"Sag mal", wendet sich ein Internetnutzer unter dem Decknamen "Tausendmalberührt" in einem der einschlägigen Foren vertrauensvoll an die Netzgemeinde: "Weiss einer, wie ich an die Viagra günstiger rankommen kann als über die teure Apotheke?" Er möchte "mal wieder etwas mehr Sex haben", bekennt er, und ohne potenzsteigernde Mittel wie Viagra sei das für ihn unmöglich. "Obwohl ich erst 40 bin".
Der unbekannte Surfer muss sich nicht mehr lange gedulden. Bislang kostet es für Betroffene wie ihn tatsächlich jedes Mal ein kleines Vermögen, wenn sie zur potenzsteigernden Pille greifen: Elf bis dreizehn Euro pro Tablette müssen sie bislang in der Apotheke für den blauen Heilsbringer namens Viagra berappen.
Ab Ende Juni jedoch ist mit einem Preisrutsch zu rechnen – denn nach fast 15 Jahren, in denen der US-Konzern und Hersteller von Viagra, Pfizer, sein begehrtes Präparat unter dem Schutz einer Exklusivlizenz feilbieten durfte, ist gestern am 22. Juni das Patent ausgelaufen..
Erektionshilfe als Lifestyle-Produkt
Die Konkurrenz steht bereits ungeduldig in den Startlöchern, um sich endlich auch ein Stückchen vom Kuchen rund um die Lust-Pille abzuschneiden. "Viagra ist DAS Lifestyle-Produkt schlechthin", heisst es denn auch hoffnungsfroh bei einem der Generika-Hersteller, bei dem die Vorbereitungen für das Auslaufen des Viagra-Patents schon seit Jahren laufen.
Das Entwickeln und die anschliessende Markteinführung preisgünstigerer Nachahmerprodukte ist zwar das Kerngeschäft dieser Unternehmen. Doch "diesmal" sei alles ganz anders, ist man überzeugt: "Allein die Tatsache, dass die Öffentlichkeit derart Anteil nimmt an der Freigabe des Präparats, erfordere in puncto Produktdesign und Vermarktung völlig neue Massnahmen."
Im Hintergrund wird gern spekuliert über den spannenden Markt. Auf der Suche nach konkreten Details – Wer steigt ein? Wie sehen die Tabletten aus? Zu welchem Preis werden sie zu haben sein? – tappt man im Dunkeln, zu groß ist die Angst, den Patentschutz zu verletzen oder durch vorher preis gegebene Informationen die eigene Wettbewerbsposition zu verschlechtern.
Firmen liefern sich Wettlauf gegen die Zeit
28 Konkurrenten, so die einzige, karge Information, hätten bereits eine Zulassung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bekommen. Und, soviel gilt als sicher: Alle diese Unternehmen werden sich mühen, schon am Tag des eigentlichen Patentablaufs mit ihrer Variante des erektionssteigernden Mittels am Markt zu sein. Es sei ein Wettlauf gegen die Zeit, sagt Bork Bretthauer vom Verband der Generikahersteller Pro Generika.
"Oft sind die ersten Stunden entscheidend dafür, wer künftig das Rennen macht." Entsprechend hat, davon kann man ausgehen, hinter den Kulissen bereits vor Monaten das Anpreisen der Aussendienstler für die günstigeren Alternativpräparate begonnen.
Dabei hatte anfangs keiner geahnt, dass aus dem Wirkstoff Sildenafil ein derartiger Kassenschlager werden würde. Jahrelang hatte der US-Pharmariese Pfizer nach einem Mittel gegen Bluthochdruck geforscht und dabei große Hoffnungen auf den heute in der Viagra enthaltenen Wirkstoff gesetzt.
Auch Jack Nicholson wirft die Pille ein
Als Wissenschaftler zunächst mitteilten, dass die erhoffte Wirkung sich nicht erfüllt hätte, war die Enttäuschung erst einmal gross. Erst mit Verzug wurde klar, dass der Beieffekt – die erektionssteigernde Wirkung, über die die Forscher eher beiläufig und fast amüsiert berichteten – die eigentlich frohe Botschaft war, und zwar für den Konzern wie für Betroffene gleichermassen.
Über Jahrzehnte hinweg waren männliche Probleme mit der Potenz ein Tabu, mit der Lust-Tablette wurde die Sache beherrschbar – und so wurde es sogar gesellschaftsfähig, darüber zu reden. Sowohl Hollywood-Legende Jack Nicholson als auch Tokio-Hotel-Musiker Tom Kaulitz etwa haben laut "Bild"-Zeitung öffentlich eingestanden, die blauen Wunderpillen schon mal ausprobiert zu haben.
Bis heute sind denn auch mehr als 37 Millionen Männer in den Genuss von rund 1,8 Milliarden der potenzsteigernden Tabletten gekommen. Und was das Sexualleben der Betroffenen stimulierte, war naturgemäss auch Aphrodisiakum für die Kassen des Herstellers. Mit einem Umsatz von zwei Milliarden Dollar allein 2012 gehört das Präparat derzeit noch zu den erlösstärksten Medikamenten von Pfizer.
Werbung in jeder Form verboten
Kein Wunder also, dass die Generikahersteller seit Jahren intensiv darüber brüten, wie sie ab dem D-Day Ende Juni – dem Tag des Patentablaufs – dem Viagrahersteller Marktanteile abjagen können. Allzu viel Optionen, sich vom Hersteller des Originalpräparats wie auch vom Nachahmer-Wettbewerb abzusetzen, haben die Firmen allerdings nicht: Da Viagra verschreibungspflichtig ist, ist jegliche Werbung dafür – sei es in Form von Anzeigen oder auch nur durch Ausstellung in Apotheken – verboten.
Was bleibt, um auf sich aufmerksam zu machen, ist neben der Strahlkraft der eigenen Marke die Möglichkeit, das eigene Produkt beim verschreibenden Arzt vorzustellen. Andererseits, natürlich, das Produktdesign – wobei die Anbieter Informationen dazu bis dato ebenfalls wie ein grosses Geheimnis hüten: "Ob sie auf die berühmte rautenförmige Tablettenform sowie auf die blaue Farbe setzen, bleibt abzuwarten", heisst es denn auch vage beim Bundesverband der Arzneimittelhersteller.
Fest dürfte aus Sicht von Branchenexperten nur eines stehen: Während bei anderen Medikamenten oft allein mit Blick auf den Preis möglichst bescheidene Mittel in das Design der Tablettenschachtel und der darin enthaltenen Pille gesteckt wird, werden sich die Anbieter bei dem Life-Style-Produkt Viagra schon mehr Gedanken machen.
Möglichst lange in Deckung bleiben Trotz alledem – wichtigster Wettbewerbsvorteil ist und bleibt der Preis. Wie Raubtiere auf der Pirsch dürften die Hersteller in den letzten Tagen vor Ablauf des Viagra-Patents um die im Netz einsehbare Preisliste für Medikamente herumstreichen, um zu checken, wer sich als erster aus der Deckung wagt.
Deutlich billiger, so viel ist klar, wird es in jedem Fall: Eine Studie, die das IGES-Institut für den Verband Pro Generika durchgeführt hat, ergab, dass ganz allgemein in den Märkten, in denen viele Generikahersteller unterwegs sind, nach zwei Jahren ein Preisvorteil von durchschnittlich 57,2 Prozent gegenüber dem des Originalprodukts zu verzeichnen ist.
Da verwundert es nicht, dass der Erfinder des Wundermittels, Pfizer, bereits in der vergangenen Woche ankündigte, selbst ein Generikum auf den Markt bringen zu wollen – das dann nur noch 2,50 Euro pro Tablette kosten soll. In den vergangenen Jahren waren de facto viele der grossen Hersteller dazu übergegangen, eigene Generikasparten in ihren Unternehmen aufzubauen – auch um so die Umsatzeinbrüche im Zuge der massenhaft auslaufenden Patente zumindest ein Stück weit kompensieren zu können.
Bayer-Patent hat weiter Bestand
Nicht nur Pfizer, auch andere Pharmariesen werden das Treiben der Generikahersteller im Markt für potenzsteigernde Mittel in den kommenden Monaten mit Argwohn beobachten – allem voran Bayer und Lilly Pharma, die mit Levitra und Cialis eigene und auch über Ende Juni hinaus noch patentgeschützte Lust-Pillen im Angebot haben.
Erwartungsgemäss lässt man sich allerdings auch hier wenig Konkretes entlocken: Es sei natürlich immer interessant zu beobachten, wie Mitbewerber auf eine solche Situation reagieren oder sich vorbereiten, heißt es etwa im Hause Bayer.
Man kommentiere jedoch grundsätzlich keine Aktivitäten von Wettbewerbern und konzentriere sich lieber auf die eigenen Stärken: "Levitra mit dem Wirkstoff Vardenafil hat ein eigenes Wirkprofil." Man konzentriere sich auf die Diskussionen mit den Ärzten, um die Vorteile zu verdeutlichen, die sich für die Anwender daraus ergeben.
Patent läuft in mehreren Ländern aus
Weil eine gewisse Anzahl von Patienten derlei Produkte über den Schwarzmarkt bezögen, könne man davon ausgehen, dass sich der Markt für potenzfördernde Mittel künftig sogar noch ausweiten wird, heisst es etwa bei TAD Pharma. Zusätzliches Potenzial schlummere bei den Patienten, die sich aus Scham heute noch gar nicht behandeln lassen.
So oder so bleibt der Markt attraktiv – zumal der Patentschutz für Viagra nicht nur in Deutschland, sondern auch in den meisten westlichen Ländern Europas wie Frankreich und Grossbritannien kommenden Monat ausläuft. "Tausendmalberührt" kann also guter Hoffnung sein, künftig weniger ausgeben zu müssen, um seine Lust zu befriedigen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitung Die Welt.