Die Täter handeln immer nach dem gleichen Muster: Sie reissen mit Stahlseil und gestohlenem Lieferwagen die Bancomaten gewaltsam aus der Verankerung. Letztmals schlugen sie in der Nacht zum 12. Oktober in einer UBS-Filiale in Oberdiessbach BE zu. Es handelte sich bereits um die 23. Attacke in diesem Jahr in der Schweiz. Die Spur dieser «Lasso-Methode» zieht sich durch halb Europa. In Belgien, Deutschland, Frankreich und Österreich sind so seit Anfang 2003 rund 200 Bancomaten geknackt worden. Die Deliktsumme erreicht einen zweistelligen Euro-Millionenbetrag, der Sachschaden noch nicht mitgerechnet.

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Rezepte gegen die Gewalt

Diverse Videoaufzeichnungen zeigen, wie dreist die Bancomaten-Knacker vorgehen. Die zu brachialer Gewalt Entschlossenen scheinen ein leichtes Spiel zu haben. Machen es ihnen die Banken zu einfach? Davon könne nicht die Rede sein, heisst es einstimmig in der Branche. Kirsten Franzstack vom Bancomaten-Hersteller Wincor Nixdorf verweist auf den hohen Sicherheitsstandard der Geräte. «Wir werden jetzt aber mit einem neuen Überfallmuster konfrontiert, gegen die dabei angewendete Gewalt sind wir fast machtlos. Da kann man nur mit moderner Technik entgegen treten», sagt sie. Franz Würth, Sprecher der Raiffeisenbanken, die 1300 Bancomaten im Einsatz haben, verweist auf eine Reihe von Raubversuchen, die wegen bereits eingeleiteter Sicherheitsmassnahmen gescheitert seien. «Dank einer zusätzlichen Befestigung konnte zum Beispiel der Bancomat in Aarberg nicht weggerissen werden», sagt er. Trotzdem: In diesem Jahr wurden die Raiffeisenbanken schon sieben Mal heimgesucht. Allerdings gelang es den Tätern nur in einem Fall, den Bancomaten auch wegzutransportieren. Die Schadensumme, die vor allem die Infrastruktur betrifft, beläuft sich auf einige hunderttausend Franken. Einen Betrag in ähnlicher Grösse gedenken die Raiffeisenbanken in zusätzliche Sicherheitsmassnahmen zu investieren.

Allein in diesem Herbst schlugen die Bancomaten-Knacker viermal auch bei der UBS zu. In zwei Fällen blieben sie allerdings erfolglos. Zweimal nahmen die Räuber zudem Bancomaten der Coop-Bank in die Schlinge, mit Erfolg. Ohne Geld mussten sie hingegen nach einem Versuch bei einer Filiale der Luzerner Kantonalbank (LUKB) wieder abziehen. Sie konnten den Bancomaten nicht wegschleppen, verursachten aber einen hohen Sachschaden. Die LUKB hat inzwischen verschiedene Vorkehrungen getroffen, um die Geräte besser zu schützen. Gleich hat auch die St. Galler Kantonalbank reagiert, der bei einem missglückten Versuch auf einen Bancomaten in Wattwil ein Sachschaden von 150000 Fr. entstanden ist.

Die Neue Aargauer Bank (NAB), zweitgrösste Regionalbank der Schweiz, hat schon im letzten Jahr die Zufahrtswege und die Installation ihrer Bancomaten unter die Lupe genommen und exponierte Geräte aus dem Verkehr gezogen. Die NAB wie auch die Credit Suisse und die Migrosbank blieben vor unangenehmen nächtlichen Attacken verschont.

Sowohl die Banken als auch Bancomaten-Hersteller wie De la Rue, Diebold, NCR oder Wincor Nixdorf halten sich bezüglich technischer Details ihrer Sicherheitsmassnahmen grundsätzlich bedeckt. «Wir möchten potenziellen Kriminellen keinerlei Anhaltspunkte liefern», begründet CS-Sprecher Georg Söntgerath. Die Raiffeisenbanken und die Bank Coop erwägen, allenfalls die Bancomaten mit Farbkassetten zu bestücken. Diese Methode hat in Schweden, wo in den Jahren 2000 und 2001 über 140 Bancomaten gesprengt wurden, zum Erfolg geführt. Seit die Geräte mit den Farbkassetten aufgerüstet sind, gibt es kaum Überfälle. Das Prinzip ist einfach: Bei Erschütterung explodieren Farbbeutel, welche die Banknoten durchtränken und damit unbrauchbar machen. Das Aufrüsten mit Farbkassetten kostet allerdings mehrere zehntausend Franken pro Bancomat eine Investition, die gewisse Banken offenbar scheuen. Bei der Migrosbank jedenfalls ist man bezüglich der Farbmethode skeptisch. «Sie taugt so lange, bis die dreisten Diebe wieder eine Gegenmethode entwickelt haben», sagt Stephan Züger. «Betreffend Sicherheit und Kosten müssen die Banken einen Mittelweg wählen, damit ein unter betriebswirtschaftlichen Aspekten sinnvoller Betrieb von Bancomaten überhaupt möglich ist», sagt Manuel Flückiger von der Bank Coop.

Vielleicht kommen die Banken ohne teure Nachrüstungen davon. Acht Verdächtige in Lyss BE, an der österreichisch-tschechischen Grenze und in Colmar sind der Polizei ins Netz gegangen. Für die Fahnder sind die Festnahmen jedoch noch kein Grund zur Entwarnung. Sie rechnen mit einer grösseren Tätergruppe von rund zwei Dutzend Personen, die in wechselnder Besetzung von verschiedenen «Basislagern» aus operieren. Allein in der Schweiz sind zwei solche Lager in Wäldern bei Waldkirch SG und Rumendingen BE entdeckt worden.

Auch die Banken trauen der Sache noch nicht. Die UBS überwacht gewisse Bancomaten besonders aufmerksam und füllt sie nur mit geringen Geldmengen. «In extremen Fällen muss man sich überlegen, ob an besonders gefährdeten Standorten einzelne Bancomaten über Nacht ausgeschaltet werden sollen», so UBS-Sprecher Serge Steiner. Das hat die Raiffeisenbank Oberfreiamt in Sins AG bereits getan, sie liess verlauten: «Auf Grund der zunehmenden Bancomat-Diebstähle haben wir entschieden, den Bancomaten über Nacht zu leeren und ausser Betrieb zu setzen.»

Gefährdete Bancomaten: Ästhetik zuerst

5500 Bancomaten gibt es in der Schweiz, ein Drittel ist freistehend. «Nur auf diese konzentrieren sich die Räuber», beobachtet Hanspeter Merz von der Berner Kantonalbank (BEKB). Weil bei der BEKB alle Automaten eingemauert sind, hat es bisher auch keine «Lasso-Überfälle» gegeben. Aus den gleichen Gründen glaubt auch die Zürcher Kantonalbank (ZKB) von der Raubserie verschont geblieben zu sein. Bei den Bancomaten-Herstellern heisst es, die Banken hätten ihre Hausaufgaben zwar grundsätzlich gemacht. Allerdings gebe es immer noch zu viele Filialen, in denen Ästhetik vor Sicherheit kommt: Nur in Glaswände eingefasste helle Schalterhallen, in denen beleuchtete Bancomaten stehen für «Lasso-Diebe» eine Einladung. «Ein Bancomat, den man von allen Seiten studieren kann, lässt sich leicht klauen», meint ein Experte eines Herstellers. Übrigens: Trotz «Lasso-Methode» deutet alles darauf hin, dass die Täter nicht aus dem Wilden Westen stammen, sondern aus dem Osten, aus Rumänien. (ps)