Die ABB ist zurück. Und noch bevor ABB-Chef Jürgen Dormann in der «Weltwoche» Ende August verkündete, dass für das Unternehmen das Ende des Tunnels erreicht sei, hatten die Hochschulabsolventen reagiert: In einer Umfrage des schwedischen Beratungsunternehmens Universum über den idealen Arbeitgeber erhielt das einstige Sorgenkind der Schweizer Wirtschaft einen gewaltigen Vertrauensbonus. Die ABB rangiert bei den Absolventen im Bereich Ingenieur- und Naturwissenschaften wieder auf Platz eins der Beliebtheitsskala. Das Unternehmen war in den vergangenen zwei Jahren kräftig abgestraft worden: Vom ersten Platz im Jahr 2002 war es auf den vierten Platz im letzten Jahr abgerutscht (siehe PDF, Artikel zum Thema «Die beliebtesten Arbeitgeber: Die top 50 der Wirtschaftsstudenten» und «Die beliebtesten Arbeitgeber: 2000–2004: Top ten der Wirtschaftsstudenten»).
«Wir freuen uns sehr über den ersten Platz in der Kategorie Ingenieure und Naturwissenschaftler», sagt Melanie Nyfeler, Sprecherin der ABB Schweiz. Die ABB wurde von 21 Prozent der Studenten als «idealer Arbeitgeber» und von 7 Prozent als «first choice employer» bewertet.
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Jedes Jahr stellt ABB Schweiz etwa 30 Hochschulabsolventen ein. Im letzten Jahr gingen 1320 Bewerbungen bei dem Unternehmen in Baden ein. «Viele wissen um das internationale und multikulturelle Arbeitsumfeld und unsere offene Kommunikationskultur», sagt Sprecherin Nyfeler. «Es hat sich herumgesprochen, dass die Entwicklungsmöglichkeiten bei uns gross sind.» Genau die sind es, die bei der heutigen Generation von Berufsanfängern nach dem Studium besonders gefragt sind.
«Das Verhalten von Hochschulabsolventen ist ein ziemlich genauer Indikator für das Image eines Unternehmens in der Öffentlichkeit», sagt Roger Manfredsson, der bei Universum in Stockholm die Ergebnisse der jährlichen Untersuchung ausgewertet hat. Die knapp 20 000 Hochschulabsolventen, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt kommen, beobachten den Arbeitsmarkt und die Firmen sehr genau – schliesslich geht es dabei um eine wichtige Lebensentscheidung: Wo soll man die ersten Karriereschritte machen?
Während bei den jungen Ingenieuren vor allem der Turnaround bei der ABB gewürdigt wurde, haben die jungen Wirtschaftswissenschaftler und BWL-Absolventen auf den in ziemlich schlechtem Licht dastehenden Finanzkonzern Credit Suisse geachtet. Lag das Unternehmen vor zwei Jahren noch auf dem ersten Platz vor UBS und Coca-Cola, rutschte es im Jahr 2003 auf den vierten Rang ab. Die Krise des Unternehmens hatte die Absolventen offensichtlich verunsichert. Kein Wunder, denn wo Stellen abgebaut werden, wittert kaum noch einer Karrierechancen. Dreht sich der Wind, sind die jungen Talente auch schnell wieder bereit, auf den Zug aufzuspringen.
«Die Absolventen spüren ziemlich gut, wo es kriselt und wo sich die Dinge zum Guten wenden», sagt Roger Manfredsson, Country Manager Schweiz. Schlagendes Beispiel ist Apple: Vor zwei Jahren tauchte das kalifornische Unternehmen noch nicht einmal im Universum-Ranking unter den top 50 auf. Im letzten Jahr war es auf Platz acht. In diesem Jahr liegt es hinter ABB und IBM auf dem dritten Platz. Selbst bei den Absolventen der Wirtschaftswissenschaften hat das Unternehmen gewaltig aufgeholt. Vor drei Jahren erschien es im Universum-Ranking noch nicht; letztes Jahr wählten es die BWLer und Wirtschaftwissenschaftler auf Platz 30, in diesem Jahr nun landen die Väter und Mütter des Mac auf Platz 11.
Damit spiegelt sich in der gestiegenen Gunst der Absolventen das Comeback des Unternehmens wieder: Mit dem iPod und dem digitalen Music-Store iTunes hat es in den vergangenen eineinhalb Jahren eine marktbeherrschende Position erreicht. Ein neues und innovatives Betriebssystem, das im letzten Jahr eingeführt wurde, hat Apples Image eines dynamischen Technologieunternehmens neu belebt. Kein Wunder, dass hier Absolventen eine Chance wittern.
Aber nicht nur Veränderungen in den Unternehmen haben eine Auswirkung auf die Präferenzen der Absolventen. Auch der Zeitgeist hinterlässt seine Spuren. Zu Zeiten der New Economy waren es Start-ups, die den Absolventen mit der Aussicht auf den grossen Reichtum und ein spannendes Umfeld attraktiv erschienen. Hoch im Kurs standen in jener bewegten Zeit die Beratungsfirmen. Seitdem die Branche Schwierigkeiten hat und ins Gerede gekommen ist, ist die Bewertung gesunken.
Beispiel McKinsey: Rangierten die Edelberater im Jahr 2001 für die Wirtschaftsstudenten noch auf dem 8. Platz der idealen Arbeitgeber, rutschten sie ein Jahr später auf Platz 14, dann auf 23, um schliesslich in diesem Jahr auf Platz 25 zu landen. Die Boston Consulting Group (BCG) ist vom 12. Platz im Jahr 2001 auf den 39. Platz heuer abgerutscht. «In den letzten zwei Jahren sind in den Medien die Unternehmensberatungen allgemein abgestraft worden», sagt Thomas Gartenmann, bei der Boston Consulting Group für das Rekrutieren von jungen Talenten verantwortlich. «Das hat natürlich auch bei der Wahrnehmung von uns Spuren hinterlassen.»
Das stört ihn allerdings nicht gross. Über mangelnde Bewerbungen kann sich Gartenmann nicht beklagen. Das Unternehmen rekrutiert den Nachwuchs hauptsächlich unter den Absolventen der Universität St. Gallen und der ETH Zürich. Dort sei das Interesse für den Einstieg bei BCG ungebrochen: «Wir haben jetzt deutlich mehr Bewerbungen als zu den Spitzenzeiten um das Jahr 2000 herum», sagt Gartenmann.
«Junge Leute reagieren während des Studiums sehr sensibel auf gesamtwirtschaftliche Veränderungen, denn die sind ja für den Erfolg ihrer Zukunftsplanung entscheidend», sagt Experte Roger Manfredsson. «Wir sehen, dass vermehrt auf die sicheren Werte gesetzt wird.» Das beste Beispiel sei die steigende Beliebtheit der öffentlichen Verwaltung, vor allem des Bundes. Um die Jahrtausendwende tauchte der Bund als idealer Arbeitgeber in den Rankings nicht auf. «Zu sehr erschien die Karriere in den Start-ups, Banken oder Beratungsunternehmen verlockend», kommentiert Manfredsson.
Heute ist Sicherheit angesagt, und wenn überall restrukturiert und abgebaut wird, ist sogar eine Tätigkeit in der Verwaltung eine attraktive Alternative. Im letzten Jahr rangierte die Bundesverwaltung noch auf dem 16. Platz. In diesem Jahr ist sie auf Platz 10 vorgerückt. Auch die Nationalbank, die 2004 erst zum zweiten Mal im Ranking auftaucht, hat sich gemacht: Von Platz 22 ist sie auf Platz 17 vorgerückt.
«Es gibt allerdings auch eine Reihe von Unternehmen, bei denen eine Erklärung für den Auf- oder Abstieg in unserem Ranking nicht so einfach zu erklären ist», sagt Roger Manfredsson. Weshalb etwa die Swatch Group in der Beliebtheit der Studierenden der Wirtschaftswissenschaften von Platz 9 auf Platz 22 gerutscht ist, sei ebenso wenig klar wie der Abstieg der Swisscom von Platz 14 auf Platz 28. Hingegen braucht es weder Fantasie noch allzu ausgeprägtes analytisches Geschick, die schlechte Platzierung der Swiss (Platz 31) zu erklären.
Mit den jährlichen Umfragen von Universum lassen sich interessante Entwicklungen verfolgen. Seit 1998, als die Universum-Unfrage zum ersten Mal durchgeführt wurde, hat sich in der Einstellung der Hochschulabsolventen viel verändert. Ihre Ansprüche und Wünsche spiegeln die Veränderungen wider, welche sowohl Wirtschaft wie Gesellschaft durch die Hoffnungen auf den New-Economy-Boom und die anschliessende Ernüchterung und pessimistische Grundstimmung durchgemacht haben. In den letzten Jahren lässt sich ein gestiegenes Sicherheitsbedürfnis bei den Absolventen ausmachen.
«Man setzt wieder auf feste Werte», sagt Niclas Jernberg, Director of Sales Europe von Universum. Ungebrochenes Vertrauen in die Zukunft hat einer grossen Ernüchterung Platz gemacht. Etwa ein Drittel der Absolventen wünschen sich von ihrem künftigen Arbeitgeber eine gute Altersvorsorge. Bei den Studenten und Studentinnen der Ingenieur- und Naturwissenschaften zeigt sich diese Absicherungsmentalität besonders stark. Die Bedeutung einer guten Alterversorgung hat sich bei ihnen in nur fünf Jahren verdoppelt.
Bei den Wirtschaftsstudenten, von denen schon 2001 über 20 Prozent auf Sicherheit im Alter einen besonderen Wert legten, ist die Bedeutung nochmals um ein Drittel gestiegen. Damit wird deutlich, dass die Diskussion um die Krise bei der AHV, um unsichere Pensionskassen und Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Versorgung im Alter bei der jungen Generation angekommen ist. Hier beweist eine Generation, die noch mehr als vierzig Jahre vom Pensionsalter entfernt ist, einen beachtlichen Realitätssinn: «Die wollen nichts dem Zufall überlassen», meint Jernberg.
Die Sicherheit des Arbeitsplatzes wird heute höher gewichtet als vor einigen Jahren. Im Jahr 2001 war nur für fünf Prozent der Wirtschaftsabsolventen und für etwa zehn Prozent der Studenten der Ingenieur- und Naturwissenschaften eine sichere Anstellung wichtig. Heute finden 15 beziehungsweise 23 Prozent die krisensichere Stelle erstrebenswert.
«Das ist nicht weiter erstaunlich, da der Arbeitsmarkt auch für gute und sehr gute Leute nicht mehr allzu viel hergibt», meint Roger Manfredsson. Die Generation, die in diesem Jahr die Universität verlässt, hat lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Am deutlichsten wird das an der Bedeutung, die etwa Aktienoptionen oder der Gewinnbeteiligung beigemessen wird. Wollten noch im Jahr 2001 etwa ein Drittel der Absolventen der Wirtschaftswissenschaften Optionen auf Aktien ihrer künftigen Arbeitgeber als festen Bestandteil der Bezahlung, fordern das heute als letzte Optimisten nur noch ganze zehn Prozent.
Obwohl immer noch viele Firmen von ihren Mitarbeitern unternehmerisches Handeln fordern und die Angestellten zu Motivationszwecken am Gewinn beteiligen wollen, hat dieser Lohnbestandteil in den letzten Jahren deutlich an Boden verloren. Auf den Gewinn der Unternehmen vertrauen immer weniger. Nur noch etwas mehr als 27 Prozent wollen heute am Profit beteiligt werden – als die grossen Gewinne im Jahr 2001 flossen, waren es noch 35 beziehungsweise 41 Prozent. Die heutige Generation wertet Immaterielles höher: Geld, das zeigte der Börsen-Crash, zerrinnt schnell. Stattdessen wünschen die Befragten eine hohe Lebensqualität und solide Zukunftschancen. Die Zauberwörter heissen Work-Life-Balance und Employability. Unternehmen, die heute Toptalente von morgen an sich binden wollen, müssen sie entsprechend nicht mehr mit Geld überhäufen – vielmehr sind Arbeitszeiten gefragt, die es den Mitarbeitern gestatten, Beruf, Familie und Freizeit miteinander zu kombinieren.
Etwa vierzig Prozent der von Universum Befragten gaben an, dass sie flexible Arbeitszeiten verlangen. Dieser Anteil hat sich seit der ersten Befragung im Jahr 1998 mehr als verdoppelt. Die meisten der von Universum befragten Absolventen wollen etwa 40 Stunden pro Woche arbeiten. Die Unternehmen werden sich einiges einfallen lassen müssen, um diese Talente bei der Stange zu halten, denn was sie ihren Führungskräften derzeit zumuten, ist mit den Ansprüchen der heutigen Generation der Berufseinsteiger nicht mehr zu vereinbaren.
Die Generation der Manager, die bereit war, sich für das Unternehmen gesundheitlich zu ruinieren, wird aussterben. Nach einer Studie des deutschen Beratungsinstituts Kienbaum arbeiten die Führungskräfte der Schweiz mit durchschnittlich 57 Wochenstunden europaweit am längsten. In der EU liegt der Durchschnitt der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit bei 40 Stunden. In den letzten Jahren hat die berufliche Belastung zugenommen: Die Arbeitszeiten steigen wieder an, gleichzeitig sind die Angestellten aber weniger bereit, sich solchem Druck zu beugen. Nicht nur Berufseinsteiger, sondern auch jüngere Manager wollen nicht mehr einen so grossen Teil ihrer Zeit für die Firma opfern. Immer weniger sind sie bereit, sich für ein Unternehmen aufzureiben.
Dahinter steckt ein Trend, der in ganz Europa zu beobachten ist. Schon Ende der Neunzigerjahre hat die EU eine Direktive zur Begrenzung der Arbeitszeit erlassen. Länder wie Frankreich oder Deutschland haben in der Folge die Wochenarbeitszeit auf deutlich unter 40 Stunden pro Woche gesenkt, ohne allerdings die tatsächlich vom Management geleistete Arbeitszeit wirklich zu beschränken. Auch dort, wo die 35-Stunden-Woche herrscht, schuftet die Führungsetage im Schnitt wöchentlich immer noch mehr als 50 Stunden.
In verschiedenen Umfragen beklagen mehr als 60 Prozent zu lange Arbeitszeiten. Kein Wunder, denn schliesslich lässt der moderne Lebensentwurf für eine ausschliessliche Konzentration auf Beruf und Karriere keinen Platz mehr. Da sind die Kinder, um die man sich kümmern will, und auch auf den ebenfalls berufstätigen Partner muss Rücksicht genommen werden. Kaum eine Familie ist noch bereit, einen Elternteil zu tolerieren, der vor dem Frühstück das Haus in Richtung Büro verlässt und erst zurückkommt, wenn alle schlafen. Unternehmen sollten mit diesem Bedürfnis rechnen. «Ob sie ihm auch Rechnung tragen wollen, hängt von der jeweiligen Unternehmenskultur ab», sagt Manfredsson.
Nicht nur die Lebensqualität muss stimmen, ebenso wichtig sind für Absolventen intakte Zukunftschancen. «Wir sehen, dass nicht mehr das schnelle Geld im Mittelpunkt steht, sondern dass die Absolventen sehr stark auf die Erhaltung der eigenen Arbeitsmarktfähigkeit achten», sagt Manfredsson. Da es den sicheren Job bis zum AHV-Alter nicht mehr gibt und sich die meisten Talente mit Routinetätigkeiten auf die Dauer langweilen würden, ist der Wechsel schon vor dem Antritt des ersten Jobs programmiert. Wer seine Zukunft sichern will, legt Wert darauf, dass er später wechseln kann.
«Dafür ist eine ständige Weiterbildung entscheidend», sagt Roger Manfredsson. Zwischen 30 und 40 Prozent erwarten eine firmeneigene Fortbildung. Aber für die spätere Karriere sind nicht nur die absolvierten Kurse von Bedeutung, sondern was man an Leistung vorzuweisen hat. Entsprechend verlangen die Absolventen zunehmend die Möglichkeit, sich mit anspruchsvollen und immer schwierigeren Projekten profilieren zu können. In den letzten Jahren hat vor allem ihre Bereitschaft zugenommen, Verantwortung zu übernehmen. Heute wollen etwa ein Viertel aller Wirtschaftsabsolventen vollverantwortlich Aufgaben im Bereich Management und bei Projekten übernehmen. Sie suchen Jobs mit zunehmenden Herausforderungen. Nur so erhält man seine Employability und kann künftigen Arbeitgebern demonstrieren, was in einem steckt.
Allen ist klar, dass man nur eine Chance hat, wenn man durchstartet.