Im angelsächsischen Sprachraum wird der Wettbewerb hochgehalten. Englische und amerikanische Broker liefern sich im Real Fight Club Faustkämpfe, bei denen sie unzimperlich zur Sache gehen. Das Bootsrennen der Studenten von Oxford und Cambridge ist eine Institution. Dieser sportliche Zweikampf soll bei der Battle of the Brains auf die beiden Eliteuniversitäten der Schweiz – die ETH und die HSG – übertragen werden. Nicht mit Fäusten, sondern mit Köpfchen. Was im Boxkampf ein rechter Haken ist, ist hier das strategische Denken, die linke Gerade besteht aus der Fähigkeit zum Teamwork.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Das intellektuelle Kräftemessen findet in Ebnat-Kappel im Toggenburg statt, das auf der Tourismus-Website als «Märchenwelt hinter sieben Bergen» angepriesen wird. Jeweils zwei Fünferteams der ETH und der HSG haben 24 Stunden Zeit, um eine Strategieaufgabe zu lösen. Dann müssen sie ihre Ansätze einer elfköpfigen Jury präsentieren, die aus Chefs verschiedener Unternehmen besteht. Die Studierenden spielen CEO, die CEO bestimmen den Verwaltungsrat. Es ist wie im echten Leben. Von Märchenwelt keine Spur.

Dem Ganzen liegt die Idee von Friedrich Nietzsche zugrunde, dass Begabung sich im Kampf entwickelt. Wer satt und in Seelenfrieden mit sich selbst ist, wird weder Meere noch Märkte erobern. Es braucht Antrieb von innen oder einen Gegner von aussen – oder am besten beides, wie an der Battle of the Brains.

Am Donnerstagabend kommen die Studierenden im Hotel Kapplerhof in Ebnat-Kappel an. Andreas Schönenberger von der Monitor Group hält ein Referat über Teamarbeit, weiter verrät er, dass sich der Case um den Suchmaschinenanbieter Google dreht. So viel für den ersten Abend. Wer clever ist, geht abends an der Bar vorbei, um das Klima bei den anderen Gruppen zu beschnuppern.

Am Freitagmorgen präsentiert Schönenberger den Case: eine Zukunftsstrategie für Google. 1998 gegründet, seit zwei Jahren an der Börse, ist das Unternehmen heute 188 Milliarden Dollar wert. Die Idee basiert auf ethischen Ansätzen, auch wenn diese durch die Kooperation mit der chinesischen Zensurbehörde an Glaubwürdigkeit verloren haben. Google versucht zurzeit, die Allianz zwischen Ebay und Yahoo zu brechen. Microsoft will Google zerstören. Der wahre Gegner von Google kommt aber nicht von aussen, sondern von innen: Das Unternehmen ist über sich selbst hinausgewachsen. Es hat eine Grösse erreicht, die kaum mehr mit der Kultur einer anarchistischen Garagenfirma vereinbar ist. Es wird nicht linear weiterwachsen. Es braucht Strategien für die Zukunft. Und diese sollen die Studierenden nun entwickeln.

«Setzen Sie die Latte nicht zu tief», rät Andreas Schönenberger. Danach gehen die vier Teams mit jeweils einem Coach der Monitor Group in separate Räume. Die Studierenden durchleben jene Selbstorganisationsprozesse, die in Teamprojekten in der Arbeitswelt immer stattfinden: Kompetenz- und Machtgerangel, Rollenverteilungen.

Im ETH-1-Team erklärt ein Student den anderen, wie Google Geld verdient: Google hat am rechten Rand der Website Ads aufgelistet, und wenn jemand diese anklickt, dann zahlt er Google dafür. Die Coverage Rate besagt, wie viele Begriffe Google kommerziell besetzt hat. Die Key Words werden in Auktionen gehandelt; wer mehr bezahlt, erscheint weiter oben. Das HSG-2-Team hat vier Ziele auf einem Plakat niedergeschrieben: «1. gewinnen, 2. beat ETH, 3. have fun, 4. learn as a team.» Auch Leitwerte werden formuliert: «1. einander zuhören, 2. demokratische Problemlösung, 3. Deadlines einhalten, 4. keep smiling.» Weiter steht da, dass man um ein Uhr nachts zu Bett gehe – und in Klammern, «maybe».

Um zehn Uhr vormittags gibt es eine Pause. Die beiden HSG-Teams treffen sich zu Croissants und Kaffee, die ETH-Teams arbeiten durch. «Das ist nicht eine hohe Arbeitsethik der ETH-Teams, sondern ein gutes Zeitmanagement der HSG-Teams», kommentiert eine HSG-Studentin dieses Phänomen.

Um 19.30 Uhr müssen die Teams ihre Ergebnisse abgeben, die dann im Monitor-Sitz in Cambridge zu Charts verarbeitet werden. Wichtig ist, dass sie sich dabei kurz fassen und nicht in endlose theoretische Ergüsse ausschweifen. Dann geht es mit einem Bus eine kurvige Strasse den Berg hoch. Ein HSG-Student sagt während der Fahrt, Google sei ein interessanter Fall. Das Arbeiten in einem Team sei ihm eigentlich vertraut – wenn auch natürlich der Zeitdruck hier deutlich höher sei als an der Universität. Ein Student vom ETH-2-Team sagt, dass sie enorm Zeit verloren hätten, weil sie zu viele Ideen entwickelten. «Irgendwann haben wir uns für einen Vorschlag entschieden – er war nicht perfekt, aber wir ziehen ihn nun einfach durch.»

Die Studierenden kommen in Ennetbühl an. Sie sitzen in einer Scheune an Holztischen, essen Schweinskoteletts vom Grill, Salat, trinken Wasser, einige ein Glas Wein oder Bier, aber nur eines. Man hat das Gefühl, nun in jener Märchenwelt im Toggenburg angekommen zu sein, und möchte gerne verweilen, aber der Tischnachbar findet schon nach neun Uhr, es sei nun allmählich Zeit,um wieder zurückzufahren. Er ist nicht der Einzige. Die Studierenden sind hierhergekommen, um zu gewinnen – und nicht, um zu geniessen.

Die Fahrt geht zurück, die Gruppen haben ihre Charts erhalten, die Nachtschicht beginnt. Nihad Hasagic, der schon mehrmals als Coach bei der Battle dabei war, macht um Mitternacht eine Pause an der Bar. Er sieht strukturelle Ähnlichkeiten der Teams der zwei Universitäten. «Die ETH-Studierenden sind es gewohnt, in kleinen Forschungsgruppen zu arbeiten, und es bildet sich schneller ein Wortführer heraus, was bei schnellen Entscheidungen ein Vorteil sein kann. Unter den HSG-Studierenden dagegen hat es mehr Alphatiere, was zu Konflikten führen kann», sagt Hasagic.

Niemand geht um ein Uhr früh ins Bett. Deshalb wohl kommt dann die Hiobsbotschaft: Das Red Bull ist ausgegangen. Aber es gibt auch Coca-Cola und Kaffee als Alternative. Das ETH-1-Team arbeitet bis nach vier Uhr früh, das HSG-1-Team kommt zu zehn Minuten Schlaf. Die Teams ETH 2 und HSG 2 arbeiten die Nacht durch.

Am Morgen kommen die Juroren an. Jede Gruppe hat 20 Minuten Zeit für die Präsentation, während 10 Minuten muss sie die Fragen der Juroren beantworten. HSG 1 will bei den Kernkompetenzen von Google bleiben: Die Firma habe eine Unmenge von Tools und sehr grosse Cash-Reserven, was Investitionen ermögliche. Es finde heute eine Medienintegration statt. Mehr Menschen nutzten mehr Medien. Und die Bereitschaft, im Internet für Services zu bezahlen, nehme zu. Fazit: Das Unternehmen Google soll ins Sportbusiness einsteigen, indem es die entsprechenden Lizenzen erwirbt. Sport im Internet habe ein grosses Wachstumspotenzial. Emotionalisierung und Universalisierung im Sport seien kompatibel mit der Marke Google. Der Juror Alex Wassmer, CEO der Kibag, sagt: «Es kostet Milliarden, sich in den Sportmarkt einzukaufen. Und es ist ein komplett anderes Business.»

Das Team HSG 2 schlägt vor, stärker in die Zweite Welt und in Schwellenländer vorzudringen, weil diese enormes Entwicklungspotenzial hätten und sich so die Abhängigkeit vom Werbemarkt reduzieren lasse. Kaspar Wenger, CEO der Holcim in Zürich: «Google hat aber ein Problem, seitdem die Firma in China mit der Zensurbehörde kooperiert. Wie will man sich in dieser Hinsicht verhalten?» Ein Student antwortet, dass es hier nur zwei Varianten gebe: Entweder die Chinesen haben gar keinen Zugang zu Informationen, oder aber man kooperiert pragmatisch mit den dortigen Instanzen und agiert innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten. Man glaubt, da vorne stehe der PR-Mensch von Google.

In der Ersten Welt will das HSG-2-Team vermehrt bei Klein- und Mittelunternehmen als Anbieter von Businesslösungen auftreten – ein Ansatz, der innerhalb der Jury polarisiert. Professor Urs Füglistaller vom KMU-Institut der HSG begrüsst diese Strategie: «KMU haben ein grosses Potenzial, sie machen weltweit zirka 90 Prozent der Märkte aus.» Kurt Stirnemann, CEO von Georg Fischer, ist skeptisch: «Was kann Google einem Schreiner hier hinten im Toggenburg denn bieten?»

Das Team ETH 1 präsentiert den Google-Pod – der iPod von Apple soll in Kooperation mit Google mobilen Internetzugang ermöglichen. Dabei soll der Anwender lokalisiert und mit auf seine Bedürfnisse individualisierten Informationen beliefert werden. «In Apple haben wir den idealen Partner gefunden, auf der iPod-Welle möchten wir auch surfen», sagt ein Student. iGoogle soll der beste Freund sein, mit dem man telefoniert, surft, mailt und zahlt. Dann taucht aus der Jury die Frage auf, weshalb Apple eigentlich Interesse an Google haben sollte. Rudolf Fischer, Managing Director der Cablecom, sagt der präsentierenden Gruppe, sie solle sich hypothetisch vorstellen, dass er nun Apple vertrete: «Und jetzt, was haben Sie mir zu bieten? Weshalb soll ich einen Deal mit Google eingehen?» Ein Student antwortet: «Durch unsere Applikationen können wir den iPod attraktiver machen und somit Apple einen Nutzen bringen.»

Einen technologischen Ansatz vertritt das Team ETH 2: Google solle die eigenen Tools verstärkt mit Office-Programmen verbinden – und zugleich sollten Nutzer ihre Dokumente auf Google ablegen können. Für Privatnutzer wäre dies gratis – doch hier wird weiterhin mit Werbung Geld verdient. Für Unternehmen wird dieser Geschäftszweig als Lizenzgeschäft aufgebaut. Im Weiteren werden mobile Services mit GPS-Systemen angeboten. Dieses Team wird dann von der Jury nach der Präsentation als Gewinner erkoren. Beat Spühler, CEO der Bank Hofmann in Zürich: «Diese Strategie ist ganz einfach kohärent.» Danach werden die Ränge verkündet: 1. ETH 2, 2. HSG 1, 3. HSG 2 und 4. ETH 1.

Es sei bezeichnend, dass ein multikulturelles Team gewonnen habe, sagt Kurt Stirnemann. Rudolf Fischer fügt hinzu: «Können wir dies nun auf eine Metaebene verlagern? Können wir etwas daraus ziehen, was die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz angeht?» Kaspar Wenger: «Wir haben keine Rohstoffe. Das Ziel muss lauten, dass die Besten an die HSG gehen und dass die ETH die Nummer eins bleibt. Wir müssen Voraussetzungen schaffen, dass die Talente zu uns kommen und hier forschen. Das ist volkswirtschaftlich enorm wichtig.» Bernhard Plattner, Vizerektor der ETH: «Mit dem Bologna-Modell werden deutlich mehr qualifizierte Studierende bei uns einen Master machen.» Urs Füglistaller ergänzt: «Wir wollen die Leute aber in der Schweiz halten und motivieren sie, schon während des Studiums ein Unternehmen zu gründen.»

Es besteht ein Konsens: Die Leistungen der Studierenden sind hervorragend. Carsten Henkel von der Monitor Group bringt seine Idee nochmals auf den Punkt: Spitzenleistungen würden nur in einem Wettbewerb erzielt. Und es sei wichtig für eine Gesellschaft, dass Leistung honoriert werde. Die Battle of the Brains hat also eine klare Botschaft: Leistungsorientiertheit anstatt kollektive Sicherheit. Das ist eine gesellschaftspolitische Position, die auch in den nächsten Jahren diskutiert werden dürfte. Folglich wird auch die Battle of the Brains ihre Relevanz nicht einbüssen. Weitere Austragungen dürften folgen.

Der Wettbewerb

Bei der Battle of the Brains messen sich je zwei Studententeams der ETH Zürich und der Universität St. Gallen (HSG). Eine Jury aus Wirtschaftsführern beurteilt, wie gut die Gruppen eine Fallstudie innerhalb von 24 Stunden gelöst haben und ihre Lösung anschliessend präsentieren. Organisiert wird der Anlass vom Beratungsunternehmen Monitor Group in Kooperation mit BILANZ. Anfang Juni wurde der Anlass bereits zum fünften Mal durchgeführt. Nach nunmehr fünf Durchgängen liegt die ETH gegen die HSG 4:1 in Führung.