Es ist wahrscheinlich, dass in der zweiten Jahreshälfte eine prozentual zweistellige Börsenkorrektur stattfindet», prophezeit Bernhard Tschanz von der Credit Suisse.
Zwar rechnet der Aktienanalyst damit, dass sich das globale Wachstum beschleunigt, in den USA aber mit abflauender Tendenz. Bezüglich des Wachstums in Europa bleibt Tschanz grundsätzlich kritisch. Christian Zogg von der Liechtensteinischen Landesbank (LLB) doppelt nach: «So wie im Januar wird es nicht das ganze Jahr weitergehen.» Für Martin Jetzer, Chefökonom bei HSBC Guyerzeller, haben die Börsen 2003 eine lehrbuchmässige Rallye hingelegt. «Heuer wird es schwieriger. Denn jetzt müssen sich die guten Gewinne und Vorgaben bestätigen.»
Zum Jahresende sehen viele Banken den SMI denn auch wieder um die 6000er-Marke pendeln. Nur Sarasin hat aufgrund der guten Jahresendzahlen vieler Firmen das 12-Monats-Ziel für den SMI deutlich von 6000 auf 6300 Punkte angehoben. Kurzfristig gehen die meisten Analysten allerdings davon aus, dass der SMI über 6000 Punkte steigen wird.
«Schuld» am Höhenflug des SMI seit Jahresbeginn (+6%) sind nicht zuletzt die Banken, die vom verbesserten Börsenumfeld profitieren, und die Versicherer, die ihre technischen Ergebnisse wieder auf Vordermann gebracht haben. Machen die Finanzinstitute Terrain gut, hebt auch der SMI ab. Auch die Pharmatitel haben operativ überzeugt. Enttäuschend hingegen die Chemie:Die Branche leidet immer noch unter Überkapazitäten. Wegen des Preisdruckes lassen sich die höheren Rohstoffpreise nicht auf die Kunden überwälzen.
Insgesamt hat für Bernhard Tschanz im 2003 aber eine dramatische Trendwende stattgefunden. «Die Gewinnbeschleunigung war deutlich heftiger als erwartet.» Die Reingewinne befinden sich laut Tschanz wieder auf jenem Niveau, welches im Jahr 2000 erreicht worden ist: Auf Rekordnivau also.
Höhere Zinsen gefährden die Aktienkurse
Auch für Martin Jetzer ist der Gewinnsprung vieler Firmen bemerkenswert. Selbst dann, so Jetzer, wenn man den Basiseffekt berücksichtige, der entstanden sei, weil viele Unternehmen die Kosten drastisch gesenkt hätten. «Gewinnwachstum ist letztlich Ausdruck eines mathematischen Bruches der Nenner ist so wichtig wie der Zähler.»Für Jetzer ist der Gewinnsprung auch daher beachtlich, weil er ohne Rückenwind durch die europäische Konjunktur zu Stande kam. «Europa beginnt sich erst zu erholen.»
Für das erste Halbjahr sind denn auch viele Beobachter noch optimistisch. Der Höhenflug der Börse könnte noch etwas anhalten. Das Seco sieht die Schweizer Wirtschaft in 2004 mittlerweile mit 1,8% wachsen. Der Aufschwung scheint nicht nur mehr in den Köpfen stattzufinden. Auch das Konsumentenvertrauen hat sich in der Schweiz verbessert. Zudem beschleunigt die Eurostärke das Binnenwachstum in Europa. Von einem stabilen und starken Euro profitieren viele Schweizer Exportfirmen.
Nur: Viele «good news» sind in den Kursen bereits enthalten. Viele Analysten empfehlen darum, in defensivere Titel umzuschichten. Denn selbst wenn das erste Halbjahr noch Kurssprünge bringt: Insgesamt ist das Potenzial für das Börsenjahr 2004 beschränkt. Dafür sprechen drei Gründe: Kommt die Konjunktur überdurchschnittlich in Fahrt, werden die Zentralbanken rund um den Globus die Leitzinsen erhöhen. Zinserhöhungen sind grundsätzlich eher negativ für die Aktienkurse, weil mit höheren Zinsen die Obligationen relativ zu Aktien attraktiver werden. Da die Zinsen auf einem Rekordtief sitzen, braucht es jedoch mehrere Zinserhöhungen, um die Festverzinslichen wieder «sexy» zu machen.
Schwächt sich die Konjunktur dagegen wieder ab, wird dies die Börse bremsen. Und schliesslich spricht auch die Geschichte heuer für ein flaueres Börsenjahr, ruft Martin Jetzer in Erinnerung. Denn historisch betrachtet ist das zweite Jahr nach einem Crash immer flauer als die ersten zwölf Monate, die auf ein Börsendebakel folgen. Stiegen die Börsen im Schnitt im ersten «Nach-Crash-Jahr» um über 20%, so die Erfahrungen aus Amerika, folgte im zweiten Jahr ein Kurswachstum von nur mehr 8%.
Mittelgrosse Firmen hinken hinterher
Jetzer rät, die Aktien zu behalten, beim Zukaufen aber zurückhaltend zu sein und langsam in defensive Sektoren umzuschichten. Angst vor einem neuen Crash habe er zwar nicht, doch «das Risiko von Rückschlägen ist gestiegen».
Nach wie vor zu schaffen macht den Schweizer Firmen der fallende Dollar. Grosse Schweizer Gesellschaften erzielen bis zu 40% ihres Umsatzes im Dollarraum. Einzelne Jahresabschlüsse wie von Ciba oder Rieter haben bereits gezeigt, wie stark der fallende Dollar die Rechnung unter dem Strich versalzen kann. «Es gibt leider eine negative Korrelation zwischen dem starken Schweizer Franken und der Schweizer Börse», bestätigt Jan Poser, Leiter Makroresearch von Sarasin.
Viktor Dammann von Vontobel hat geschätzt, wie stark der schwache Dollar die Gewinne der Schweizer Firmen im letzten Jahr beeinträchtigt hat. «Der Dollar hat sich rund 14% abgeschächt. Wer wie viele SMI-Firmen einen Drittel der Gewinne im Dollarraum erzielt, muss einen 4 bis 5% tieferen Gewinn in Kauf nehmen.»
Durchschnittlich rechnet Volkan Göcmen von Pictet mit einem Gewinnwachstum der SMI-Titel von 16% im angebrochenen Jahr. Die mittelgrossen Firmen, die im vergangenen Jahr noch nicht im gleichen Ausmasse vom Beginn des Konjunkturaufschwunges profitiert haben, könnten dieses Jahr stärker auftrumpfen. «Bei den Mid Caps rechnen wir mit 30% Gewinnwachstum, bei den Small Caps mit 17%», schätzt Göcmen. Christian Zogg von der LLB: «Kleinere Titel haben mehr Kurspotenzial. Vor allem die von Europa abhängige Maschinenindustrie kann vom starken Euro profitieren.»
Insgesamt scheint der Schweizer Markt mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 14 (2005) fair bewertet und sicherlich günstiger als die amerikanischen Börsen. Die Mid Caps sind mit einem KGV von 14,4 leicht teurer, die kleinen Titel leicht billiger (12,6). Die Pharmatitel gelten unter Händlern mit Ausnahme von Novartis relativ zu ihrer historischen Bewertung als eher günstig. Überdurchschnittliche Dividenden finden Anleger bei Telekom-, Nahrungsmittel-, Finanzdienstleister- und Versorgeraktien. Auch Swisscom, als Telekomtitel einst im Sog der New-Economy-Euphorie, ist mit einer Dividendenrendite von über 4% ein konservativer Titel.
Wirtschaftsprognosen von Schweizer Banken
BIP-Wachstum (in %) SMI 12 Monate
Bank 2004E 2005E (in Punkten)
Credit Suisse 1.0 1.3 6000 bis 6200
Pictet 2.3 2.7 5800 bis 6000
Sarasin 1.6 1.7 6300
LLB 1.3 1.8 6000
ZKB 1.7 2.2 6200
Vontobel 1.7 1.9 6000
E = geschätzt