Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?
An den Finanzmärkten gehen die Auswirkungen der Corona-Krise offensichtlich spurlos vorbei. Die Wahrnehmung der Investoren richtet sich nach den stark medial verbreiteten Nachrichten, dass eine Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivitäten die Folgen rasch eindämmen kann. Der SMI notiert wieder fünfstellig und wird zuletzt von zyklischen Sektoren wie Finanz und Industrie getrieben.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 
MarioGenialeCICBoerseninterview

Mario Geniale ist als Chief Investment Officer verantwortlich für die Anlagepolitik der Bank CIC. Der diplomierte Vermögensverwalter und Finanzexperte verfügt über langjährige Erfahrung im Portfolio Management und Advisory.

Quelle: Pablo Wunsch Blanco

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Nach dem starken Kursrückgang im März setzte der SMI in den folgenden zwei Monaten zu einer eindrucksvollen Erholung an. Der Fokus der Investoren richtete sich auf die positiven Entwicklungen rund um das Coronavirus und die eingeleiteten Lockerungsmassnahmen, die wirtschaftlichen Schäden durch den Lockdown werden komplett ignoriert.

Der SMI konnte rund zwei Drittel der Verluste aufholen und notiert aktuell knapp unterhalb der 200-Tageslinie. Diese technische Barriere dürfte nur bei einer Verbesserung der Fundamentaldaten nachhaltig überschritten werden können.

Kurzfristig sehen wir nur noch limitiertes Aufwärtspotenzial. Der Markt ist stark überkauft und die Investoren sind bezüglich der erwarteten Wirtschaftserholung wohl ein wenig zu optimistisch.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Bis in zwölf Monaten wird der SMI neue Allzeithöchstkurse erreichen. Die Auswirkungen der schwersten Rezession seit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren dürften vorüber sein und die Wirtschaft wird auf ihren langfristigen Wachstumspfad zurückkehren.

Tina, die langjährige Weggefährtin der Investoren, rückt wieder in den Vordergrund (Anmerkung der Redaktion: There Is No Alternative, es besteht keine Alternative). Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es auch in einem Jahr keine Alternative zu Aktien geben, da die Zentralbanken mit ihrer anhaltend expansiven Geldpolitik die Zinsen tief halten.

 

 

Die USA, Europa und Asien: Wie unterschiedlich dürften sich diese Märkte entwickeln – und was bedeutet dies für Anleger?
Grundsätzlich ist die Agilität der US-Wirtschaft bemerkenswert. Eine flexible und schnelle Unterstützung von Kongress und Zentralbank dämmen die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Realwirtschaft ein.

Europas langsame Entscheidungsfindung war zuvor immer wieder Argument, den Finanzplatz gegenüber den USA und Asien zu meiden. Doch die Investoren wurden zuletzt von Plänen eines Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro überrascht.

Sie ziehen nun europäische Aktien vor. Die Leistungsbilanzen der asiatischen Länder werden aufgrund der erhöhten Staatsverschuldung der Abnehmer (Europa und die USA) unter Druck kommen und den asiatischen Wachstumsmotor zum Stottern bringen.

Sehen Sie drei europäische Aktien, denen Sie eine besonders starke Entwicklung zutrauen?
Drei Eckpfeiler für Aktieninvestitionen in diesen fragilen Zeiten sind besonders wichtig: stabile Umsätze, schlanke Verschuldung und Innovationen. Hier treten der Sportartikelhersteller Adidas, das Bekleidungsunternehmen Inditex und das Industrieunternehmen Schneider hervor.

Die US-Präsidentschaftswahlen rücken näher. Wie würden die Märkte auf einen weiteren Wahlerfolg von Donald Trump reagieren – und welche Folgen hätte ein Sieg von Herausforderer Joe Biden?
In diesem Jahr dürften die US-Präsidentschaftswahlen nur einen begrenzten Einfluss auf die Börsen haben. Der unberechenbare Präsident Donald Trump ist für die Investoren durchaus berechenbar, da er trotz aller Polemik eine wirtschaftsfreundliche Politik verfolgt.

Der Herausforderer Joe Biden wird die Politik nicht völlig umkrempeln, der Trend zur Deglobalisierung wird ebenso anhalten wie das Gerangel um die globale Führungsposition zwischen den USA und China. Sollte Biden Präsident werden, wird sich der Ton ändern, die Musik jedoch nicht.

Welche börsengehandelten Schweizer Unternehmen trotzen der Krise bislang am besten?
Wenig überraschend führen Titel aus dem Gesundheitswesen, defensive Werte und Technologieunternehmen die Rangliste an. Als Profiteure der Corona-Krise gelten die Titel der Pharmazulieferer Bachem und Lonza, des Laborausrüsters Tecan sowie der Versandapotheke Zur Rose.

Defensive Titel wie zum Beispiel BKW, Givaudan oder Sunrise wurden hauptsächlich aufgrund der hohen und stabilen Dividendenausschüttungen gekauft. Technologiewerte wie Also oder Logitech profitierten vom Trend zum Homeoffice. Alle diese Titel sind ungeachtet ihrer Qualität teilweise deutlich zu hoch bewertet und werden daher bei einer Korrektur keinen Schutz bieten können.

Das Interview wurde schriftlich geführt.