Bis vor kurzem präsentierte sich ein Grossteil der Beratungsunternehmen und Consultants nach aussen wie nach innen so:
– als Visionäre, die Grosskonzernen wie Mittelständlern den Weg in neue Absatz-, Produkt- und Technologiewelten weisen.
– als Gralshüter eines Herrschaftswissens aus allen Wissensdisziplinen von der Informationstechnologie über die Markt- und Mitarbeiterpsychologie bis zum Bilanzrecht.
– als kreative Rhetoriker, aus denen Wortschöpfungen von Customer Relationship Management bis Supply Chain Management nur so hervorquellen.
– als olympische Autoritäten, die Reorganisationen und deren Folgen den betroffenen Arbeitnehmervertretern wie mächtigen Gewerkschaften ganz unverblümt klar zu machen wissen, wenn selbst die Chefs dieser Unternehmen sich das nicht trauen.
– als politische Ratgeber, die Regierungen wie Potentaten mitteilen, wo es – in der Struktur-, der Steuer- oder der Gesundheitspolitik – langzugehen hat.
Und schliesslich: als Ausputzer, die seit Jahrzehnten mit eisernem Besen durch Fabrikhallen und Büros in aller Welt fegen, jede noch so verborgene Schwachstelle in Prozessabläufen wie bei Mitarbeitern gnadenlos aufspüren und wegkehren.
Bis vor kurzem brüsteten sich Unter-nehmer und Spitzenmanager mit dem Hinweis, dass sie ganze Heerscharen an Consultants dieser und jener höchst renommierten Unternehmensberatungsfirma im Haus haben, erinnert sich Leonhard Fopp besserer, gerade mal zwei, drei Jahre zurückliegender Zeiten.
Und nun? «Neu ernannte CEO prahlen damit, dass sie keinen Unternehmensberater brauchen», bringt der Präsident des Schweizer Unternehmensberaterverbandes ASCO und Chef der Continuum AG in Zürich die aktuelle Situation der Branche kurz und bündig auf den Punkt.
Das Ende zweistelliger Zuwachsraten
Solch ein doppelter Umbruch irritiert natürlich gewaltig. Denn das Beratergewerbe kannte in der Schweiz wie im Rest der Welt über Jahre hinweg fast nur zweistellige Zuwachsraten und hielt sich nicht zuletzt deshalb in toto für gleichermassen unersetzlich wie unangreifbar. Es ist deshalb kaum verwunderlich, wenn Fopps ASCO-Vorstandskollege Thomas Bergmann, Chef der ICME Management Consultants in Zürich, einen Paradigmenwechsel als Ursache wittert. Dies ist ein zwischenzeitlich in der Branche sehr verbreiteter Eindruck.
Schliesslich geht der Absturz nicht nur ans Selbstbewusstsein und ans Gemüt. Vielmehr tangiert er längst schon nachhaltig die Strukturen, in denen es sich die Branche recht gemütlich gemacht hatte. Und er kostet mittlerweile vor allem kräftig Geld.
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Mehr als fünfzehn Prozent des Umsatzes kamen der Branche in ihrer Gesamtheit in der Schweiz binnen Jahresfrist abhanden. Statt 1,2 Milliarden Franken wie noch 2001 mussten sich laut ASCO die rund 600 Beratungsunternehmen im vergangenen Jahr rund eine Milliarde teilen. Jenseits der Landesgrenzen, wo Schweizer Consultants immerhin jeden fünften Franken verdienen, sieht es kaum besser aus. «Wir leben in nicht gerade leichten Zeiten», umschrieb Rémi Redley, Präsident des europäischen Unternehmensberater-Dachverbandes FEACO, beim Jahresmeeting seiner Organisation Ende Mai im slowenischen Ljubljana die globale Befindlichkeit des Gewerbes.
Allen voran traf der Rückgang einige der Giganten des Gewerbes. Der Marktanteil der Top 10 in der Schweiz sank von 53 Prozent im Jahr 2001 auf 49 Prozent im Vorjahr, protokollierte ASCO-Ehrenmitglied André C. Wohlgemuth, Titularprofessor an der Universität Zürich, Leiter der Marktstudie «Fakten und Trends zum Management Consulting Schweiz 2002/2003» und Chef der Arcom Unternehmensberatung. Kleinere Beratungsfirmen mit einem Honorarumsatz von weniger als 750000 Franken dagegen hielten sich laut Wohlgemuths Erkenntnissen im Schnitt wackerer. Sie mussten nur einen Umsatzrückgang von 10 Prozent verkraften statt der 17 Prozent im Branchenschnitt. Für Eric Scherer, den Inhaber der Zürcher Beratungsfirma intelligent systems solutions (i2s) GmbH, ist dies ein Zeichen dafür, dass in dem jetzt voll angelaufenen Verdrängungswettbewerb «die kleinen, aber institutionalisierten und fachlich klar positionierten Beratungsfirmen mit fünf bis fünfzehn Mitarbeitern vergleichsweise hoffnungsfroh in die Zukunft blicken können».
Dies ist aber dennoch kein Grund zur (Schaden-)Freude. Denn natürlich trifft auch die kleinen und mittleren Berater, was Hubertus M. Mühlhäuser, Chef von Arthur D. Little (ADL) Schweiz, ganz generell feststellt: «Die Preise sind im Keller.» Zeichneten Kunden früher, wie in der Branche wehmütig geraunt wird, nämlich schon mal Rechnungen mit Tagessätzen von 10000 Franken und mehr für einen erfahrenen Senior Consultant oder Partner ab, müssen selbst die sich mittlerweile nicht selten mit 2000 bis 5000 Franken zufrieden geben. Dafür ist allerdings wohl weniger ein Paradigmenwechsel verantwortlich, sondern schlicht der in der ökonomischen Theorie seit langem bekannte Schweinezyklus. Und der ist mit allen seinen Folgen trotz aller IT-Unterstützung offensichtlich nicht ausrottbar.
Weniger Geld für mehr Leistung
Wie massiv sich der vormalige Anbieter- inzwischen in einen Käufermarkt verwandelte, spiegeln nämlich keineswegs nur die Honorarsätze wider. Denn die Kunden zahlen den Beratern nicht nur deutlich weniger für ihre Dienste, sondern verlangen dafür auch noch quantitativ wie qualitativ mehr Leistung. Das beginnt bereits im Vorfeld.
«Heute gibt es kaum mehr einen Auftrag ohne vorherigen Beauty Contest», weiss ICME-Chef Bergmann, also ohne ausgefeilte Angebotspräsentation mehrerer konkurrierender Consultants. Die Kosten dafür, hält er nüchtern fest, tragen die Beratungsfirmen, und dies schmälert deren ohnehin sehr eng gewordene Margen zusätzlich. Ob sich dieser Aufwand anschliessend wenigstens bei einem der Bewerber im Umsatz niederschlägt, ist obendrein keinesfalls gewiss. Denn mit den raueren Marktsitten kommt offenbar deutlich mehr als früher das «Know-how-Shopping» in Mode, konstatiert Fopp. So vornehm umschreibt der ASCO-Präsident den schlichten Ideenklau durch die potenziellen Auftraggeber, und der wird ihnen im Rahmen solcher Beauty Contests relativ einfach gemacht.
Doch selbst ohne einen solchen Verfall guter Sitten stellt sich die Welt für die Berater heute erheblich anders dar als noch vor wenigen Monaten. Viele CEO lassen angesichts klammer Unternehmenskassen derzeit viel weniger über neue Marktstrategien, den Umbau der internen Unternehmensorganisation oder gar innovative IT-Strukturen nachdenken. Und wenn doch, dann vorzugsweise zunächst von eigenen Mitarbeitern, weil die ohnehin nicht ausgelastet sind. Dies erklärt auch, warum Personalberater ebenfalls schon mal entspanntere Phasen erlebten.
Insgesamt sind externe Consultants daher momentan weit weniger als einst gefragt – und wenn schon, dann ganz anders: «Wolken», beschreibt Josef Ming diesen Aspekt anschaulich, «können sie nämlich nicht mehr bei ihren Kunden abliefern.» Der Partner bei Bain & Company in Zürich hat damit insbesondere solche in früheren Zeiten nicht eben seltenen und meist ziemlich vollmundig angekündigten Beratungsprojekte im Sinn, in die locker viel Geld, Zeit und Fantasie investiert wurde, bevor sie dann ziemlich sang- und klanglos in einer Schublade verschwanden oder nur teilweise und oft sehr stümperhaft realisiert wurden.
«Beraterunfälle» als heilsamer Schock
Diese Folge der veränderten Marktsituation findet Ming deshalb im Prinzip durchaus gut so, und viele seiner zwischenzeitlich recht selbstkritisch gewordenen Kollegen sehen das nicht anders. Denn weitere höchst imageschädliche «Beraterunfälle» nach Swissair-Art, so ihre stille Hoffnung, lassen sich durch mehr Professionalität und Pragmatismus bei allen Beteiligten künftig vielleicht eher vermeiden.
Aktuell allerdings schafft dieser Trend insbesondere bei den grossen Beraterfirmen erhebliche strukturelle Anpassungsprobleme. Ihre Heerscharen von Junior Consultants, die für den Senior massenhaft Daten sammeln und aufbereiten, in Brainstormings jugendlich unbekümmert eigene Ideen für erste Grobkonzepte einbringen und so nebenbei ihre – selbstverständlich vom Kunden bezahlte – Praxisausbildung absolvieren, werden plötzlich nicht mehr gebraucht. Die ASCO-Statistik zeigt: Nur noch 3000 Berater statt deren 3200 werden benötigt; und so wundert es nicht, dass als zwangsläufige Folge davon die klassische «Consulting-Pyramide» zur Gestalt eines «Champignons» mutierte, so Verbandspräsident Fopp.
Das lässt für Hochschulabgänger mit kühnen Beraterambitionen Unheil ahnen. Reine Konzeptberatungen sind weniger en vogue, wie Fopp die aktuelle Markterfahrung seiner Verbandsmitglieder zusammenfasst. Und sie sind auch kaum mehr gefragt. Denn für «Solution Consulting», das die Kunden jetzt hauptsächlich verlangen, taugen Anfänger naturgemäss nur sehr bedingt. Vorschläge für handfeste Massnahmenbündel zu entwickeln, die vor allem auf der Ertragsseite schnell Wirkung zeigen, und diese anschliessend in den Unternehmen tatkräftig umzusetzen, ist eher die Sache erfahrener Berater. Und deren Pflichtenhefte werden von den Kunden immer präziser formuliert, mit sehr knappen Zeitvorgaben verknüpft und pingelig in puncto Beratereffizienz kontrolliert.
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Das alles können die Unternehmen dank deutlich spürbarem Reifungsprozess im Umgang mit Beratern inzwischen bemerkenswert gut, so eine Feststellung von Carsten B. Henkel, Vice President und Managing Partner bei der Monitor Group in Zürich. Henkel vermag dieser Konsequenz, obwohl sie aktuell Honorarumsatz kostet, im Hinblick auf eine künftig spannungsfreiere und effektivere Zusammenarbeit durchaus Positives abzugewinnen.
Die Basis dafür ist ohnedies nicht schlecht: Nach einer von der ASCO durchgeführten Kundenumfrage (bei der von 600 angefragten Kunden leider nur 50 antworteten) äusserten sich nur acht Prozent unzufrieden über ihre Berater. Sogar zwanzig Prozent zeigten sich andererseits sogar regelrecht begeistert. Das ist Balsam für die in letzter Zeit öffentlich arg geschundene Beraterseele. Und es ist vor allem nicht die schlechteste Basis für konjunkturell wieder deutlich bessere Zeiten.
Zumindest erste Vorboten für den Aufschwung glauben Bain-Partner Ming wie sein Wettbewerber Henkel von Monitor – die beide nach eigenen Aussagen entgegen dem Markttrend allerdings selbst in den vergangenen zwei Jahren noch zulegen konnten – bei der aktuellen Geschäftsentwicklung schon wieder zu verspüren. ADL-Chef Mühlhäuser ebenfalls. Dafür, vermutet Letzterer, sorgt zunächst die wachsende Halde von Projekten in den Unternehmen, die in den vergangenen Monaten aus Kostengründen vorläufig zurückgestellt wurden. Irgendwann wird damit begonnen werden müssen, diesen Stau wieder aufzulösen. «Mit Minus-Management kann man kein Unternehmen voranbringen, sondern nur mit Plus-Management», versucht ASCO-Präsident Fopp diesen allmählichen Bewusstseinswandel bei den CEO noch zu verstärken.
Berater sehen grossen Beratungsbedarf
Ein Mangel an Beratungsbedarf, ist Fopp sich deshalb gewiss, herrscht bei den Unternehmen ganz sicher nicht. Der Bedarf hat angesichts der Veränderungen der grundsätzlichen Rahmenbedingungen inzwischen sogar noch dramatisch zugenommen, sich zugleich aber gewaltig verändert. Und dies stellt zunächst einmal für die Berater selbst in jeder Hinsicht eine Herausforderung dar: für die Art, wie sie sich organisatorisch aufstellen, die Kompetenzen, über die sie verfügen müssen, und ebenso die Art, wie sie sich ihren Kunden wie der Öffentlichkeit präsentieren.
Dabei geht es grundsätzlich um die Frage, wie sich die Beraterbranche und ihre Unternehmen künftig positionieren: als eine Art «Industrie» (mit Standardprodukten) oder als echte Schmiede massgeschneiderter Lösungen?
Für Christel Niedereichholz, Professorin an der Heidelberger Akademie für Unternehmensberatung, zunächst ein ziemlich akademisches Problem, das die Betriebswirtschaftslehre eigentlich längst gelöst hat. «Wo kommen wir denn hin, wenn wir bei jedem Kunden eine Einzelfertigung machen müssen?», kontert sie kühl und verweist auf die im Prinzip schon vor rund sieben Jahrzehnten von James Oscar McKinsey erfundene Gemeinkostenwertanalyse als «Mutter aller Beratungsinstrumente». Dieses Werkzeug habe – immer wieder weiterentwickelt und variiert – seither nämlich noch jede Beratergeneration solide ernährt. Bei dieser «Brot-und-Butter-Funktion» standardisierter Beratertools wird es nach ihrer Einschätzung deshalb auch in Zukunft bleiben.
Andererseits, registrierte jedoch auch diese Lichtgestalt der deutschen Unternehmensberaterszene, eroberte vor allem der Begriff «soziale Kompetenz» unter allen Beratertypen mittlerweile einen bemerkenswerten Stellenwert. Denn bei aller aktuellen wie grundsätzlichen Dominanz der Kostenoptimierung in den Unternehmen: «Mit den einfachen Kostensenkungsübungen», so Monitor-Berater Henkel, «sind die meisten inzwischen längst durch.»
Standard-Know-how genügt nicht mehr
Auch kleinere Einzelhändler wissen schliesslich inzwischen zumindest in Ansätzen um die Vorzüge eines Warenwirtschaftssystems, und auch Kirchen verwalten ihre Gläubigen längst mittels irdischer Softwareprogramme. Wenn jetzt – egal ob von einem Kleinbetrieb oder einem Grosskonzern – ein Berater gerufen wird, muss der im Regelfall deshalb schon einiges mehr mitbringen als exzellente Soft- und Hardwarekenntnisse, neueste betriebswirtschaftliche Theorien, schlichte Stoppuhren oder ausgefeilte Marktanalysen.
Die Fragen sind mittlerweile diffiziler geworden: Wenn ein gestandener Mittelständler wegen der neuen Eigenkapitalrichtlinien für Banken im Rahmen des «Basel II»-Prozesses plötzlich völlig ungewohnte Wege in der Unternehmensfinanzierung gehen muss oder wenn ein Unternehmer partout keinen Nachfolger für die Fortführung seines Lebenswerkes findet, dann sind Standardlösungen nicht mehr adäquat.
Auch Spitzenmanager aus Grossunternehmen dürstet es nach Unterstützung von verständnisvollen Consultants, wenn es gilt, die spektakulären Veränderungen der Vergangenheit anschliessend auch «kulturell» in den Griff zu bekommen. Hier geht es, lässt Monitor-Chef Henkel die Auswirkungen des derzeit häufig zitierten Paradigmenwechsels aufscheinen, «um weit mehr als nur um die Abwicklung eines Projektes». Vielmehr stellt sich massiv die Frage nach dem zukünftigen Rollenverständnis der Berater.
Der Markt, prognostiziert ASCO-Präsident Fopp deshalb, wird sich hinsichtlich des angebotenen Leistungsspektrums «extrem polarisieren», und das wird für nicht wenige Consultants «unternehmerische Transformationen und Repositionierungen bedingen».
Wahrscheinlich wird es wohl einen Mix geben aus Firmen mit weitgehend standardisierter Beratung und den Massschneidern der Branche, die ihren Kunden gleichermassen mit Esprit, handwerklichem Können, Umsetzungserfahrung und viel Einfühlungsvermögen als Sparringpartner zur Seite stehen und CEO wie deren Mitarbeiter den Umgang mit immer neuen Problemstellungen lehren, statt sie mit fertigen Lösungen zu belehren. Genau diese Beratungsvariante muss die Branche jedoch zunächst wohl intern anwenden.
Den Wandel, den Management-Consultants jahrelang gepredigt haben, so stellt ASCO-Präsident Fopp lakonisch fest, «erlebt der für die Schweiz bedeutende Wirtschaftszweig jetzt selbst am eigenen Leib».