BILANZ: Herr Banerji, was
beschäftigt Ihre Klienten weltweit derzeit besonders?

Shumeet Banerji: Das Gros der Konzerne in Nordamerika und Europa wurde vom Ausmass der Krise überrascht. Im Herbst und Winter verzeichneten einige Unternehmen Umsatzeinbussen von bis zu 70 Prozent. So etwas hatte niemand je zuvor erlebt. Das erste Quartal dieses Jahres war demnach von Sondermassnahmen geprägt – Kosteneinsparung, Liquiditätsmanagement sowie Bestandsverminderung. Heute beschäftigt unsere Klienten primär die Frage, wie rasch und wie nachhaltig der wirtschaftliche Aufschwung ausfällt. Für die zukunftsorientierten Klienten stellt sich die zentrale Frage, wie sie ihre Bilanz stärken und als Gewinner aus der unvermeidlichen Restrukturierung ihrer Branche hervorgehen können.

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Haben wir die Talsohle erreicht?

Derzeit wird bereits wieder vom Aufbruch gesprochen. Ich persönlich erwarte jedoch keine allzu schnelle Erholung. Das Finanzsystem muss saniert und von Grund auf restrukturiert werden. Dieser Prozess ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Umfangreiche steuerliche Konjunkturpakete führen voraussichtlich mittelfristig zu einer höheren Steuerbelastung. Die grosse Unbekannte ist, wie weit die Konsumenten ihre Verschuldung abbauen können, insbesondere in den USA und Grossbritannien. Ich glaube, dass wir den Tiefpunkt erreicht haben, aber die Erholungsphase wird langwierig sein.

Mit welcher wirtschaftlichen Entwicklung rechnen Sie?

2009 wird schwierig bleiben. Die fiskalischen Anreize werden aber Wirkung zeigen. Daher rechne ich für 2009 mit einer Erholung, die allerdings noch verhalten ausfallen wird. Die grosse Frage bleibt, wie schnell und wie tief greifend sich die privaten Haushalte und die Unternehmen entschulden. Die Sparquote der US-Haushalte ist innerhalb eines Quartals um mehr als 600 Basispunkte gestiegen.

Viele meinen dagegen, der Sturm sei vorbei und alles ausgestanden.

Die Märkte werden volatil bleiben. Ich sehe noch keine fundamentale Basis für ein Wirtschaftswachstum, das zu Gewinnwachstum führen und damit die Märkte nachhaltig beleben könnte. Wir werden also eine langsame, holprige Erholung erleben.

Während die Krise die Industrie erst richtig erreicht hat, schreiben viele Banken bereits wieder gute Gewinne. Ist die Bankenkrise ausgestanden?

Vielleicht, aber ich erwarte signifikante, rezessionsbedingte Abschreibungen in der zweiten Jahreshälfte – von Kreditausfällen erstklassiger Schuldner über Kreditkarten bis hin zu Gewerbeimmobilien. Ein zweiter Einbruch ist wahrscheinlich.

Braucht es in dieser Ära neue Leader?

Es braucht Führungspersönlichkeiten, die Vertrauen schaffen und wiederherstellen, wo es nachhaltig zerstört wurde – Leader mit Visionen und Integrität. Verwaltungsräte hinterfragen jetzt häufiger, ob ein Manager über die richtigen Fähigkeiten zur Krisenbewältigung verfügt. Ich bin allerdings besorgt, dass die öffentliche Kritik und Zurschaustellung der Manager als Folge der Krise negative Auswirkungen auf die Geschäftsleitungen und die Managementkultur haben könnte. So bedarf es der politischen Reife, um der Öffentlichkeit zu erklären, dass nicht die Banken alleine die Probleme verursacht haben.

Sondern?

Der Kern des Problems liegt in einem lange aufrechterhaltenen Ungleichgewicht: Überschüsse in einigen Staaten und die Anhäufung von Schulden in anderen, eine sehr hohe Liquidität, eine Zentralbankpolitik der tiefen Zinsen und eine auf weiteres Wachstum setzende Regierungspolitik. Meiner Meinung nach ist die Dämonisierung der Banker zu weit gegangen. Natürlich sind ihnen grobe Fehler unterlaufen. Aber das Umfeld, in dem diese Fehler begangen wurden, darf nicht ausser Acht gelassen werden.

Der Zorn auf die Banker rührt doch daher, dass Leistung und Vergütung in keinem gesunden Verhältnis mehr zueinander standen und dass einige trotz den begangenen Fehlern sehr viel Geld kassiert haben.

Für diesen Groll habe ich zunächst einmal Verständnis. Das Umfeld ist für Manager jedoch sehr feindselig geworden.

Gibt es denn einen Mangel an kompetenten Managern?

Wenn wir jetzt nicht aufpassen, wird es einen solchen geben. Das Umfeld ist sehr hart. Kurzfristig ist es sicher eine Option, altgediente Kräfte wie Oswald Grübel in der Schweiz, Edward Liddy in den Vereinigten Staaten oder Ron Sandler in Grossbritannien zurückzuholen. Wir müssen jedoch auch mittel- und langfristig denken. Der Wille, etwas für das Gemeinwohl zu tun oder eine «Mission impossible» zu erfüllen, genügt auf Dauer nicht, um ein globales Unternehmen zu führen.

Glauben Sie wirklich, dass ein Manager künftig den CEO-Posten ablehnt, weil das Klima zu rau ist?

Wir sprechen hier ja nicht nur von der einen Position an der Spitze, derjenigen des CEO, sondern auch von den Managern der zweiten und dritten Ebene, die abgeschreckt werden. Das wird zu einem Thema, die Politiker sollten sich dessen bewusst sein. Letztlich geht es um sehr viel tiefer liegende Probleme. Sie lassen sich nicht dadurch lösen, dass man die Manager in der Finanzindustrie auswechselt.

Brauchen Manager wieder mehr Demut? Weniger Risikofreude? Ein anderes Wertesystem?

Gute Institutionen hatten schon immer einen starken Fokus auf Werte. Das hat sich auch durch die Wirtschaftskrise nicht verändert. Wertegetriebene Unternehmen sind erfolgreicher, gerade in serviceorientierten Branchen. Letztlich zahlt sich Integrität im Geschäftsleben immer aus und ist das, was erfolgreiche Firmen auszeichnet.

Diesen Eindruck hat man nicht bekommen in den vergangenen Jahren.

Die Kultur im Bankgeschäft ist naturgemäss durch Geld definiert. Solange es allen gut geht, ist dieses meist auch kein Problem. Sobald wir aber eine Krise haben, kritisiert plötzlich jeder die «bösen Banker». Unsere Gesellschaft behandelt die Frage, ob viel Geld verdienen eine schlechte oder eine gute Sache ist, ambivalent. Der Lohn ist ja auch einer der Motivatoren, Überdurchschnittliches zu leisten. Es ist die Aufgabe des Unternehmens, diesen Motivationsfaktor in ein stabiles, umfassendes Wertesystem einzubetten und durch weitere, nichtmonetäre Aspekte auszubalancieren.

Wird die Krise etwas ändern?

Dazu müsste es vernünftigere Modelle geben als die bisherigen. Die bisherigen Anreize führten bei manchen zu jener unheilvollen Einstellung, die nur auf kurzfristigen Gewinn fokussiert. Hierbei geht es aber nicht nur um falsche persönliche Werte, sondern um ein völlig falsches institutionelles Preis-Risiko-Modell.

Die alte Bonipolitik ist mit den Gewinnen bereits zurückgekehrt. Barack Obama kritisiert, er fürchte, die Finanzwelt habe nichts gelernt. Hat er recht?

Meiner Meinung nach wurde bezüglich Vergütungsstruktur nicht genug getan. Die Diskussion beschränkte sich bisher auf die Höhe der Vergütungen. Diese Fokussierung ist – wie gesagt – ungenügend.