Es gibt kaum profitable Big-Data-Anwendungen. War alles nur ein grosser Hype?
Das glaube ich nicht. Wir sind jetzt in der Phase, in der wir merken, dass Big Data nicht einfach vollautomatisch funktioniert, sondern dass es da wesentlich mehr Erfahrung und Wissenschaft braucht, als man gedacht hat.

Woran scheitern Big-Data-Projekte?
Es braucht genügend wissenschaftliche und ethische Kompetenz an Bord. Und einen interdisziplinären und multiperspektivischen Ansatz. Man hat die Schwierigkeiten unterschätzt, die mit grossen Datenmengen einhergehen. Dazu zählen Scheinkorrelationen, also Muster, die man in den Daten findet, die aber keine Bedeutung haben.

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Es heisst, mit Machine Learning und künstlicher Intelligenz (KI) bekomme man diese Probleme in den Griff.
Wenn Big Data das neue Öl sein soll, dann haben wir den Motor dazu noch nicht erfunden. Viele hoffen nun, dass die künstliche Intelligenz dieser Motor ist. Die grosse Kunst ist, die Rohdaten zu destillieren und zu veredeln, also in nützliche Informationen und Wissen zu verwandeln. Allerdings gibt es auch hier einige unerwartete Hindernisse. Denn man hat festgestellt, dass KI nicht zwangsläufig objektiv ist. Sie lässt sich manipulieren und kann diskriminieren. Die Fehler, die man dem Menschen anlastet, verschwinden nicht einfach mit der künstlichen Intelligenz.

Die Big-Data-Lüge

Die Flops mit grossen Datensätzen häufen sich. Der Erfolg bleibt nur einer Handvoll Konzerne vorbehalten. Was bleibt vom «Öl des 21. Jahrhunderts»? Mehr dazu lesen Sie hier.

Big Data
Quelle: Getty Images

Wie kann man Big Data manipulieren?
Viele dieser Algorithmen reagieren auf Echtzeitdaten. Sie fliessen ständig ins System ein und werden zum Lernen verwendet. Wenn sie manipuliert sind oder falsch bearbeitet werden, entstehen Fehler.

Im Moment schaffen es lediglich Google, Facebook oder Amazon, mit riesigen Datensätzen via Werbeinserate Geld zu verdienen. Haben andere und kleinere Unternehmen überhaupt eine Chance?
Die Giganten haben alle einige Jahre Minusgeschäfte gemacht. Das ist bei europäischen Unternehmen vielleicht nicht so üblich. Man braucht einen langen Atem. Ausserdem gab es damals, als diese Geschäftsmodelle entstanden, noch nicht so viel Konkurrenz. Heute stehen wir mit diesen Konzernen im Wettbewerb. Europa muss sich gegenüber den USA und China differenzieren, also eigene Marktnischen finden. Ich empfehle eine Vernetzung, also im Sinne von kombinatorischer Innovation einen gemeinsamen Datenpool für Europa zu schaffen. Die gesammelten Informationen über uns würden an Datenpostfächer gesendet, die wir selber verwalten. So liesse sich auch die informationelle Selbstbestimmung umsetzen.

Dirk Helbing

Dirk Helbing (53) ist Professor für Computational Social Science an der ETH Zürich. Der Physiker, Mathematiker und Soziologe mit unverkennbarem Haarschnitt befasst sich unter anderem mit Verkehr, Finanzsystemen, Spieltheorie und Digitalisierung. Er ist begehrter Gast an Podiumsdiskussionen.

Dirk Helbing
Quelle: Anne Morgenstern

Was heisst das?
Ich spreche von digitalen Assistenten, die uns helfen, unsere Daten zu verwalten, sodass wir entscheiden können, wer welche Daten wofür verwenden darf. Das hätte Vorteile für die Zivilgesellschaft und die Demokratie, denn wir bekämen die Kontrolle über unsere Daten zurück. Die Wirtschaft hätte den Vorteil, dass alle Firmen, die das Vertrauen gewinnen können, Zugang zu den Daten hätten – also auch Spin-offs und KMUs.

Das Problem ist nur, dass die Konzerne, die am meisten Daten über uns haben, diese nicht herausrücken wollen. Da hapert es mit der Transparenz.
Das verlangsamt die Erschliessung und die Veredelung der Daten. Angesichts der raschen Entwicklung kann man sich solche Verzögerungen nicht erlauben. In der Regel gewinnt der Schnellste. Eine rein kompetitive Strategie, wie sie aus den Zeiten der alten, materiellen Wirtschaft stammt, in der die Ressourcen begrenzt sind, ist nicht zeitgemäss, nicht zielführend. Die Digitalisierung erfordert ein Umdenken. Kooperation ist Trumpf.

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