Eines muss der Neid dem «Winterthur»-Management lassen: Im Verkauf macht ihnen so rasch keiner was vor. Die Pressemitteilung jedenfalls war ein Meisterstück in Sachen Öffentlichkeitsarbeit und erweckte den Eindruck, da habe eine Versicherungsgesellschaft einzig und allein das Wohl ihrer Kunden im Auge. Unter dem Titel «Neues ‹Winterthur›-Modell» drehte sich die Rede um «berufliche Vorsorge für alle Beteiligten auf eine tragfähige Basis stellen», «Stärkung der Sammelstiftungen», «einen Beitrag leisten zur langfristigen Sicherung des Vorsorgesystems» oder «nachhaltige und umfassende Vorsorgelösung».

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Das Kalkül ist aufgegangen. Noch vor einem Jahr, als Bundesrätin Ruth Metzler dem Drängen der Versicherer nachgab und den Mindestzins für die Vermögensanlagen der Pensionskassen zuerst von 4 auf 3 Prozent senken wollte, dann aber nur auf 3,25 Prozent herabsetzte, erhob sich landauf, landab ein flächendeckendes Zetermordio – der «Rentenklau» beherrschte die Schlagzeilen, Politiker gerieten sich in die Haare, vor dem Bundeshaus machten 20 000 ihrem Missmut Luft. Das «Winterthur»-Modell dagegen sorgte im Pressewald gerade mal für ein Rauschen, unter den Politikern erhob sich nur im linken Lager Protest, die Öffentlichkeit war sowieso mit Schwitzen beschäftigt. Dabei zeitigt das Vorpreschen der «Winterthur» schwere Auswirkungen auf die künftigen Renten eines Grossteils der 3,2 Millionen Versicherten.

Der Schachzug ist raffiniert: Das Versicherungs- wird vom Vorsorgeverhältnis entkoppelt, die zweite Säule in einen obligatorischen sowie einen überobligatorischen Teil gesplittet, wobei Letzterer den versicherten Lohnteil von mehr als 75 960 Franken umfasst. So ist es der «Winterthur» möglich, auf Anfang 2004 die Verzinsung des Kapitals sowie den Umwandlungssatz – dieser dient zur Umrechnung des Alterskapitals in jährliche Renten – deutlich zu schneiden. Wie eine Umfrage der BILANZ zeigt, kürzen auch andere Versicherer ihre Leistungen bei den Sammelstiftungen drastisch.

Die schlechtere Verzinsung des Kapitals wird mit der schlechten Verfassung der Kapitalmärkte, die Rücknahme des Umwandlungssatzes mit der steigenden Lebenserwartung sowie dem tieferen technischen Zins begründet. Der Umwandlungssatz von 7,2 Prozent wurde 1985 bei der Einführung des BVG festgelegt und nie angepasst, obwohl die Lebenserwartung stark zugenommen hat (siehe «Immer älter» auf dieser Seite). Nicht zuletzt aus diesem Grund geriet die Stabilität der zweiten Säule in den letzten Jahren ins Wanken. Und seit an den Börsen keine fetten Gewinne mehr zu holen sind, die einst der Quersubventionierung von Risikoprämien und Verwaltungskosten dienten, rechnen die Versicherungsgesellschaften wieder nach kaufmännischen Gesichtspunkten. Will meinen: Flugs werden Prämien und Kosten heraufgesetzt.

Der Versicherte zahlt ab 2004 für seine Vorsorge mehr, erhält aber weniger Leistungen. Dennoch sind sich die Pensionskassenexperten einig, dass Anpassungen notwendig waren. «Das ist kein Raubzug auf die Renten, die Modifikationen sind schlicht erforderlich», meint etwa Werner Nussbaum, Präsident der Vereinigung Innovation Zweite Säule. «Die Versicherer mussten auf die neue Situation reagieren», ist auch Martin Janssen, Wirtschaftsprofessor und Chef des Finanzberaters Ecofin, überzeugt.

Über das Ausmass der Leistungskürzungen allerdings herrscht geteilte Meinung. Gerade «Winterthur» und «Zürich», aber auch Genfer und Helvetia Patria scheinen bei den Renten etwas gar kräftig geschnitten zu haben. Mit den neuen Umwandlungssätzen wird einer Lebenserwartung Rechnung getragen, die gegenüber den sonst üblichen Schätzungen um Jahre höher liegt. Zudem ist die stark gestiegene Lebenserwartung beileibe keine neue Erkenntnis. Nur haben sich Versicherer wie auch Politiker zu lange vor der unpopulären Massnahme gehütet, entsprechende Korrekturen vorzunehmen. So wurde jahrelang ein zu hoher Umwandlungssatz bezahlt, «und diese Last tragen die künftigen Rentner», beschreibt Stefan Thurnherr, Geschäftsleiter der VZ Insurance Services, das Resultat dieser Unterlassung. Wäre der Umwandlungssatz vor Jahren und schrittweise angepasst worden, würde dieser heute auf lediglich etwa 6,8 Prozent liegen, schätzt Thurnherr.

Das versicherte Unternehmen könne ja kündigen, wenn es mit den Konditionen nicht mehr einverstanden sei, tönt es aus der «Winterthur». Leichter gesagt denn getan: Versicherer wie Genfer oder Rentenanstalt verweigern ihren Kunden das Kündigungsrecht. Denn im Gegensatz zu Krankenkassen- oder Motorfahrzeugversicherungen wird den Sammelstiftungen dieses Recht gesetzlich nicht eingeräumt! Immerhin hat das Bundesamt für Privatversicherungen den Versicherern empfohlen, nach den harschen Korrekturen ein Kündigungsrecht zu gewähren. Nur stiess der Aufruf nicht überall auf offene Ohren.
Die Masse des Vorsorgekapitals liegt im obligatorischen Bereich. Doch je mehr jemand über 76 000 Franken verdient, desto stärker ist er von den Schnitten im überobligatorischen Bereich betroffen. Und da fallen die tiefen Umwandlungssätze schnell einmal ins Gewicht. Mit dem neuen Satz verliert eine Frau fast ein Viertel ihrer bisherigen Rente aus dem Überobligatorium, der Mann knapp ein Fünftel. Dank dem höheren Umwandlungssatz im obligatorischen Teil werden diese Einbussen zwar gemildert. Laut dem revidierten BVG allerdings wird auch im obligatorischen Bereich der Umwandlungssatz gekürzt, und zwar von 7,2 auf 6,8 Prozent. Das bedeutet nochmals weniger Rente. Dazu gesellen sich weitere Punkte wie die (zumindest gegenwärtig) tiefe Verzinsung, die das Alterskapital und damit die Pension zusätzlich schmälern.

Die Massnahmen der Versicherer zwingen den Einzelnen zu einer höheren Selbstverantwortung. Wer heute nichts unternimmt, hat sich später mit einer geringeren Rente abzufinden. Denn etwas ist ziemlich sicher: Die gekappten Umwandlungssätze werden kaum auf alte Höhen zurückgehen. Mit Blick auf die neuen Rahmenbedingungen lohnt sich der Gang zum Finanzberater, vor allem für jene, die in den nächsten fünf Jahren pensioniert werden. Denn es lässt sich einiges vorkehren gegen den Rentenabbau, wie die BILANZ-Tipps zeigen.

Tipp 1

Frühpensionierung

Wer früher in Pension geht, erhält weniger Rente. Diese Binsenwahrheit muss nicht zutreffen: Je höher das Altersguthaben im überobligatorischen Bereich ist, desto eher lohnt sich eine Frühpensionierung. So zeigt die Kalkulation des VZ VermögensZentrums, dass eine Frau, die 60 Prozent ihres Altersguthabens im überobligatorischen Bereich hat, ein Jahr früher in den Ruhestand gehen kann – und trotzdem bis an ihr Lebensende 9,6 Prozent mehr Rente erhält, als wenn sie regulär pensioniert würde (www.vzonline.ch). Erkundigen Sie sich bei der Personalvorsorgekommission Ihres Unternehmens nach der Höhe der Rente. Die Zeit drängt; nur wer in diesem Jahr in Frührente geht, profitiert lebenslang vom noch hohen Umwandlungssatz und muss keine Leistungskürzungen in Kauf nehmen.

Tipp 2

Druck

Erkundigen Sie sich bei der Vorsorgekommission oder dem Stiftungsrat, ob Offerten von anderen Sammelstiftungen eingeholt und Alternativen geprüft wurden. Setzen Sie, falls nötig, zusammen mit Kollegen Druck auf.

Tipp 3

Zweite Säule

Die Löcher im überobligatorischen Teil lassen sich oft auch stopfen mittels Verstärkung des obligatorischen Bereichs. Über Nachzahlungen, sofern diese überhaupt noch zugelassen sind, können die Altersleistungen aufgebessert werden. Der angenehme Nebeneffekt: Das Schliessen von Beitragslücken ist das beste Steuersparinstrument.

Kapitalbezug oder Rente? Diese Frage hat durch die Rentenkürzungen an Brisanz gewonnen. Die Versicherungen freuen sich über jeden Pensionär, der sein Kapital bezieht. Doch wer auf Sicherheit bedacht ist, sollte auf die Rente setzen. Der Kapitalbezug setzt voraus, dass Sie sich mit Anlagen auskennen.

Vereinzelt ist in den Statuten ein Kapitalbezug im überobligatorischen Bereich vorgesehen. Ist das bei Ihrer Kasse der Fall, dann überweisen Sie das Geld auf ein Freizügigkeitskonto: So bleibt das Kapital innerhalb der Vorsorge und muss nicht versteuert werden.

Der Trend zur Finanzierung von Wohneigentum durch Vorbezug aus der Pensionskasse hält an (siehe «Wohneigentum dank Pensionskasse» auf dieser Seite). Das hat mit einer Verschärfung der Auszahlungsbedingungen, aber auch mit der Angst um das Vorsorgekapital zu tun. Können Sie die Immobilie aus dem überobligatorischen Teil finanzieren, machen Sie einen Vorbezug. Bei Wohnfinanzierung aus dem obligatorischen Bereich dagegen sollte man das Kapital nur beleihen lassen.

Tipp 4

Dritte Säule

Wer die gekürzte Rente über zusätzliches Ansparen ausgleichen will, kommt an der gebundenen freiwilligen Vorsorge nicht vorbei. Versicherte mit Pensionskasse dürfen jährlich bis zu 6077 Franken in die Säule 3a einzahlen. Damit können Sie die Altersvorsorge erhöhen und den Betrag erst noch von der Steuer absetzen. Die Steuerersparnis ist beträchtlich: rund 1500 Franken bei einem Grenzsteuersatz von 25 Prozent. Zudem hat niemand Zugriff auf dieses Kapital – Sie allerdings auch nicht, von Ausnahmen abgesehen. Frühestens fünf Jahre vor Erreichen des AHV-Alters können Sie das Geld beziehen. Führen Sie mehrere 3a-Konti, so brechen Sie beim Bezug die Progression. Die Besteuerung erfolgt zu einem günstigen Vorsorgetarif.

Tipp 5

Leibrente

Die Leibrente ist in diesen zinsarmen Tagen nicht gerade ein umwerfendes Investment. Zudem beschneiden die Versicherer laufend ihre Tarife, gerade mit Blick auf die zunehmende Lebenserwartung. Die Leibrente bietet deshalb rund ein Viertel weniger Rente als eine Pensionskasse. Auch steuerlich ist dieses Produkt kein Heuler, muss sie doch zu 40 Prozent als Einkommen versteuert werden. Eine Leibrente eignet sich nur für jemanden, der ein sicheres Zusatzeinkommen für den Rest seiner Tage sucht.

Tipp 6

Selbst anlegen

Eine verbreitete Form der Selbstvorsorge sind Anlagen, seien das nun Fonds, Obligationen oder Aktien. Dabei gilt generell: nur allererste Qualität ins Depot packen, Spekulationen haben in der Selbstvorsorge nichts verloren. Was Investments in Obligationen nicht erleichtert, denn dort rentieren Spitzentitel nach Steuern höchstens mit eineinhalb Prozent. Wer auf Aktien setzt, findet zwar viele attraktiv bewertete Blue Chips, sollte dabei aber mindestens einen Anlagehorizont von acht bis zehn Jahren verfolgen. Was Sie nicht aus den Augen verlieren dürfen: Im Gegensatz zur Leibrente oder Pensionskasse fällt auf einem Wertschriftendepot keine regelmässige Rente an, es kommt meist zu einem Kapitalverzehr.
Nicht nur Einzelversicherte, auch die Unternehmer müssen sich Gedanken machen, wie es mit der Personalvorsorge ihres Betriebs weitergehen soll. Vier Tipps für Unternehmer:

Tipp 7

Wechsel

Mit den neuen Rahmenbedingungen ist das Vorsorgegeschäft für die Versicherer erneut attraktiv geworden. Damit wird der Wettbewerb wieder spielen, und zwar auf der Leistungs- wie auf der Prämienseite. Es dürfte deshalb bald attraktiv werden, die Angebote miteinander zu vergleichen. Allerdings ist ein Gegenüberstellen der verschiedenen Vorsorgeangebote kein einfaches Unterfangen. Schliesslich gilt es, nicht nur Prämien, sondern auch Leistungen miteinander zu vergleichen oder abzuklären, ob der Anbieter die Versicherten ohne neue Gesundheitsprüfung aufnimmt.

Tipp 8

Vorsorge-Split

Im BVG-Teil der Leistungen – Umwandlungssatz 7,2 Prozent, Mindestzinssatz 3,25 Prozent – ändert sich vorderhand nichts. Deshalb kann man das Obligatorium in der Sammelstiftung belassen. Das Überobligatorium dagegen lässt sich mit einem Split herauslösen und bei einem anderen Vorsorgeträger versichern. Auch in diesem Markt werden alternative Anbieter entstehen. Nur sollten diese, da sie nicht auch noch die für einen Versicherer nachteiligen BVG-Leistungsbedingungen erfüllen müssen, attraktivere Konditionen bei Umwandlungssatz und Verzinsung anbieten können als die üblichen Sammelstiftungen. Der Nachteil: Wegen des Splits fallen doppelte Verwaltungskosten an.

Tipp 9

Die eigene PK

Auf Grund der schlechten Konditionen der Versicherungsgesellschaften lohnt es sich für Unternehmen bereits ab 100 Beschäftigten, eine eigene Pensionskasse zu gründen. Mit einer konservativen Anlagestrategie sollte der BVG-Mindestzins zu egalisieren sein. Die Vorteile: Die Kapitalgewinne bleiben in der Stiftung, bei der Risikoversicherung kann man sich den günstigsten Anbieter aussuchen. Bei kleineren Firmen, wo sich die Verwaltung der Stiftung in eigener Regie nicht lohnt, ist die Auslagerung zu spezialisierten Unternehmungen angezeigt.

Tipp 10

Neulinge

Die Versicherer selbst haben das Feld umgepflügt für alternative Anbieter. Die Neulinge können Sammelstiftungen ohne Altlasten gründen. Zudem halten sie die Kosten tief, beispielsweise indem sie die jeweils günstigsten Anbieter für Vermögensverwaltung, Administration und Versicherungsleistungen suchen. So ist Martin Janssen mit seiner Finanzberatungsfirma Ecofin damit beschäftigt, eine Plattform für Pensionskassen und Sammelstiftungen aufzuziehen. Auf Ende August ist die Lancierung der ersten Kapitalmarktprodukte für Pensionskassen geplant, Anfang 2004 soll eine Sammelstiftung folgen. Janssen ist nur der Eisbrecher für eine Flotte von neuen Anbietern, die das Vorsorgegeschäft kräftig aufmischen dürften.

Stefan Lüscher
Ressortleiter Geld

Beratung: BILANZ-Steuerexperte Werner A. Räber, BILANZ-Vorsorgespezialist Martin Wechsler

Vorsorge-Infos
Wo Sie sich im Internet Informationen zur zweiten Säule holen.


Vorsorgeforum


www.vorsorgeforum.ch


Daten, Fakten, Statistiken, Kommentare und Dossiers zu allen Bereichen der beruflichen Vorsorge.


BVG-Auskünfte


www.bvgauskuenfte.ch


Der Name ist oberstes Programm: «Verein unentgeltliche Auskünfte für Versicherte von Pensionskassen».


«Finanz und Wirtschaft»


www.finanzinfo.ch/infoservice/vorsorge/vorsorge-de.asp


Fonds-Einmaleinlage, Leibrente, Einmaleinlage, Erwerbsausfall, Jahresprämie 3a. Die Vorsorgeprodukte diverser Anbieter auf einen Blick.


BSV-Online


www.bsv.admin.ch/aktuell/highlight/d/index.htm


Bundesberns Plattform zu Sozialversicherungen bietet Gesetze, Merkblätter, Publikationen, News.


Credit Suisse


www.cspb.com/vertriebspartner/sfi/de/service_tools.jsp


Hier lässt sich kalkulieren, wie viel angespart werden muss, um den Lebensstandard zu sichern.


«Beobachter»


www1.beobachter.ch/ratgeber/recht/sozialversicherungen.cfm


Wissenswertes um die Vorsorge sowie hilfreiche Checklisten (Säule 3a, Bank- oder Versicherungslösung).


«Winterthur»-Vorsorgeportal


www.winterthur-leben.ch/home/vorsorgeinfo.htm


Informationen für die optimale Vorsorgeplanung: Grundlagenwissen zum Dreisäulenkonzept, Gesetze, Zahlen, Literaturhinweise, Presseartikel.