Aus den siegreichen Zeiten bleiben Benetton die Staubfänger. Eine Fabrikhalle in Treviso, dem Hauptsitz der Modedynastie nördlich von Venedig, beherbergt die Relikte: blaue Rennwagen, mit denen Michael Schumacher die Formel-1-Trophäen für Benetton reihenweise nach Italien fuhr – unter Alessandro Benetton als Chairman. Anfang Juli steht der Familienspross in der Halle für sein eigenes Rennen. In einer Ecke erinnern die Boliden als Museumsstücke an den Glanz der neunziger Jahre, als Benetton auch in der Mode ein Star war. Von der anderen Seite des Raums her heften sich an diesem Tag die Blicke Hunderter Händler auf den 49-Jährigen, der die Firma seiner Familie seit gut einem Jahr als Präsident führt. Und der ihren Verfall aufhalten muss.

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Zwei Stunden lässt Alessandro Benetton seine Manager die Sommerkollektion für 2014 vorführen, die neue Werbekampagne, Ideen für ein aufgepepptes Shopdesign – und Zahlenreihen: über Jahre schrumpfende Marktanteile. Der neue Chairman will das ändern und krempelt Produktion, Vertrieb, die ganze Arbeitsweise um. Zu den Kollektionsshows gibt es nun immer neue Details des Umbauplans. Benetton wird fortan häufiger neue Modetrends in die Läden bringen als nur viermal pro Jahr wie bisher. Die Filialisten müssen neue Looks nun komplett ordern – inklusive der passenden Accessoires –, statt dass sie Einzelteile herauspicken können. Immer mehr wird online abgewickelt. So, hofft Alessandro Benetton, wird die Modemanufaktur schnell, stylish, stark. Anders als heute.

Die neue Benetton-Generation kämpft um ihr Erbe. Der Sohn von Firmengründer Luciano Benetton versetzt dem ertragsschwachen Modehaus einen heilsamen Schock. «Er stösst einen wichtigen Umbau an, er ändert die Firmenkultur», sagt ein langjähriger Händler. Alessandro Benetton will die gigantische Kluft zu den Marktführern H&M und Zara schliessen, die günstiger produzieren und Modetrends aus dem Stand parat haben. Schlankere Prozesse, niedrigere Produktionskosten und ein höherer Absatzanteil in Asien sollen dem Gewinn aufhelfen und im Konkurrenzkampf niedrigere Preise ermöglichen. Hippe Labels und Läden sollen jüngere Kunden anlocken.

Fatale Fehler. Der Wandel tut not. Konzernkenner sehen in Alessandro Benetton die letzte Chance für die Firma. Ihr Umsatz stagniert seit Jahren bei zwei Milliarden Euro. Benettons Gewinn halbierte sich bis 2011 innert fünf Jahren auf 73 Millionen Euro, während fast alle Konkurrenten zulegten. Voriges Jahr kaufte die Familie die ausstehenden 25 Prozent der Aktien zurück und nahm ihre Firma von der Börse. So entrann sie dem Druck des Finanzmarkts, aber nicht dem der Kunden. «Benetton kommt als Marke verstaubt daher. Vor 15 Jahren war in den Läden richtig etwas los. In den vergangenen Jahren wurden potenzielle Kunden kaum mehr zielgenau und kreativ angesprochen», sagt Luxusexperte Stefan Hencke, Professor für Betriebswirtschaft und Designmanagement in Trier.

Die Alten im Hause Benetton zögerten lange, ihre Firma an die neue Generation weiterzureichen. Sie wollten Benetton selbst zum Erfolg zurücksteuern und wie in den achtziger und neunziger Jahren mit preisgünstiger Qualität und bunten Gutelaunestoffen punkten. Doch Modetrends wechseln heute so schnell wie noch nie, und Grosskonzerne wie Inditex aus Spanien mit seinem Label Zara oder H&M schöpfen den Trendsettermarkt ab, bevor Benetton mit seinen alten Strukturen reagieren kann. Eine Riege Manager verschliss Luciano Benetton und bekam die Firma nicht in die Spur.

Dabei wartete längst eine neue Kraft. 2007 stieg Alessandro Benetton zum Vize-Chairman neben dem Vater auf, der Benetton mit seinen drei Geschwistern 1965 gegründet hatte. Seine ersten Sporen hatte sich der Sohn bei Goldman Sachs und als Gründer der Fondsgesellschaft 21 Investimenti längst verdient. Doch sein Vater hielt an der Macht fest. Ende 2011 knurrte Alessandro Benetton, in anderen Industrieländern arbeiteten 75-, 80- oder 85-Jährige als Berater. «Bei uns aber bleibt die alte Generation so lange an der Macht, bis sie irgendwann zum Gehen gezwungen wird.» Erst voriges Jahr, mit bereits 77 Jahren, übergab der Patron das Zepter an ihn, der längst auf die 50 zugeht. Im Mai dieses Jahres übernahm je ein Nachkomme der drei anderen Benetton-Familienzweige den Platz der Eltern im Firmenverwaltungsrat.

Der Frust des Wartens war offenbar gross, genauso die Sorge vor der Aufgabe. Als Alessandro Benetton im Mai 2012, einen Monat nach seinem Start als Chairman, vor Studenten in Rom sprach, riet er ihnen: «Bleibt jung in einer Welt, die nur Platz für alte Männer zu haben scheint.» Ihre Väter hätten nicht die Gewinnformeln für sie. «Die schwierige Aufgabe, die heute auf euch wartet, ist, etwas völlig Neues zu kreieren.»

Das Neue für Benetton hat er angestossen – und es ist schwierig. Eine «komplexe Phase», eine «kritische Zeit», so nannte Alessandro Benetton bei seinem Amtsantritt die Situation. Mindestens zehn Jahre habe Benetton verschlafen, sagt ein Händler. So fertigten Benettons Schneider bisher für Kollektionen rund hundert Prototypen aufwendig von Hand, damit die Händler sie begutachten und bestellen konnten. Alessandro Benetton macht Schluss damit. Ab dieser Sommerkollektion werden die Modelle nur noch online gezeigt und dort bestellt. Über ein Jahr brauchte Benetton bisher für eine neue Kollektion, wenige Monate sollen es werden – längst Standard bei Rivalen.

Lücken in der Schweiz. «Ich bin sehr froh über diese Entwicklung», sagt Alexandre Marangoni, der seit 1978 als Generalagent für Benetton in der Schweiz Händler betreut. Mit seiner Firma Alexandre sitzt Marangoni in Villars-sur-Glâne gleich neben Cartier und hofft, durch den Wandel Modetrends nun schneller aufschnappen zu können. «Das neue System ermöglicht, aktueller an der Mode zu sein. Die Käufer suchen nicht nur Qualität, sondern neue Trends.»

In der Schweiz sieht Marangoni nun Platz für mehr als die bisher 65 Läden. «Drei bis fünf Geschäfte kann man sicher eröffnen», sagt er. In Winterthur, St. Gallen oder in Zürcher Shoppingzentren sehe er gute Chancen. Zumal sich Alessandro Benetton auch in der Expansion von alten Blockaden löse. Im Gegensatz zum Vater sei der Sohn aufgeschlossen gegenüber der Idee, das Label auch in Warenhäusern und grossen Modehäusern als Shop-in-Shop anzubieten.

Die weltbekannte Marke stützt den Neustart. United Colours of Benettons provozierende Werbemotive von Aids-Kranken bis zu küssenden Regierungschefs wirken selbst heute nach – auch wenn der neue Chairman lieber mit freundlichen Motiven wirbt und die Mode bunt in Szene setzt.

Neuer Style. Ein wichtiger Pfeiler ist auch Sisley, das höherpreisige und erfolgreichere Label der Gruppe. Genauso interessant könnte künftig eine Idee des Gründersohns sein. Er möchte die alte Marke Playlife beleben. In Shops wie Wohnungen, in denen hippe Kleidung in Bad, Küche und Wohnzimmer zum Kauf liegt, in denen es coole Velos, Uhren, Kameras gibt, will Alessandro Benetton eine junge Klientel anlocken. Für sie könnte die Gruppe so wieder attraktiv werden. Benettons Kunden sind dagegen mit der Marke gealtert.

Auch nach Asien, von wo nur rund 15 Prozent des Umsatzes stammen, will sich Benetton öffnen, sagen Händler. Dort warten lukrative Wachstumsmärkte. Stattdessen ist Benetton abhängig von Italien, in dessen schwachem Markt die Gruppe die Hälfte der Erlöse einnimmt. Voriges Jahr besuchte Alessandro Benetton Indien und Japan. Er wolle die Vorlieben der Kunden dort kennen lernen, sagte er. Im Ausland beginnt Benetton bereits damit, auch die Produktion umzustellen, um wiederum Kosten zu senken. Seit einigen Monaten prüft das Management laut Firmenkennern, ob es unrentable ausländische Produktionsstätten verselbständigen könnte. Die Idee: Diese könnten so Aufträge anderer Labels annehmen und durch steigende Mengen dann profitabler arbeiten.

Der moderne Schlag, den Alessandro Benetton in die Familienfirma bringt, macht vor ihm selbst nicht halt. Als er im Juli die Händler traf, erzählte er in Zwiegesprächen, wie er sich den künftigen Weg vorstelle: ohne One-Man-Show. Dirigierte sein Vater Luciano die Firmengeschicke beinahe komplett selbst, installiert sein Sohn ein international versiertes Managementteam. Es brauche noch einige Köpfe mehr darin, sagte Alessandro kurz vor der Show in Treviso im kleinen Kreis. Dann wolle er sich stärker zurückziehen. Es ist ein weiser Zug, denn Alessandro Benetton hat gelernt, Finanzen und Prozesse zu steuern – ein Profi-Modehändler war er nie. In der Mode aber gelingt wie in der Formel 1 nur den Besten der Sieg.