Bologna war 1999 Gastgeberin von 32 Regierungsvertretern. Diese haben die Erklärung von Bologna über den «Europäischen Hochschulraum» unterzeichnet und sich verpflichtet, bis 2010 auf das dreistufige System Bachelor-, Master- und Doktoratsstudium überzugehen.
Die Schweizerische Universitätskonferenz (SUK) hat im Dezember 2003 ihre Richtlinien zur Bologna-Studienreform verabschiedet. An den Schweizer Universitäten ist die Umstellung in vollem Gang. Der Bachelor (BA) soll nach mindestens drei Jahren einen vollwertigen Abschluss testieren, der Master (MA) die wissenschaftliche Vertiefung bieten. Neue Credit-Systeme ermöglichen dank modular aufgebauter Studiengänge Durchlässigkeit, das heisst den Wechsel in andere Studienrichtungen ohne Zeitverlust infolge Anrechnung bisheriger Ausbildungsmodule. Für die Universitäten bedeutet diese Studienreform einen Paradigmenwechsel. Erstmals soll das Studium nicht ausschliesslich auf die Wissenschaft ausgerichtet sein, sondern auf die Berufsfähigkeit der Studierenden.
Schwieriger Balanceakt
Die Herausforderung für die Universitäten besteht darin, die Wissenschaftlichkeit des Bachelorstudiums nicht zugunsten von Berufsqualifikationen zu vernachlässigen. Andererseits soll ein berufs- und marktnäheres Studium sichergestellt werden. Die Schwierigkeit besteht darin, die Balance zwischen Berufsqualifikation und Wissenschaftlichkeit zu halten.
Nichts von sich hören lassen
Die Reform scheint in der Schweiz in einer kritischen Phase zu sein. Einzelne Universitäten wie die HSG bieten bereits ein vollwertiges Studium zum BA an, die ersten Absolventen werden den Studiengang diesen Herbst abschliessen. Andere Universitäten sind mitten in diesem Prozess und werden bald ebenfalls einen Bachelor anbieten. Das Gleiche gilt für die Fachhochschulen. Die Wirtschaft und die öffentliche Verwaltung lassen noch nichts von sich hören. Schüler, Studenten und Unternehmen, denen «Bologna» noch nicht geläufig ist, sind verunsichert und haben sich noch nicht positioniert.
Schon heute gibt es Lehrveranstaltungen mit Praxisbezug. In Fallstudien wenden die Studierenden die Theorie direkt auf aktuelle Unternehmenssituationen an. Diese Bemühungen um mehr Praxisbezug sind indessen noch zu verstärken, sollen Absolventen ausreichend auf den globalisierten Arbeitsmarkt vorbereitet werden.
In dieser Situation ist die Wirtschaft gefordert, denn sie will den Nachwuchs ins Berufsleben integrieren. Die Unternehmen und Berufsverbände müssen auf die Universitäten zugehen und ihnen erklären, wen sie mit welchen Qualifikationen in Zukunft brauchen. Auch dies ist ein Umdenken: Der Markt wird vermehrt die Inhalte der Aus- und Weiterbildung der Studierenden bestimmen.
Die Akademie für Wirtschaftsprüfung zählt heute über 1000 Studierende, die von 180 Dozenten ausgebildet werden. Die Treuhand-Kammer, der Berufsverband der Wirtschaftsprüfer und Steuerexperten, hat sich frühzeitig mit der neuen Entwicklung befasst und die Auswirkungen der Studienreform auf die Aus- und Weiterbildung zum eidg. dipl. Wirtschaftsprüfer analysiert. Die Akademie für Wirtschaftsprüfung hat ihre Schlussfolgerungen bereits in die Tat umgesetzt und bietet den erstmals in diesem Herbst an der Universität St.Gallen abschliessenden Bachelors eine berufsbegleitende Weiterbildung zum dipl. Wirtschaftsprüfer an. Den Studierenden, welche sich beispielsweise für ein Masterstudium in «Finance und Accounting» entscheiden, wird ein erleichterter direkter Zugang zur Prüfung als dipl. Wirtschaftsprüfer geboten.
Bachelor-Absolventen steigen direkt nach ihrem Universitätsabschluss in eine WP-Unternehmung ein und erleben dort eine erste «busy season». Danach besuchen sie während einiger Monate die Akademie und absolvieren dort fünf der sechs Ausbildungsmodule zum dipl. Wirtschaftsprüfer. Nach einer weiteren Praxis absolvieren sie das letzte Ausbildungsmodul an der Akademie und können nach einer insgesamt dreijährigen Fachpraxis die Diplomprüfung als Wirtschaftsprüfer ablegen.
Die Vorteile dieses Modells liegen für die Studierenden darin, dass sie direkt nach ihrem Studium praktische Erfahrungen erwerben und gleichzeitig eine berufsbegleitende Weiterbildung betreiben können, und dies bei Vollzeitanstellung in einem Unternehmen. Die Studierenden sind von Anfang an mit Kunden und Kollegen konfrontiert, verlieren den Bezug zur Ausbildung nicht und gewinnen durch einen umgehenden Praxiseinsatz Zeit in der beruflichen Ausbildung. Für die Unternehmen bietet sich der Vorteil, dass die Studierenden im praktischen Einsatz ausgebildet und gefördert werden können und dass durch die zeitliche Staffelung von Ausbildung und Praxis der vom Kunden gewünschte kontinuierliche Prüfungs- und Beratungsprozess gleichwohl sichergestellt werden kann.
Wichtiges Bindeglied
Nicht alle Studenten sind bereit, eine mindestens fünfjährige Universitätsausbildung bis zur Masterstufe zu absolvieren. Auch die Universitäten können nicht daran interessiert sein, Bachelors unbeschränkt in ein Masterstudium aufzunehmen. Junge Leute streben heute danach, möglichst rasch in die Arbeitswelt aufgenommen zu werden. Die Möglichkeit, später noch einen Master zu erwerben, bleibt ihnen eventuell sogar berufsbegleitend unbenommen.
Berufsakademien sind ein wichtiges Bindeglied zur Wirtschaft, um das Ziel der Studienreform zu erreichen, nämlich den Nachwuchs möglichst rasch und sowohl akademisch wie auch berufsspezifisch bestens ausgebildet in die Unternehmen zu integrieren.
Hanspeter Thiel, VR-Präsident, und Stefan Huser, Direktor (beide dipl. Wirtschaftsprüfer), Akademie für Wirtschaftsprüfung, Zürich.