Kein Unternehmen will sich Diskriminierung vorwerfen lassen. Nach den Diversity Managern halten in der Schweiz nun anonymisierte Bewerbungen Einzug. Den ersten bedeutenden Schweizer Versuch hat Migros Genf im Frühjahr dieses Jahres durchgeführt. Ein Grund dafür ist, dass der anonyme CV (Lebenslauf) in Frankreich für Firmen mit mehr als 50 Mitarbeitern obligatorisch ist - Migros France zählt 579 Angestellte. Ebenfalls betroffen vom neuen Arbeitsgesetz sind rund 500 Schweizer Firmen mit 75000 Angestellten in Frankreich.
Die bisherigen Erfahrungen aus dem Kanton Genf sind nicht eindeutig: «Einerseits verdoppelte die Anonymisierung der CVs bei der ersten Sichtung den administrativen Aufwand», sagt Isabelle Vidon, Sprecherin von Migros Genf. So habe man auf den einzelnen CVs Angaben wie Name, Alter, Zivilstand, Geschlecht und das Foto mühsam einzeln gelöscht. Andererseits beschleunigten entpersonalisierte Lebensläufe den Auswahlprozess für die Rekrutierer, weil nur der berufliche Rucksack ausgewertet werden musste.
*Axa-Versicherung als Pionier*
Vom Pilotversuch hätten vor allem die Bewerber profitiert, weil sie unabhängig von Alter, Name, Herkunft und Geschlecht ausgelesen worden seien, so Vidon.
«Auf Konzernebene ist noch offen, ob diese Art der Bewerbung eine Chance hat», sagt MGB-Sprecherin Nathalie Eggen. Vorerst würden die Resultate des Pilotprojekts abgewartet.
Als Vorreiter in Europa gilt der französische Versicherungskonzern Axa. Er hat den anonymen CV bereits Anfang 2005 lanciert, knapp ein Jahr bevor die Regierung ihn gesetzlich durchsetzte. «Bei uns erfolgen alle Bewerbungen mittels standardisierter Vorlage im Internet», erklärte Axa-Sprecher Jan Balat. Ob Axa bei der Schweizer Tochter Winterthur diese Methode ebenfalls einführen will, ist nicht bekannt.
Auslöser für die neue Rekrutierungspraxis bei Axa war ein Bericht über Diskriminierung, den der frühere Axa-Präsident Claude Bébéar für den damaligen Premierminister Jean-Pierre Raffarin gemacht hat. Erst aufgrund der Unruhen in den Banlieus von Paris ist die anonyme Bewerbung Teil des französischen Arbeitsgesetzes geworden.
Der weltgrösste Personalvermittlungskonzern Adecco ist oft mit dem Wunsch von Bewerbern nach Anonymität konfrontiert. In der Schweiz stellt er den Unternehmen die Profile der Kandidaten auf Wunsch ohne persönliche Angaben zur Verfügung, wie Länder-Chef Michael Agoras sagt. Besonders stark verbreitet sei dies in der Branche Finance/ Accounting.
Bei der Credit Suisse Group (CSG) stehen die Chancen für Inkognito-Bewerber allerdings schlecht. «Die CSG hat kein Interesse an anonymen Bewerbungen, wir gehen davon aus, dass potenzielle Kandidaten auf unsere offenen Vakanzen anzusprechen sind und uns auch ihre Namen und Koordinaten preisgeben», sagt Sprecher Georg Söntgerath. Ähnlich tönt es bei der UBS. «Wir möchten jeweils ein gesamtheitliches Bild der Kandidaten erhalten, dafür sind alle verfügbaren Kenntnisse wertvoll», sagt Sprecherin Rebecca Garcia. Künftige Mitarbeiter sollten in ein Team und sein Umfeld hineinpassen und es sinnvoll ergänzen.
*Alle pochen auf Diversität*
Laut Agoras sind anonyme Bewerbungen, wie sie zuhauf über Online-Jobportale laufen, nicht nur ein Mittel, um professionell und neutral zu rekrutieren. Sie seien auch aus Datenschutzgründen sinnvoll - soll doch der bestehende Arbeitgeber nicht von den Wechselgelüsten der Angestellten erfahren. Häufig wollten die Interessenten zuerst ihren Marktwert abklären, bevor sie sich richtig bewerben und zu erkennen geben. Bei Adecco Frankreich haben die weit reichenden Anonymisierungsvorkehrungen im Rahmen der Adecco-Anti-Diskriminierungsmassnahmen zum grossen Teil den neuen Auflagen bereits entsprochen oder gar vorgegriffen, sagt Adecco-Sprecher Axel Schafmeister.
Bei den Schweizer Konzernen ist die Anonymisierung der Bewerber ansonsten noch kein Thema. ABB, SBB, UBS, DPD, Zürich, Coop, McDonald’s und andere betonen, dass sie hohen Wert auf Diversität legten, die fachliche Kompetenz jedoch das A und O sei. «Entscheidend ist bei einer Bewerbung die fachliche Eignung für eine Stelle - ungeachtet des Aussehens, der Herkunft, des Geschlechts oder der Religion», sagt SBB-Sprecher Roland Binz. Der Personalchef von Zurich Schweiz, Chris Dunkel, sieht die Vielfalt und Internationalität der Mitarbeitenden als Wettbewerbsvorteil. «Durch formale Massnahmen lassen sich nur offensichtliche Diskriminierungen verhindern. Viel wichtiger ist es aber, dass eine gleichberechtigte und nichtdiskriminierende Kultur gelebt wird.»