Ich will das Bankgeheimnis nicht abschaffen, doch ich würde es klar begrenzen.» Und: «Wir verbuchen nur, was das Bankgeheimnis den Banken bringt – und unterschlagen, was es der Schweiz schadet. Ich bin überzeugt: Es schadet uns ganz gewaltig.» Und: «Das Bankgeheimnis ist ein defensives Instrument, das die Schweiz vom allgemeinen Wettbewerb verschont und das uns, um ein Churchill-Wort aufzunehmen, ‹fett, aber impotent› macht.»
Hans J. Bär ist kein Mann der sanften Töne, und von Schonung gegenüber seinem Berufsstand der Bankiers hat er noch nie etwas gehalten. Doch die im Vorfeld des Erscheinens seiner Autobiografie geäusserten Ansichten des 76-Jährigen über die Branche im Allgemeinen und das Bankgeheimnis im Speziellen haben in der Bankenwirtschaft die Emotionen hochgehen lassen. (BILANZ hat exklusiv in der März-Ausgabe einen Vorabdruck publiziert.) Die markigen Sprüche von Hans J. Bär, geradezu Sinnbild des Private Banking schweizerischen Zuschnitts, liefern reichlich Gesprächsstoff.
Das Finanzestablishment, insbesondere jenes von der Zürcher Bahnhofstrasse, gibt sich gar nicht erst den Anschein vornehmer Zurückhaltung. Zwar hinter vorgehaltener Hand, dafür schrill ziehen fast alle über den einstigen Chef der gleichnamigen Privatbank her. Das in vergleichbaren Situationen schnell gebrauchte Wort des «Nestbeschmutzers» ist dabei noch die mildeste Form der Banker-Beschimpfungen. «Das ist klar die persönliche Meinung von Hans Bär, unsere Meinung wird damit nicht reflektiert», geht man sogar im Hause Bär auf Distanz. Giftig das Statement eines ranghohen Bankiers: «Er kann nicht mehr abschätzen, was seine Aussagen für Folgen haben.»
An Hans J. Bär sind die Attacken nicht spurlos vorübergegangen. Dabei ist es ihm hoch anzurechnen, dass er versucht hat, endlich eine breite Diskussion um das Schweizer Bankgeheimnis loszutreten. Braucht es das Geheimnis der Geheimnisse noch in der aktuellen Form? Wer alles profitiert eigentlich vom Bankgeheimnis? Wie gross ist der volkswirtschaftliche Nutzen, wie schwer der Schaden für die Schweiz?
Wer mit solchen Fragen bei den etablierten Banken aufkreuzt, holt sich dieser Tage überall eine Abfuhr. Nach dem Aufruhr, den die Aussagen von Bär ausgelöst haben, wollen die Geldinstitute nichts mehr von hausinternen Stellungnahmen zum Bankgeheimnis wissen. «Beim Positionsbezug der UBS zum Bankgeheimnis gibt es keinen Unterschied zur Stellung der Bankiervereinigung», lässt etwa Marcel Rohner, CEO Wealth Management & Business Banking, via Pressestelle ausrichten. Ebenso wenig mag Michael P. Bär, Leiter Private Banking der Zürcher Bank Bär, seine Meinung kundtun. Die hochoffizielle, nach internen Diskussionen formulierte Antwort: «Die Julius-Bär-Gruppe unterstützt alle Bemühungen zur Beibehaltung des Bankkundengeheimnisses vollumfänglich.» Ähnlich tönt es aus der CS Group: «Wir geben zum Bankgeheimnis keine eigenen Statements ab und vertreten dieselbe Haltung wie die Bankiervereinigung».
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Haben die jüngsten Ereignisse an der Einstellung der Schweizerischen Bankiervereinigung, laut eigenem Bekunden «der Spitzenverband des Schweizer Finanzplatzes», zum Bankgeheimnis etwas geändert? Pressesprecher Thomas Sutter geht auf kritische Fragen gar nicht erst ein und fängt routiniert zu dozieren an: «Das Bankgeheimnis ist im Interesse der ganzen Schweiz. Denn der Finanzplatz ist Fundament und Motor der Schweizer Volkswirtschaft.» Es folgt ein Schwall beeindruckender Zahlen, etwa dass der Finanzplatz im Jahr 2002 rund 9,6 Milliarden Franken an Steuern ablieferte, 14 Prozent an das Bruttosozialprodukt beisteuerte oder direkt und indirekt über 200 000 Arbeitsplätze unterhält.
Schützenhilfe erhält Sutter von Daniel Heller, Geschäftsführer vom Forum Finanzplatz Schweiz, einer von der Bankiervereinigung unterhaltenen PR-Plattform. «Das Bankkundengeheimnis ist einer der letzten Standortvorteile, welcher die Schweiz hat. Sonst sind wir bald übrall höchstens noch Durchschnitt», schwärmt Heller. Und schlägt sogleich chauvinistische Töne an: «Das Bankkundengeheimnis ist nicht nur eine technische Massnahme, es verkörpert als Ausdruck des Schutzes der Privatsphäre ein wichtiges Stück Schweiz. Es lohnt sich, dieses zu verteidigen und gegen das Ausland eine harte Haltung an den Tag zu legen.»
Seit Jahren wird der Öffentlichkeit eingetrichtert, was die Schweiz dem Bankgeheimnis alles zu verdanken hat. Und diese weiss es durch Zustimmung zu danken. «Betreffend des Schweizer Bankkundengeheimnisses, sollte man es beibehalten oder abschaffen?», lautet die Hauptfrage in der alljährlichen Meinungsumfrage der Bankiervereinigung. Und siehe da, 76 Prozent stimmten jüngst für die Beibehaltung. «Die Formulierung der Frage ist suggestiv», reklamiert Remo Gysin, SP-Nationalrat und Vorstandsmitglied der Aktion Finanzplatz Schweiz (AFP). «Richtig müsste die Frage lauten: Sind Sie dafür, dass mit dem Bankgeheimnis die Steuerhinterziehung geschützt wird?» Gysin ist sich sicher, dass dann eine Mehrheit gegen das Bankgeheimnis votieren würde. Auch für Ulrich Thielemann, Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen und Mitautor des Buches «Brennpunkt Bankenethik», dreht sich das Bankgeheimnis «um das Thema Steuerhinterziehung und um nichts anderes.»
1934 wurde das Bankgeheimnis im Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen verankert. Artikel 47 besagt: «Wer ein Geheimnis offenbart … wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Busse bis zu 50 000 Franken bestraft.» Dennoch ist das Schweigegebot des Bankiers nichts Urschweizerisches. Eine ganze Reihe anderer Länder, in Europa beispielsweise Grossbritannien, Frankreich, Italien, Österreich oder Luxemburg, kennen ebenfalls das Bankgeheimnis. Die Schweiz hebt sich durch eine Besonderheit hervor: Hier wird zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug unterschieden (siehe «Schweizer Finte» auf dieser Seite). Der kleine Unterschied hat es in sich. Denn bei einfacher Steuerhinterziehung gewähren Schweizer Banken den in- und ausländischen Steuerbehörden keinen Zugang zu Informationen über den Kontoinhaber; solche Einblicke erfordern zuerst den Straftatbestand des Steuerbetrugs, also der Hinterziehung plus Urkundenfälschung.
Für die Befürworter des Bankgeheimnisses macht die Differenzierung Sinn. «Die Unterscheidung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ist Ausdruck unseres demokratischen Systems», meint Daniel Heller vom Forum Finanzplatz Schweiz. Etwas konkreter wird Peter Csoport, Oberassistent am Institut für Schweizerisches Bankwesen in Zürich: «In der Schweiz ist eine hohe Steuerehrlichkeit festzustellen. Deshalb ist Steuerhinterziehung bei uns auch kein wichtiger Punkt, eine Unterscheidung daher wenig sinnvoll.» Tatsächlich ist die Steuerehrlichkeit im Vergleich wichtiger Industrienationen nur in den USA noch höher. Ist es jedoch nicht gerade deswegen unnötig, Steuerhinterziehung von Steuerbetrug abzugrenzen? Zumal die Grenzen fliessend sind. «Eine Unterscheidung ist Unsinn. Denn in beiden Fällen wird versucht, Gelder vor dem Fiskus zu verstecken», urteilt BILANZ-Steuerexperte Werner A. Räber.
Für Barbara Hendriks, Parlamentarische Staatssekretärin beim Deutschen Bundesminister der Finanzen, liegt die Hauptschwierigkeit «gar nicht im Bankgeheimnis an sich». Das Problem sieht sie vielmehr darin, dass nicht bereits Steuerhinterziehung, sondern nur Steuerbetrug strafrechtlich relevant ist und «die Schweiz deshalb über Steuerhinterziehung keine Auskünfte erteilt». Für Eric Sarasin, Mitglied der Geschäftsleitung und verantwortlich für das Private Banking International der Bank Sarasin, ist das Bankgeheimnis «nach wie vor ein wichtiger Bestandteil des schweizerischen Bankensystems». Allerdings bezweifelt Sarasin, ob die Unterscheidung zwischen Hinterziehung und Betrug noch zeitgemäss ist. Er könne sich eine Gleichstellung durchaus vorstellen. Womit die Schweiz auch bei Steuerhinterziehung Auskunft geben müsste. Doch dazu braucht es laut SP-Nationalrat Remo Gysin zuerst eine schweizinterne Gleichsetzung und damit eine Änderung des Steuergesetzes. Danach wird die neue Regelung «auch automatisch auf Auslandbeziehungen angewendet» (Gysin).
Was würde in diesem Fall geschehen? Käme es zum reissenden Abfluss von Schwarzgeldern, wie da und dort kolportiert wird? Niemand wagt sich an Prognosen, niemand weiss, wie viel unversteuertes Kapital in Schweizer Tresoren schlummert. Dazu etwas Zahlenakrobatik: In der Schweiz werden schätzungsweise 3800 Milliarden Franken verwaltet (siehe «Billionen-Tresor»). 56 Prozent dieser Gelder oder 2128 Milliarden stammen aus dem Ausland, gut die Hälfte dürfte auf Privatanleger entfallen. Die Schätzungen, wie viel davon Schwarzgeld ist, bewegen sich zwischen einem Viertel und zwei Dritteln. Nimmt man den goldenen Mittelweg, so wurden etwa 500 Milliarden Franken vor allem wegen des Bankgeheimnisses in die Schweiz geleitet. Davon ist gemäss Experten etwa die Hälfte oder 250 Milliarden abzugsgefährdet, falls die Schweiz auch bei einfacher Steuerhinterziehung Rechtshilfe gewähren würde.
Fraglos eine riesige Summe. Andererseits mangelt es den Steuerflüchtlingen an echten Alternativen. «Die neue Situation müsste bei Auslandkunden gut kommuniziert werden. Dazu sollte man den Steueraspekt erwähnen, aber das weiterhin bestehende Bankgeheimnis herausstreichen», rät Eric Sarasin. «Dann würden wir im Bankwesen kaum Arbeitsplätze verlieren.» Zudem haben die Banken ihre Stärken in der Vermögensverwaltung wieder in einem helleren Licht zu präsentieren. Zu lange wurde das Bankgeheimnis als wichtigster Standortvorteil herausgestrichen. Die Branche muss sich wieder auf ihre eigentlichen Fähigkeiten besinnen, die dem Swiss Banking seinen hervorragenden Ruf eingetragen haben.
Vor einer Neuauslegung des Bankgeheimnisses wären jedoch Neuverhandlungen mit der EU und Amerika unumgänglich. Nur verbaut sich die Schweiz den Weg zu Gesprächen immer mehr. Die sture Haltung des Ex-Finanzministers Kaspar Villiger gegenüber der EU – «Das Schweizer Bankgeheimnis ist nicht verhandelbar» – ist inzwischen Bundesratsdoktrin. Noch mehr Kopfschütteln im Ausland hervorgerufen haben die von National- und Ständerat abgesegneten Pläne, das Bankgeheimnis in der Bundesverfassung zu verankern. «Wir müssen dem Schweizer Finanzplatz unbedingt den Rücken stärken», begründet Hans Kaufmann, SVP-Nationalrat, Ex-Bankier und Sprecher der Fraktion «Bankgeheimnis in die Verfassung». Für den Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann ist klar: «Das Bankgeheimnis kommt kaum in die Verfassung.» Denn vorher müsste über diese Verankerung abgestimmt werden, was mit einer volksweiten Diskussion um Sinn und Unsinn des Bankgeheimnisses verbunden wäre. «Die Initianten wissen, dass ihre Argumente für das Bankgeheimnis selbst sehr schwach sind. Sie werden sich deshalb davor hüten, dass da überhaupt eine Diskussion entsteht.»
Die Forderung der SVP wurde zwar im Ausland als weitere Kampfansage empfunden, hat im Inland jedoch kaum für Aufregung gesorgt. Für die Bankbranche ist das Gezerre um das Bankgeheimnis vom Tisch, seit das Zinsbesteuerungsabkommen unterschriftsreif vorliegt. Darin erklärt sich die Schweiz bereit, auf den Zinserträgen von EU-Bürgern eine Quellensteuer zu erheben. «Von diesem Abkommen profitieren beide Seiten. Die EU-Länder erhalten eine Quellensteuer, wir behalten das Bankgeheimnis», freut sich Thomas Sutter von der Schweizerischen Bankiervereinigung.
Derweil lässt die EU weiter ihre Muskeln spielen. Während die Schweiz das Zinsabkommen mit den übrigen hängigen bilateralen Verhandlungen verknüpfen will, drängt Brüssel in immer harscheren Worten auf die Unterschrift. Je dicker die Luft, desto stärker werden die Daumenschrauben angezogen; so will die EU ab dem 1. Juni von der Schweiz Zölle auf Wiederexporten einkassieren, was einige Tausend Arbeitsplätze kosten könnte. Gleichzeitig löst die zunehmend härtere Gangart Deutschlands in der Schweiz Irritationen aus. Unmut hervorgerufen haben vor allem die ohne Vorankündigung verschärften Grenzkontrollen.
Im Stillen hat sich auch der Bankenkonflikt mit Deutschland zugespitzt. Schweizer Geldhäuser benötigen künftig eine Bewilligung, wenn sie in Deutschland weiterhin Kunden betreuen wollen (siehe BILANZ 2/04: «Wir müssen draussen bleiben»). Politiker und Bankiers waren sich sicher, dass Deutschland der Schweiz eine Ausnahmebewilligung einräumen würde. Solches jedoch wurde in ungewöhnlich undiplomatischem Ton abgelehnt. Das Schweizer Gesuch erscheint sowieso in etwas diffusem Licht, ist doch «eine pauschale Ausnahme für einen einzelnen Staat rechtlich nicht möglich», erläutert Oliver Struck, Pressesprecher für den Bereich Bankenaufsicht bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in Bonn.
Das Bankgeheimnis müsse man so teuer wie möglich verkaufen, ist aus der Geldaristokratie immer wieder zu hören. Es könnte tatsächlich teuer werden. Die Schweiz spielt gerne auf Zeit – und hat dabei schon oft alles verloren, indem ihr letztlich die Verträge diktiert wurden. So geschehen beim Flugverkehrsabkommen oder bei den Holocaust-Geldern. Dasselbe droht beim Bankgeheimnis, wenn Bankiers und Politiker nicht früh genug selbst aktiv werden und sich auf die neuen Bedingungen einstellen. Die Schweiz hat mit dem Zinsbesteuerungsabkommen zwei, drei Jahre Luft erhalten. Dann wird das Dossier Bankgeheimnis erneut präsentiert. Die EU kann niemals akzeptieren, dass mitten in ihrem Hoheitsgebiet ein Inselchen Steuermüde lockt.