Nur die wenigsten Familienmitglieder waren vor der Sitzung im Bild. Die Mehrheit erfuhr erst während des Meetings, dass dem letzten Familienangehörigen im Topmanagement gekündigt worden war.
Passiert war es schon zwei Tage zuvor, am Samstag, 11. Dezember 2004. Mike Bär, seit 2003 zuständig für das Privatkundengeschäft, den wichtigsten Bereich der Zürcher Privatbank Julius Bär, wurde von den elf Mitgliedern des Verwaltungsrates ohne Vorwarnung vor die Tür gesetzt. Hintergrund des Entscheids: Stagnation in der Vermögensverwaltung. Nicht Präsident Raymond Bär oder einer der Familienvertreter im Verwaltungsrat waren es, die dem geschassten Private-Banking-Chef den Entscheid mitteilten, sondern VR-Mitglied Peter Küpfer. Im Büro des Ex-Credit-Suisse-Topmanns erfuhr Mike Bär am Sonntag nach der VR-Sitzung von seiner Absetzung.
Kaum einer hätte auf das gewettet, was dann folgte: Es brach Hektik aus. An der Sitzung der drei Dutzend Bär-Familienmitglieder am Montag darauf kam es gemäss Recherchen der BILANZ zum Aufstand von Thomas und Rudolf Bär. Die zwei Cousins der dritten Bär-Generation hatten Ende der neunziger Jahre die Geschicke der Bank mit vereinten Kräften gelenkt: Thomas war von 1997 bis 2003 Präsident, Rudolf agierte bis 2000 als CEO.
Im Familienrat machten die zwei einflussreichen Bär-Protagonisten klar, dass sie sich von ihrer Bank trennen wollten, und zwar sofort. Zu diesem Zweck unterbreiteten Thomas und Rudolf Bär den übrigen Familienaktionären laut der Aussage eines Beteiligten folgenden Plan: Die Aktien aller Familienangehörigen sollten als Paket dem Meistbietenden verkauft werden. Zusammen kontrollierten die Bär-Erben der dritten und vierten Generation zu diesem Zeitpunkt noch 52 Prozent der Stimmen und 17 Prozent des Kapitals von Julius Bär. Ein Aktionärsbindungsvertrag verhinderte bis dahin, dass einzelne Familienmitglieder ihre Titel individuell abstossen konnten.
Mit der Verkaufsabwicklung beauftragt wurde der Präsident des Verwaltungsrates, Raymond Bär. Der 45-Jährige ist ein Neffe von Thomas Bär. Mit dem anvisierten Verkauf aller Familienaktien hätte ein höherer Preis erzielt werden sollen als durch einen Einzelverkauf. Auch die Investment-Bank, die den Deal über die Bühne bringen sollte, wurde auserkoren: Goldman Sachs. Die Beziehungen vor allem von Thomas Bär zu Goldman Sachs sind eng: Er ist seit Jahren International Advisor von Goldman Sachs und befreundet mit Goldman-Sachs-Europachef Peter Weinberg. «Ein Gesamtverkauf war eine der Optionen, die wir zu einem gewissen Zeitpunkt prüften», sagte Bankpräsident Raymond Bär am Rande der Pressekonferenz vom 9. März. «Wir haben aber schnell gesehen, dass die Lösung mit der Einheitsaktie im Vordergrund steht. Wir wollten weitermachen.»
So schnell war das allerdings nicht klar. Die Bär-Familien stritten sich in immer hektischer verlaufenden Sitzungen über die geeignete Lösung. Klar war, dass der Aktionärsbindungsvertrag nicht länger zu halten war. Ob aber die Bank gleichzeitig verkauft werden sollte, darüber gingen die Meinungen auseinander. Es war der geschasste Mike Bär, selbst Besitzer eines Bär-Aktienanteils in zweistelliger Millionenhöhe, der gegen den Verkauf opponierte. Man stehe gegenüber den Kunden und den Angestellten in der Verantwortung, lautete sein Argument.
Der 42-Jährige zog eine Lösung aus der Schublade, die seit Jahren parat lag: die Einführung der Einheitsaktie. Damit konnten alle Familienmitglieder mit ihren Aktienanteilen tun und lassen, was sie wollten. Diese Lösung fand auch bei Raymond Bär Anklang. Der Bär-Präsident wechselte die Seite und opponierte nun zusammen mit Mike Bär gegen den Gesamtverkauf. Nach wochenlangen Diskussionen und einem heftigen Seilziehen wurde schliesslich im Familienrat abgestimmt – und die Verfechter der Einheitsaktie triumphierten über jene des En-bloc-Verkaufs.
Laut Pressestelle der Bank basiert die Vereinheitlichung der Aktienkapitalstruktur «auf einem mehrmonatigen Entscheidungsprozess». Mit der Unterstützung auch von externen Spezialisten seien verschiedene Optionen diskutiert worden. «Mit der Einheitsnamenaktie wurde die beste Option für alle Stakeholder gewählt», so Pressesprecher Jürg Stähelin.
Am Abend nach der Einführung der Einheitsaktie heizte Bär-Präsident Raymond Bär seinen Kaderleuten an einer Informationsveranstaltung ein. Jetzt gelte die Entschuldigung, dass die Familie bei der Entscheidfindung ständig bremse, nicht länger. Am Rande der Bilanzpressekonferenz im März präzisierte Raymond Bär: «Wir mussten viele Entscheide zuerst im Familienumfeld besprechen, das waren zum Teil sehr langwierige Prozesse.»
Zu reden gab in der Familie immer wieder die strategische und operative Ausrichtung der Bank. Dabei geschah es in der siebenjährigen Führungszeit von Thomas Bär, dass die Zürcher Privatbank in ihre jetzige Krise schlitterte. Der ehemalige Wirtschaftsanwalt der renommierten Anwaltskanzlei Bär & Karrer verpasste es damals, dem Unternehmen eine Erfolg versprechende Strategie zu verpassen. 140 Milliarden Franken Vermögen verwaltet die Bank Bär heute – zu viel zum Sterben, zu wenig, um eigenständig zu überleben – und steht damit auf Platz fünf der Schweizer Vermögensverwalter. Während die Grossbanken UBS und CS im vergangenen Jahr viel Neugeld akquirieren konnten, flossen im Private Banking von Julius Bär 800 Millionen Franken ab. Auch bei den Grossen ist das innere Wachstum schwierig geworden. Doch während die UBS durch Übernahmen kleiner Privatbanken zulegt, fehlen Julius Bär für diesen Weg die nötigen Mittel.
Thomas Bär reagiert auf Fragen zu seiner Rolle kurz angebunden. «Es gibt nichts zu sagen», meinte er am Telefon, dann hängte er auf. Der 68-Jährige soll auch hinter dem vor zwei Wochen beobachteten Verkauf eines grossen Aktienpakets stehen. Anfang März platzierte eine US-Bank rund 200 000 Bär-Aktien zu einem Kurs von 400 bis 406 Franken. Bei der Bank soll es sich laut britischen Bankenkreisen um Goldman Sachs gehandelt haben, die ja Ende 2004 auch die gesamte Bank hätte abstossen sollen. Neben Thomas Bär soll sich gerüchteweise auch Rudolf Bär von einem Teil seiner Aktien getrennt haben.
Trotz den Verkaufsorders hält sich die Bär-Aktie auf hohem Kursniveau. Nach dem rasanten Aufstieg von 350 auf 438 Franken im Zuge der Einführung der Einheitsaktie liegt der Preis weiterhin über der 400-Franken-Grenze.