Kurz vor Mittag im thurgauischen Triboltingen: Hans Harlacher ist im Stress. Um zwölf Uhr muss das Mittagessen für die drei schulpflichtigen Kinder auf dem Tisch stehen.

Doch Hans Harlacher ist nicht nur Hausmann und Familienvater. Wenn er nicht kocht oder einkauft, handelt er mit Briefmarken. Nicht mit Sammlermarken, sondern mit nach wie vor gültigen Frankaturmarken. Der aus Winterthur stammende Harlacher ist Besitzer des einzigen Frankaturhandels in der Schweiz. Stolzer Umsatz seines Hans-Frankatur-Versandes: Rund 1 Mio Fr. jährlich.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Eigentlich ist Harlacher Wirt. Doch 1992 hat er die eigene Wirtsstube in Winterthur verpachtet und ist in die Rolle einer Brieftaube geschlüpft, die alte Briefmarken verschickt. In seinem Büro türmen sich Kisten. Darin warten rund 1000 verschiedene Typen von Briefmarken darauf, in Tüten zu je 100 oder 200 Stück abgefüllt zu werden. Die ältesten Serien 3,50-und 10-Franken-Marken stammen aus den Jahren 1938, 1942 und 1955. Das Gros der «Secondhand»-Briefmarken stammt jedoch aus der Zeit nach 1960.

Eine Win-Win-Situation

Und so funktioniert der Frankaturhandel: Harlacher kauft Briefmarkenhändlern noch gültige Briefmarken zu 80% des Frankaturwertes ab. Die Händler spürt er mittels Inseraten in den einschlägigen Fachzeitungen auf. Die Kunden wiederum, welche die Briefmarken bestellen per Post, wie auch sonst , erhalten die Wertzeichen 5 bis 8% unter ihrem gültigen Wert. Wer die Briefmarken zwei- oder gar dreistufig bestellt (anstelle einer 85-Rappen-Marke eine 50er und eine 35er), fährt günstiger. Von der Differenz zwischen An- und Verkaufspreis lebt der Thurgauer. «Ich komme auf eine Gewinnmarge von 8 bis 9%», erzählt er stolz.

40 verschiedene Wertstufen zwischen 5 Rp. und 20 Fr. bietet er seinen Kunden an. «Mittlerweile habe ich gut 1200 Kunden, vor allem kleine und mittlere Betriebe, die sich keine eigene Frankaturmaschine leisten können oder wollen.» Privatkunden sind rarer, aber auch diese bedient er gerne. Oft drückt er auch ein Auge zu, wenn eine Bestellung weniger als 200 Fr. beträgt. Es gibt Kunden, die bestellen einmal im Jahr, andere monatlich. «Grössere Lieferungen haben schnell einmal einen Wert von 5000 bis 6000 Fr.», illustriert Harlacher die Dimension des Geschäftes.

Als Konkurrenz zur Post sieht er sich nicht. Denn die Post habe mit den Marken eine Leistung zwar verkauft, diese aber nie erbracht. Letztlich sorge er nur dafür, dass einst verkaufte Marken ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt würden. Die grösste Bedrohung für den Frankaturhandel stellte die EU dar bzw. ein Anschluss der Schweiz an die Währungsunion mit anschliessender Übernahme der europäischen Briefmarken. Während in Italien, Frankreich und Holland die alten Marken teilweise noch Gültigkeit haben, sind in Deutschland alle Wertzeichen in DM ungültig erklärt worden. «Viele Sammler und Händler haben fast alles verloren», weiss Harlacher. Für Sammlungen, die einst 80% des Nominalwertes wert waren, kriegen seine deutschen Kollegen heute noch 5%.

Zukunft ist ungewiss

Mittlerweile sind die Kinder eingetroffen, das Gespräch wird unterbrochen. Der Jüngste darunter, Christian, möchte das Geschäft des Vaters dereinst übernehmen. Doch Harlacher zweifelt, ob es seine Dienstleistung in 20 Jahren noch braucht. Liechtenstein habe vor drei Jahren alle Marken aus den Jahren vor 1996 für ungültig erklärt. Auch wenn er nicht mit einem analogen Schritt rechne, so werde der Geschäftsumfang abnehmen. Denn: «Briefmarkensammler sterben aus. Es fehlt der Nachwuchs.»

Zudem sind Briefmarkenbogen als «Wertanlage» heute «out». Briefmarkenbogen waren einst die Aktie des kleinen Mannes. Das ist vorbei. Damit wird der «Rückfluss» an Marken abnehmen. «Für die nächsten 10 bis 15 Jahre sollte es noch reichen», lacht Harlacher, schlüpft in seine Hausmannsrolle und serviert den Nachtisch.