Herr Collardi, was ist für Sie der grösste Unterschied im Vergleich zu Julius Bär?
Boris Collardi: Es gibt keinen Aktienkurs und keine Quartalszahlen, und das erleichtert die Arbeit ungemein. All die Sorgen um die Kursperformance: Sie sind einfach weg.
Dafür sind die Entscheidungsprozesse langsamer: Alle Teilhaber müssen zustimmen.
Boris Collardi: Ganz offen: Das ist nicht jedermanns Sache, es gab eine Anpassungsperiode für mich. Doch ich bin in Genf aufgewachsen, ich kenne die Kollegen hier, die Kultur ist mir nicht total fremd. Mit einem angelsächsischen Hintergrund wäre das vielleicht anders gewesen.
Herr Best, wie schlägt sich der Neue denn?
Rémy Best: Es war für ihn ein doppelter Schock. Nicht nur ist er einer von acht, sondern er muss auch das Wealth Management mit mir zusammen leiten. Aber Boris hat ein fantastisches Einfühlungsvermögen. Er hat sich hervorragend integriert.
Mit der Ankunft von Boris Collardi setzt Pictet auf Expansion: Allein 300 Mitarbeiter wollen Sie dieses Jahr neu anstellen.
Rémy Best: Wir haben letztes Jahr einen Fünf-Jahres-Plan für das Wealth Management präsentiert und fokussieren dabei auf zwei geografische Schwerpunkte: Asien – und Zürich.
Wollen Sie in Asien so aggressiv wachsen wie einst bei Julius Bär?
Boris Collardi: Dort setzten wir auf einen Mix aus aggressivem organischem Wachstum und Akquisitionen. Das geht heute nicht mehr. Der Markt ist überhitzt, und wir wollen nicht die Letzten sein, die auf die Party kommen und zu viel Geld für durchschnittliche Leute zahlen. Wir stellen selektiv ein. Akquisitionen sind kein Thema. Wir wollen keinen Goodwill auf der Bilanz.
Wie stark wollen Sie in Zürich expandieren?
Rémy Best: Wir haben immer gesagt, dass wir in Zürich nicht die Bedeutung haben, die wir anstreben. Das ändern wir jetzt.
Und werben mit Vorliebe bei Julius Bär ab?
Boris Collardi: Wir wollen die besten Leute finden. In Zürich ist das Angebot sehr gross.
Ein Middle-East-Team und ein Lateinamerika-Team haben Sie schon von Bär geholt. Haben Sie sie persönlich abgeworben?
Boris Collardi: Ich habe keine einzige Person von Bär oder einer anderen Bank kontaktiert. Es kamen hundert Anfragen von ganz allein – von Bär und anderen Banken. Gute Banker hören: Bei Pictet geht etwas – und melden sich.
Also keine heissen Rekrutierungs-Gespräche in Ihrer Villa in Schindellegi, wie kolportiert wurde?
Boris Collardi: Die Villa habe ich längst vermietet. Allerdings haben wir auch registriert, dass manche Interessenten ihr Dossier geschickt haben und plötzlich bei ihrem alten Arbeitgeber eine Beförderung erhielten. Vielleicht haben manche so getan, als hätten sie von uns ein Angebot bekommen, das es allerdings nicht gab.
Wie war die Vertragslage bei Bär?
Boris Collardi: Ich hatte kein Wettbewerbs- oder Abwerbeverbot. Dennoch habe ich keinen Mitarbeiter von Bär angefragt – und auch noch keinen Kunden. Das passt nicht zu Pictet.
Die Mitarbeiter haben zum Grossteil Aktienpläne mit langen Laufzeiten. Übernehmen Sie diese?
Rémy Best: Bei uns gibt es keine Aktien. Wir haben aber ein Profitbeteiligungs-Programm, bei dem wir in Cash auszahlen. Die Aktien der grossen Wettbewerber sind derzeit recht tief, das hilft uns. Wir ersetzen die Aktienpakete durch unser Programm, zahlen aber erst nach Ablauf der jeweiligen Sperrfrist.
In Zürich beziehen Sie den Leuenhof – direkt neben Ihrem alten Arbeitsplatz bei der Bank Bär.
Boris Collardi: Ich werde schon den richtigen Eingang finden... Wir haben heute 130 Mitarbeiter in Zürich, wenn wir Ende nächsten Jahres einziehen, sollten wir bald 200 Mitarbeiter haben. Der Leuenhof ist eines der drei schönsten Bankgebäude der Schweiz, zusammen mit dem CS-Hauptsitz und der Nationalbank.
Rémy Best: Und der Löwe ist unser Wappentier. Besser geht es nicht.
Dieses Interview erschien in der Mai-Ausgabe 05/2019 der BILANZ.