Selten war sich die Schweizer Presse derart einig: Mit Notenbanker Bruno Gehrig hat die kriselnde Rentenanstalt den idealen Präsidenten gewonnen. Gehrig wird Mitte Jahr, nach der Generalversammlung des Lebensversicherers, sein neues Amt antreten. Enorm erfahren in Finanzfragen, politisch unbestritten und persönlich integer, gilt er als idealer Coach für den neuen CEO Rolf Dörig, der von der Grossbank CS kommt. Gehrig steuerte die Nationalbank aus den Strudeln der Ära Lusser in ruhige Gewässer. Für seine weniger restriktive Geldpolitik, die er souverän und mit sicherem Gespür kommunizierte, erwarb er sich Respekt in allen politischen Lagern. Gehrig hatte beim grossen Monetaristen Karl Brunner die Geldmechanik von der Pike auf gelernt. Der Rücktritt des Vizepräsidenten stürzt den Bundesrat in ein Dilemma: Weit und breit ist kein Nachfolger in Sicht, der in die Fussstapfen des international vernetzten Notenbankers treten könnte. Kommt hinzu, dass das SNB-Dreierdirektorium mit Jean-Pierre Roth und Niklaus Blattner auch menschlich gut harmoniert. Sein Nachfolger steht unter hohem Erwartungsdruck. In einer wirtschaftlich angespannten Situation können sich Fehler in der Geldpolitik verheerend auswirken. Gehrig wohnt mit seiner Frau, die als Buchhändlerin arbeitet, und seinen drei Kindern in Winterthur.
Die Universitätsverbindung Ein enger Freund ist Heinz Zimmermann, heute Professor in Basel, den Gehrig aus St.- Galler HSG-Zeiten kennt. Wichtigster Mitstreiter während seiner Lehrtätigkeit an der HSG war Franz Jaeger, für den Gehrig kürzlich zu dessen 60. Geburtstag eine Festschrift herausgegeben hat. Kollegial verbunden ist Gehrig mit Peter Gomez, dem Rektor der HSG. Mit dem Zürcher Wirtschaftsanwalt, HSG-Professor und ehemaligen Bankenkommissionsmitglied Peter Nobel verbindet ihn die Leidenschaft für Fussball. Besonders gerne sehen sich GC-Fan Nobel und St.-Gallen-Fan Gehrig die Derbys der beiden Teams im Zürcher Hardturmstadion an.
Der Draht in die Rentenanstalt Der scheidende Rentenanstalt-Präsident, Andres Leuenberger, hat sich persönlich um seine Nachfolge gekümmert: Er war es, der Gehrig kontaktiert hat. Als Mitglied des Bankausschusses der Nationalbank kennt er ihn aus nächster Nähe. Beraten wurde die Rentenanstalt bei der Suche nach dem neuen Präsidenten vom Zürcher Headhunter Egon P.S. Zehnder. Rentenanstalt-Verwaltungsrat und FDP-Politiker Gerold Bührer kennt Gehrig noch aus den gemeinsamen Tagen im Anlageausschuss der Bankgesellschaft, für die beide in den Achtzigerjahren tätig waren. Wunschkandidat war Gehrig für Rentenanstalt-CEO Rolf Dörig. Auch der ist ein Bekannter: Der ehemalige CS-Banker hat die Grossbank bei den regelmässigen Aussprachen mit der Nationalbank vertreten.
Die Banken-Connection Als ehemaliger Chefökonom und späterer Chef Börse der Bankgesellschaft hat Gehrig enge Bande zu mehreren UBS-Topbankern. Mit seinen damaligen Vorgesetzten, den Expräsidenten Robert Studer und Mathis Cabiallavetta, trifft sich Gehrig auch heute noch zum Gedankenaustausch. Cabiallavettas Managementstil soll ihm zu UBS-Zeiten allerdings wenig behagt haben. Zur Bankgesellschaft geholt hat ihn der langjährige Präsident Nikolaus Senn. Aus der Zeit bei der UBS-Tochter Cantrade kennt er Ruedi Villiger, mit dem zusammen er auch in der Altherrenschaft der St.-Galler Studentenvereinigung Bodania ist. Hans-Ulrich Doerig, Vizepräsident der Credit Suisse Group, ist Vorstandsmitglied des Fördervereins des St.-Galler Bankeninstituts, das Gehrig geleitet hat. Freundschaftlich verbunden ist Gehrig mit Kurt Amsler, dem Präsidenten des Kantonalbankenverbands. Ebenfalls ein Freund ist Kurt Aeberhard, Geschäftsleitungsmitglied der Neuen Aargauer Bank, der mit Gehrig in Bern studiert hat. Aus Berner Studienzeiten kennt er auch SP-Bankenkritiker Rudolf Strahm. Gehrig ist Sponsor des Handballclubs Pfadi Winterthur. Ihm ist der Dank von Peter Spälti, dem Expräsidenten der Winterthur-Versicherungen und Förderer des lokalen Handballvereins, sicher.
Das Leiden mit dem Freisinn Bis heute nicht überwunden hat er die Abfuhr bei der Wahl des Notenbank-Chefs. Der Bankrat hatte ihn vorgeschlagen, doch seine CVP-Parteifreunde Ruth Metzler und Joseph Deiss vermasselten die Kür im Bundesrat. Die beiden Freisinnigen Pascal Couchepin und Kaspar Villiger hievten mit Hilfe von Adolf Ogi und Ruth Dreifuss überraschend Jean-Pierre Roth in den Präsidentensessel. Gehrig wollte daraufhin den Bettel hinschmeissen. Nun wird sein nachvollzogener Abgang zum Problem: Gesucht wird ein Geldmarktexperte, doch die Auswahl ist laut Bankratspräsident Hansueli Raggenbass «beschränkt». CVP-Kandidat Peter Buomberger, Ex-UBS-Chefökonom, geniesst bei der SP Sympathien. Der Einzelgänger ist SNB-intern wegen seiner mutigen Kritik an Markus Lussers Geldpolitik ein rotes Tuch. SNB-Chefökonom Ulrich Kohli wird von Präsident Jean-Pierre Roth gepusht. Gehrig favorisiert Philipp Hildebrand (Union Bancaire Privée). Der deutsche Klaus Wellershoff (UBS) hat den falschen Pass. An ein Wunder würde die Wahl eines Genossen (Gewerkschaftsboss Serge Gaillard, Ex-Nationalrat Armin Jans) oder eines SVP-Mannes (Nationalrat Hans Kaufmann) grenzen.
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