Seit das Zika-Fieber in Südamerika grassiert und sich Verdachtsfälle häufen, dass betroffene schwangere Frauen Babys mit schwerer Missbildung zur Welt bringen, läuten die Alarmglocken bei den Gesundheitsbehörden. Am 1. Februar erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den «öffentlichen Gesundheitsnotstand internationalen Ausmasses».
Gleichzeitig richtete sie einen dringenden Appell an die grössten Hersteller von Impfstoffen. Mittlerweile haben über ein Dutzend von ihnen, darunter Merck, Pfizer, GlaxoSmithKline und Sanofi, Forschungsteams eingesetzt. Diese sollen in aller Eile einen Impfstoff entwickeln. Doch bis ein wirksamer Schutz auf dem Markt ist, dürfte es nach Einschätzung vieler Wissenschafter mindestens zwei bis drei Jahre dauern.
Bekämpfung der Überträgermücke
Umso stärker konzentrieren sich deshalb die Bemühungen auf die Bekämpfung jener tropischen Stechmückenarten der Gattung Aedes, die das Virus übertragen. Um die Welt gingen Anfang Februar die Bilder von Sprühtrupps. Männer in Schutzanzügen nebelten den berühmten Sambadrom von Rio vor dem Karneval vorsorglich mit Insektiziden ein.
Bereits wird darüber spekuliert, ob an den Olympischen Spielen in diesem Sommer in den Stadien der brasilianischen Metropole zur selben Methode gegriffen wird. Doch Chemiekeule und gesunde Athleten, das passt schlecht zusammen. Fieberhaft wird deshalb nach einem biologischen Schutzmittel gegen die Viren verbreitenden Stechmücken gesucht.
Basler Biotechfirma produziert Spezialstoff
Davon profitieren könnte das Basler Biotechunternehmen Evolva. Die Firma ist darauf spezialisiert, natürliche Substanzen und Wirkstoffe mittels Hefefermentation schneller und günstiger als die Natur zu produzieren. In ihrem Portfolio hat sie unter anderem einen Stoff, der im Soge des Zika-Fiebers plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist: Nootkaton. Eigentlich handelt es sich um einen Duftstoff, der sich in sämtlichen Zitrusfrüchten und auch in einer Zedernart in Alaska findet. Obwohl nur in geringer Konzentration von weniger als 1 Prozent vorhanden, sorgt Nootkaton zum Beispiel dafür, dass Grapefruits so gut riechen.
Dessen Extraktion aus den Früchten ist jedoch aufwendig und teuer. 1 Kilo des von der Lebensmittel- und Kosmetikindustrie begehrten Aroma- und Riechstoffes kostet über 4000 Franken. Wesentlich günstiger und einfacher lässt sich Nootkaton, chemisch ein sogenanntes bizyklisches Sesquiterpen, mittels Hefefermentation gewinnen.
Nootkaton killt Zika-Mücken
Evolva hat Nootkaton im vergangenen Jahr auf dem amerikanischen Markt lanciert und weitet angesichts der Zika-Bedrohung ihre Arbeit daran aus, wie Unternehmen aktuell bekannt gab. Der Stoff ist in den USA für Anwendungen in Lebensmitteln und Kosmetika zugelassen. Er wird nun als Ingredienz in Süssgetränken und Badeseifen eingesetzt. Das soll, wie Firmensprecher Paul Verbraeken erklärt, erst ein Anfang sein. «Nootkaton ist auch ein wirksames Mittel gegen Zecken, Läuse, Ameisen, Termiten, Mücken und weitere Insekten», betont er. Unter anderem killt Nootkaton jene tropischen Stechmückenarten, die das Zika-Virus übertragen.
Wie das genau passiert, wird noch in den Labors untersucht. Dabei arbeitet Evolva intensiv mit der amerikanischen Gesundheitskontrollbehörde (CDC) zusammen. Die amerikanische Umweltschutzbehörde (EPA) hat im August 2015 Nootkaton bereits als biochemische Substanz anerkannt. Mittlerweile läuft das Zulassungsverfahren für Nootkaton als Insektenschutzmittel.
Es dauert bis zur Zulassung
Branchenkenner spekulieren, ob die EPA angesichts der Dringlichkeit der vom Zika-Virus verursachten Probleme den neuen Insektenschutz in einem beschleunigten Prozess durchwinken wird. Verbraeken will von solchen Spekulationen nichts wissen. «Wir rechnen damit, dass es zwei oder drei Jahre dauern wird bis zur Zulassung», sagt er und mahnt zu Geduld.
So oder so stehen die Chancen gut, dass Nootkaton grünes Licht erhält, noch bevor die ersten Impfstoffe gegen das Zika-Virus vorliegen. Nicht auszuschliessen ist allerdings, dass das Zika-Fieber schneller als erwartet abflauen und die Epidemie bis zu diesem Zeitpunkt längst gebannt sein könnte. Gebraucht würde Nootkaton seiner vielen Vorteile wegen wohl trotzdem. Das biologische Insektenschutzmittel lässt sich, im Gegensatz zu chemischen Insektiziden, ohne gefährliche Nebenwirkungen einsetzen. Es ist so sauber für Mensch und Umwelt, dass es in geringen Dosen gar essbar ist.
Frage nach der wirtschaftlichen Bedeutung
Es bleibt allerdings eine Spekulation, was der Durchbruch von Nootkaton als Insektenbekämpfungsmittel für die Basler Firma wirtschaftlich bedeuten könnte. «Wir rechnen in diesem Bereich in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit einem Wachstum des Marktpotenzials auf 600 bis 700 Millionen Dollar», so Verbraeken. Mindestens ein grösseres Stück dieses Kuchens möchte sich Evolva schnappen. Martin Vögtli, Analyst von Research Partners, gibt der Biotechfirma gute Chancen. «Langfristig liegt für Evolva mit Nootkaton als Insektenbekämpfungsmittel ein Umsatzpotenzial von 200 Millionen Dollar drin», schätzt er.
Es wäre viel Geld für das kleine Basler Unternehmen, das mit seinen 150 Mitarbeitern im vorletzten Jahr (die Zahlen für 2015 werden Ende März publiziert) 10,7 Millionen Franken Umsatz erzielte und mit einem Betriebsverlust von 23,2 Millionen Franken tief in den roten Zahlen steckte. Doch wie schnell die börsenkotierte Biotechfirma die Gewinnschwelle erreichen wird, dürfte letztlich nicht allein von Nootkaton abhängen. Die grössten Hoffnungen von Evolva beruhen auf dem kalorienfreien Süssstoff Stevia. Statt diesen aus der gleichnamigen Pflanze zu extrahieren, wollen ihn die Basler ebenfalls aus Hefe fermentieren und als «Eversweet» vermarkten. Die Firma ist derzeit daran, die Produktion in einem Joint-Venture mit dem Nahrungsmulti Cargill aufzugleisen.
Künstliches Stevia
Um die notwendigen Investitionen zu stemmen, hat Evolva im September 2016 eine Kapitalerhöhung durchgeführt und 60 Millionen Franken eingenommen. Seither macht die Aktie wilde Sprünge, wann immer die Biotechfirma Neuigkeiten über den Fortschritt der Eversweet-Produktion verkündet. Doch genauso wie bei Nootkaton gibt es auch bei Eversweet auf dem Weg zum Ziel noch offene Fragen. Zum Beispiel ist schwer abschätzbar, wie die gesundheitsbewussten Konsumenten auf den nun molekulargenetisch veränderten und nicht mehr pflanzlichen Stevia-Süssstoff reagieren werden.