BILANZ: Mr. Moynihan, macht es noch Spass, Banker zu sein?
Brian Moynihan: Klar. Wir haben eine grosse Kundenbasis und ein fantastisches Team. Die Atmosphäre mag von aussen schwierig erscheinen. Doch es ist sehr befriedigend, wenn wir unseren Kunden helfen können.
Sie sind seit gut zwei Jahren Chef. Der Aktienkurs hat sich in dieser Zeit halbiert. Ist das nicht frustrierend?
Natürlich ist der Aktienkurs nicht da, wo wir ihn gern sehen würden. Wenn wir aber unsere Arbeit für die Kunden gut machen, wird sich das auch in der Bewertung reflektieren.
In den Vereinigten Staaten ist die Stimmung gegenüber Banken so feindlich wie noch nie.
Wir durchleben noch immer eine schwierige Zeit, auch wenn die Lage besser ist als vor zwei Jahren. Die Amerikaner sind es nicht gewohnt, dass der Aufschwung nach einer Rezession so lange auf sich warten lässt. Die wenigsten haben die Grosse Depression noch erlebt. Deswegen leben wir in sehr frustrierenden Zeiten, die zu vielen Diskussionen führen.
Die Protestbewegung begann mit «Occupy Wall Street» in den USA. Werden die Banker zu Recht beschuldigt?
In den Jahren 2007 und 2008 hat die Finanzindustrie Fehler gemacht. Wir haben daraus gelernt und das System repariert. Die meisten unserer Banken halten heute doppelt so viel Kapital wie früher. Die Verantwortlichen von damals sind nicht mehr da. Heute geht es nicht mehr nur um die Banken.
Dann ist «Occupy Wall Street» also eine Übertreibung?
So würde ich es nicht bezeichnen. Die Leute drücken ihre Meinung aus. Derartige Protestbewegungen reflektieren Frustrationen über das zu langsame Wachstum. Wir müssen Jobs schaffen, das ist das Wichtigste.
In der Finanzindustrie ist davon nichts zu sehen. Sie schrumpft massiv.
Für die Bank of America trifft das zu. Wir sind nun fokussierter und fitter. Wir hatten vor zwei Jahren eine Bilanzsumme von 2600 Milliarden Dollar, heute sind wir bei 2200 Milliarden. Wir haben die Firma auf drei Kundengruppen fokussiert: Privatpersonen, Firmen und institutionelle Anleger. Alles, was nicht unter dieses Dach passte, haben wir aussortiert.
Wie weit geht das Schrumpfen bei Ihnen noch?
Von 2003 bis Anfang 2009 haben wir sechs Transaktionen durchgezogen und dadurch 200 000 zusätzliche Mitarbeiter übernommen. Jetzt haben wir angekündigt, dass wir weitere 30 000 Stellen abbauen und Aktivitäten ausserhalb des Kerngeschäfts verkaufen.
Wie weit sind Sie?
Wir haben bereits 7000 Leute abgebaut, sind jetzt bei 281 000. Wir wollen menschliche Härtefälle vermeiden, doch wir haben keine Wahl. Die Erträge sind tiefer als früher. Die USA und Europa werden wenig wachsen, selbst in den Schwellenländern ist das Wachstum etwas weniger als erwartet.
Härtere Regeln verlangsamen das Wachstum weiter, argumentieren Bankenvertreter. Werden die amerikanischen Banken das neue Regelwerk Basel III einführen? Sie haben bisher nicht einmal Basel II voll übernommen.
Unser Regelwerk in Amerika ist sehr streng. Wir führen gerade Basel II ein. Im Liquiditätsbereich verfügen wir schon über Regeln, die unter Basel III erst noch kommen. Wir haben unseren Umbau immer unter dem Blickwinkel von Basel II und Basel III gemacht.
Sind Sie persönlich für eine Einführung von Basel III in den USA?
Eine weltweite Harmonisierung der Regeln ist sinnvoll und wichtig. Die Prinzipien von Basel III hätten einige der Fehlentwicklungen der letzten Krise verunmöglicht. Es ist allerdings immer eine Frage der Umsetzung: Wie stellt man sicher, dass die neuen Regeln keinen negativen Effekt auf die Wirtschaft haben? Manche Aspekte der neuen Regeln betreffen vor allem US-Banken, andere europäische Banken. Wir müssen sicherstellen, dass niemand benachteiligt wird.
Ihr Konkurrent Jamie Dimon, Chef von J.P. Morgan, nennt die Regeln «antiamerikanisch».
Ich lasse ihn für sich selbst sprechen.
Aber Sie sind auch skeptisch.
Ein Punkt betrifft die Art, wie die Verlustvorträge für die Steuern berechnet werden. Sie sollen nach Basel III nicht mehr möglich sein. Wenn wir zudem durch die Regulierungen mehr Kapital halten müssen, sind wir gezwungen, die Kosten an das System weiterzugeben. Diese Kosten müssen dann aber fair verteilt werden, sonst erhalten wir kein Kapital mehr von Investoren. Das Problem für Leute, die heute in Bankaktien investieren, ist doch: Sie sind nicht sicher, welche Regeln gelten.
Die Amerikaner brauchen doch nur zu sagen, dass sie Basel III zu hundert Prozent übernehmen. Dann müssten die Kurse der Bankaktien steigen, weil Klarheit herrscht.
Klarheit ist sicher positiv. Doch die volle Umsetzung von Basel III ist erst ab 2019 geplant. Die Anleger wollen vor allem sehen, wie wir diesen Prozess innerhalb der nächsten sieben Jahre gestalten.
Nach der Krise hat sich das Too-big-to-fail-Problem in den Vereinigten Staaten verschärft: Grossbanken wie die Bank of America oder J.P. Morgan sind noch mächtiger geworden.
Der prozentuale Anteil der grossen Banken an der Gesamtwirtschaft ist – etwa im Vergleich zur Schweiz – relativ klein. Für mich ist diese Problematik nebensächlich. Was zählt: Wir dürfen die Firma nie wieder so führen wie in der Krisenzeit. Wir brauchen genügend Kapital und Liquidität, um durch jeden Zyklus zu kommen.
Die Bank of America litt vor allem unter zwei Zukäufen: jenem der Investmentbank Merrill Lynch und jenem des Hypothekenfinanzierers Countrywide. Würden Sie beide noch einmal übernehmen?
Die Integration von Merrill ist fantastisch. Wir sind heute der grösste Wealth Manager der Welt und die Nummer zwei im Investment Banking. Zur Zeit des Countrywide-Deals konnte sich niemand vorstellen, dass der Immobilienmarkt nochmals 20 Prozent sinkt.
Der Einbruch des Aktienkurses kam vor allem wegen Countrywide.
Das Hypogeschäft hat uns in den letzten Jahren viel Geld gekostet. Wir haben die Reserven stark erhöht und liegen bei 16 Milliarden Dollar.
Sie sollen geprüft haben, Countrywide aus dem Konzern zu lösen und in Konkurs gehen zu lassen.
Ich werde das immer gefragt. Es ist eine Option. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Im letzten Jahr ist der Investor Warren Buffett bei Ihnen eingestiegen. Wie positiv ist das fürs Image?
Er ist einer der klügsten und fähigsten Langfristinvestoren der Welt. Er rief mich an und sagte: Diese Firma ist viel mehr wert als ihr aktueller Börsenwert. Das ist sehr wichtig.
Wie wichtig ist dabei die Schweiz?
Wir haben hier unser Corporate und Investment Banking sowie das Vermögensverwaltungsgeschäft. Das benützen wir für Kunden aus Europa und anderen Regionen.
Brian Moynihan (52) ist seit 2010 Chef der Bank of America. Mit mehr als 6000 Filialen und einer Bilanzsumme von 2200 Milliarden Dollar ist das Institut mit Sitz in Charlotte, North Carolina, die grösste Bank des Kontinents. Seit dem Kauf von Merrill Lynch zählt sie auch zu den weltweit führenden Investmentbanken. Die Übernahme des Hypothekenfinanzierers Countrywide belastete das Geschäft und liess den Gewinn 2011 auf kärgliche 1,4 Milliarden Dollar schrumpfen.