausteine in das Erbgut des Coronavirus und verhindert so dessen Ausbreitung, wie Forschende am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg aufzeigen konnten.
Der Wirkstoff schreibe das Äquivalent von Nonsens-Wörtern in das Manuel, das das Virus habe, um sich selber zu vervielfältigen, zitiert das «Wall Street Journal» Daria Hazuda, Chief Scientific Officer im Forschungszentrum von Merck in Cambridge, Massachusetts.
Merck publizierte Mitte Juli vielversprechende Resultate einer kombinierten Studie der Phase 2 und 3. Danach ist Molnupiravir in der Lage, Hospitalisierungen und die Sterblichkeit bei Covid-19-Erkrankungen zu reduzieren. «Wir freuen uns, dass Molnupiravir sich weiterhin als vielversprechende Behandlungsmöglichkeit für nicht hospitalisierte Patienten mit COVID-19 erweist», sagte Wendy Holman, Chief Executive Officer von Ridgeback Biotherapeutic; das Biotechunternehmen aus Florida entwickelt den Wirkstoff zusammen mit dem Grosskonzern Merck.
Die US-Regierung sicherte sich bereits im Juni 1,7 Millionen Behandlungseinheiten von Molnupiravir zum Preis von 1,2 Milliarden Dollar für den Fall, dass die amerikanischen Arzneimittelbehörde grünes Licht für den Wirkstoff gibt. Merck ist derweil daran, auf eigenes Risiko, die Kapazitäten bereitzustellen, um im Falle einer Zulassung Ende Jahr 10 Millionen Dosen zur Verfügung stellen zu können.
Auch Roche ist am Start
Auch Roche ist mit einem Wirkstoffkandidaten am Start. AT-527 wird in einer Studie der Phase 2 und in einer nicht zulassungsrelevanten Studie der Phase 3 an hospitalisierten, leicht bis mittelschwer an Covid-19 erkrankten Patienten untersucht. Zudem läuft eine Phase-2-Studie bei Patienten im Spital mit mittelschwerem Covid. Zwischenresultate zeigen, dass AT-527 in der Lage ist, die Virenlast schnell zu reduzieren.
Er sei erfreut, wie schnell der Wirkstoff die Virenlast zu reduzieren vermöge, sagte Jean-Pierre Sommadossi, CEO und Gründer von Atea Pharmaceutical – dem Biotechunternehmen aus Boston, das AT-527 mit Roche entwickelt. «Eine so potente Aktivität kann dazu führen, dass sich die Patienten mit Covid-19 schneller erholen und das gleichzeitig die Übertragung minimiert wird.»
Schutz gegen neue Virusvarianten
AT-527 wirkt, indem das virale RNA-Polymerase-Enzym, das für die Replikation des Virus verantwortlich ist, durch einen doppelten Mechanismus blockiert wird, wie Roche schreibt. Der Wirkstoff verhindert also, dass das genetische Material des Virus repliziert wird. AT-527 setzt damit ganz früh ein im Prozess der Virusvermehrung.
Das Unternehmen ist zuversichtlich, dass weitere Mutationen die Wirkung von AT-527 nicht beeinträchtigen werden. Der Teil des Virus, auf den AT-527 abziele, seien in hohem Masse konserviert; es sei deshalb wenig wahrscheinlich, dass er sich verändere, sollten neue Virusvarianten auftauchen, schreibt Roche.
Ob AT-527 die Hoffnungen erfüllt, wird sich 2022 entscheiden, wenn die klinischen Studien abgeschlossen sind. Klar ist schon jetzt: Der Wirkstoff von Roche ist ein relativ komplexes Molekül, das sich nicht in beliebig grossen Mengen herstellen lässt, wie Roche-Pharmachef Bill Anderson im Juli vor Journalisten sagte. Die Produktion sei eine Herausforderung: «Wir werden Millionen, aber nicht Milliarden an Dosen herstellen können.»
Je nachdem wie sich die Pandemie in unterschiedlichen Teilen der Welt entwickle, könne es zu «Herausforderungen bei der Versorgung kommen», schreibt Roche auf Anfrage. Und verspricht, «alles in unserer Macht stehende» zu tun, AT-527 breit verfügbar zu machen, sollte es sich als sicher und wirksam erweisen und zugelassen werden. Um dieses Commitment zu erfüllten, würden die Produktionskapazitäten bereits jetzt aufgebaut.
Pfizer will noch dieses Jahr auf den Markt kommen
Bleiben Pfizer und Shionogi. Die Amerikaner, die bereits mit ihrem mit der deutschen Biontech zusammen entwickelten Impfstoff brillieren, und das Unternehmen aus Japan sind mit einem Prothease-Hemmer im Spiel. Auch sie versuchen die Vervielfachung des Virus zu verhindern. Allerdings setzen sie etwas später an im Herstellungsprozess der Viren in den menschlichen Zellen als Roche mit seinem Polymerase-Hemmer. Prothease-Hemmer verhindern nicht die Replizierung des genetischen Materials des Virus sondern der Proteine, die das Virus ausmachen.
Prothease-Hemmer werde breit eingesetzt zur Bekämpfung von Viren, insbesondere gegen HIV. Ein Problem der Prothease-Hemmer ist die Resistenzbildung. «Wir haben bei HIV sehr schnell gelernt, dass die Gefahr besteht, dass man Moleküle entwickelt, die schnell veralten», zitiert das «Wall Street Journal» Daria Hazuda von Merck.
Isao Teshirogi, CEO von Shionog, sagte, erste Untersuchungen würden darauf hindeuten, dass das Virus die Wirkung der Pille nicht so einfach umgehen könne. Shionogi will seinen Wirkstoff nun im Rahmen an einer ersten klinischen Studie an 50 bis 100 gesunden Probanden in Japan testen, eine grössere Studie mit einem Placebo- und einem Wirkstoffarm soll noch in diesem Jahr ausgerollt werden.
Pfizer-Konzernchef Albert Bourla sagte dem amerikanischen Nachrichtensender CNBC im April, die Covid-19-Pille könne schon Ende dieses Jahres auf den Markt kommen.
Die Zeit drängt
Klar ist: Die Zeit für die Pille gegen Covid-19 drängt. Die vierte Welle, getrieben durch die ansteckendere Delta-Variante, rollt. Die USA zählten gestern wieder 150000 Infektionen, mehr als 100000 Menschen waren hospitalisiert. Auch in der Schweiz füllen sich die Intensivstationen wieder und erste Spitäler sind bereits wieder an der Belastungsgrenze.
Offen ist zudem, ob die Durchimpfung die Werte erreichen wird, die nötig sind, um die Weiterverbreitung des Virus zu stoppen und die ganze Bevölkerung zu schützen. 80 bis 85 Prozent wären bei den neuen, ansteckenden Corona-Varianten erforderlich. In der Realität sind es 46 Prozent in Europa, in den USA liegt die Durchimpfungsrate bei 51 Prozent und in Deutschland bei 59 Prozent. In Afrika und Asien sind teilweise noch nicht einmal 10 Prozent der Bevölkerung geimpft.