Es ist die Zeit vor Weihnachten 2005. Josef Ackermann lässt sein Mobiltelefon eingeschaltet, denn er erwartet noch einen wichtigen Anruf: An diesem 21. Dezember geben die Bundesrichter in Karlsruhe ihren Entscheid zum Revisionsverfahren in Sachen Mannesmann bekannt. Im Juli 2004 ist der Deutsche-Bank-Chef zwar freigesprochen worden, doch die Staatsanwaltschaft hat umgehend Berufung eingereicht. Nun hängt es von den obersten Richtern der Bundesrepublik Deutschland ab, ob Ackermann erneut vor Gericht erscheinen muss.
Im Verhandlungssaal in Karlsruhe harrt derweil Ackermanns Rechtsvertreter Eberhard Kempf der Dinge, die da kommen sollen. Als die Bundesrichter unter dem Vorsitz von Klaus Tolksdorf den Raum betreten und ihr Urteil kundtun, herrscht Konsternation unter den Betroffenen: Die Freisprüche werden aufgehoben – der Mannesmann-Prozess geht in die zweite Runde.
Sofort verlässt Kempf den Saal und ruft seinen Klienten an. Ackermann reagiert nicht sofort auf Kempfs Mitteilung, es dauert einige Sekunden, bis er seine Fassung wieder gefunden hat. Beide wissen, was nun droht: erneut endlose Stunden im Gerichtssaal, erneut eine kritische Berichterstattung, erneut Rücktrittsforderungen an die Adresse von Josef Ackermann. Wenig erfreulich ist, dass mit dem höchstrichterlichen Spruch der Argumentationsspielraum für die Verteidiger stark eingeengt worden ist. Hier hat nicht der Vorsitzende eines Landgerichts in Düsseldorf gesprochen – hier haben die brillantesten juristischen Köpfe des Rechtsstaats Deutschland das Feld abgesteckt. Und wie eng sie die Zäune gesetzt haben, zeigen die Begriffe, die sie gebrauchen: Als «Gutsherren statt Gutsverwalter» hätten sich die Angeklagten in der Causa Mannesmann aufgeführt und dabei die Interessen des von ihnen vertretenen Unternehmens geschädigt.
Das «Gut», um das es hier geht, heisst Mannesmann, die traditionsreiche Industriefirma, die sich in den neunziger Jahren zum Mobilfunkanbieter gewandelt hat und 2000 vom britischen Konkurrenten Vodafone geschluckt worden ist. Im Umfeld dieser Übernahme ist es zu jenen Ereignissen gekommen, die nun erneut vor Gericht beurteilt werden müssen und die Josef Ackermann in die empfindlichste Krise seiner Karriere gestürzt haben.
Die Geschichte beginnt am 2. Februar des Jahres 2000 in Newbury in der Nähe von London. Dort befindet sich der Konzernhauptsitz des britischen Mobiltelefonanbieters Vodafone, und dort wartet an diesem Tag Vodafone-Chef Christopher Gent auf einen Anruf von Mannesmann-Chef Klaus Esser. Seit Monaten schon liefern sich die beiden einen unzimperlichen Übernahmekampf, und zuletzt ist es Gent gelungen, Esser arg in die Enge zu treiben. Dies, indem er den französischen Konzern Vivendi, den der Deutsche für Mannesmann als Alliierten auserkoren hatte, zum Umkippen brachte. Nun ist Esser allein, und die Burg Mannesmann dürfte bald in die Hände von Vodafone fallen. Um 14 Uhr klingelt das Telefon auf dem Pult von Gent. Esser teilt dem Briten mit, er sei so weit, Gent solle nach Düsseldorf kommen. Zufrieden legt Gent auf: Nach einem mehrmonatigen Eroberungszug ist der Sieg zum Greifen nah.
Wenige Monate zuvor war die Ausgangslage noch völlig anders. Anfang November 1999 schlägt Gent dem Mannesmann-Chef erstmals eine Fusion vor. Es ist die hohe Zeit der New Economy und des Technologiebooms. Die Unternehmen der Telekombranche kämpfen um einen rasant wachsenden Markt. Die Branche steckt mitten im Konsolidierungsprozess, und der deutsche Markt ist für Vodafone von grossem Interesse. Gent hat beschlossen: Taktgeber von Branchenzusammenschlüssen soll nicht Mannesmann, sondern Vodafone sein. Das Beste wäre, die Deutschen zu schlucken, meint Gent. Doch Esser lehnt einen Schulterschluss ab. Er stellt sich auf den Standpunkt, Mannesmann werde ohne Vodafone schneller wachsen können.
Gent lässt sich von der ersten Reaktion Essers nicht beirren und macht nur eine Woche später, am 14. November, ein offizielles Übernahmeangebot. Die Briten haben bereits konkrete Preisvorstellungen: 43,7 Vodafone-Anteile für eine Mannesmann-Aktie. Esser lehnt ab. Am 19. November wendet sich Gent direkt an die Aktionäre und erhöht das Angebot auf 53,7 Anteile. Der Kaufpreis läge damit bei rund 120 Milliarden Euro. Esser lehnt erneut ab.
Indem Gent das unmissverständliche Nein des Mannesmann-Managements ignoriert, ist aus der ursprünglichen Fusionsidee ein feindlicher Übernahmeangriff geworden. Und Mannesmann verstärkt die Verteidigung. Über 100 Millionen Euro gibt der Düsseldorfer Konzern für die Abwehrschlacht aus, einen Grossteil davon allein für Anzeigen in den Medien. Die Botschaft: Wir wollen uns nicht übernehmen lassen. Getreu einem Grundsatz der strategischen Kriegsführung sucht Esser nach befreundeten Kräften und findet diese bei Vivendi. Die Franzosen sollen sich mit Mannesmann zusammentun und gemeinsam gegen die Briten Front machen. Doch Vivendi ist ein untreuer Verbündeter. Ende Januar wird bekannt, dass Vodafone auch mit Vivendi-CEO Jean-Marie Messier verhandelt hat – offenbar geschickter, als Esser es tat. Auf alle Fälle wollen die Franzosen nun plötzlich statt mit Mannesmann mit Vodafone zusammenarbeiten. Essers Abwehrdispositiv ist damit erheblich geschwächt. Sich weiter gegen die feindliche Übernahme zu wehren, wird schwierig, vor allem weil die Briten die Mannesmann-Aktionäre mit einem guten Kaufpreis ködern. Esser beschliesst, die Waffen zu strecken und den Angreifer in sein Haus zu lassen.
Das Meeting vom 2. Februar ist auf 18 Uhr angesetzt. Vodafone-Chef Christopher Gent muss sich beeilen, um von Newbury ins ferne Düsseldorf zu gelangen. Doch der Brite trifft pünktlich im 21. Stockwerk des Mannesmann-Hochhauses ein. Mehrere Stunden verhandeln die beiden Männer, und um ein Uhr morgens ist Gent am Ziel: Klaus Esser akzeptiert eine Minderheitsbeteiligung von Mannesmann an einem fusionierten Unternehmen. Damit legt sich Mannesmann in die Arme von Vodafone. Der Preis, den die Briten zahlen, liegt bei 180 Milliarden Euro, auf Rekordhöhe in der europäischen Wirtschaftsgeschichte.
Als einer der Ersten wird ein wichtiger Mannesmann-Aktionär von der neuen Entwicklung ins Bild gesetzt: Canning Fok, Managing Director des chinesischen Mischkonzerns Hutchison Whampoa. Die Chinesen halten rund zehn Prozent an Mannesmann. Beim soeben beschlossenen Kaufpreis ist das Paket 18 Milliarden Euro wert. Fok kann sich die Hände reiben: Die Beteiligung seines Mischkonzerns an Mannesmann hat damit auf einen Schlag um fast zehn Milliarden an Wert zugelegt. Easy Money für Hutchison Whampoa. Kein Wunder, ist Canning Fok gut gelaunt, und er bietet an, Gent und Esser sofort einen persönlichen Besuch abzustatten. Fok weilt auch in der Stadt, weil am nächsten Tag eine Aufsichtsratssitzung von Mannesmann geplant ist, an der er teilnehmen soll.
So stösst der Chinese zum nächtlichen Meeting von Gent und Esser und zeigt sich angesichts des sich abzeichnenden Vermögenszuwachses für sein Unternehmen in Spendierlaune: Er wolle sich bei Esser erkenntlich zeigen, sagt Fok und bietet dem Mannesmann-Chef als Appreciation Award, als Anerkennungsprämie also, zehn Millionen Pfund an. Die Idee gefällt Esser, unter zwei Bedingungen. Erstens wolle er den Geldsegen mit seinen Mitarbeitern aus dem Telekommunikationsteam teilen, denn diese hätten grosse Arbeit geleistet. Und zweitens wolle er das Geld nicht vom chinesischen Grossaktionär, sondern direkt von Mannesmann. Das sei sein Arbeitgeber.
Die erste Bedingung ist schnell erfüllt. Fok klärt in China ab, ob er noch einmal zehn Millionen verschenken dürfe, und bekommt grünes Licht. So legt er flugs weitere Pfundmillionen drauf als Geschenk für die Mitarbeiter. Doch mit der zweiten Bedingung beginnen die Probleme – für Josef Ackermann.
Denn Zahlungen von Mannesmann an die Vorstände muss der Präsidialausschuss des Aufsichtsrats bewilligen, und dort hat Ackermann Einsitz. Die Deutsche Bank besetzt traditionsgemäss einen Aufsichtsratssitz bei Mannesmann und hat viele Jahre sogar den Vorsitzenden gestellt. Josef Ackermann hat seinen Sitz von Hilmar
Kopper geerbt, und auch wenn Ackermann nicht wie Kopper als Aufsichtsratschef von Mannesmann fungiert, so nimmt er doch Einsitz im Ausschuss für Vorstandsangelegenheiten. So heisst der wichtige Präsidialausschuss, dem vier Mitglieder angehören. Neben dem Deutsche-Bank-Chef ist Joachim Funk, der Vorsitzende des Aufsichtsrats und Vorgänger von Klaus Esser als Vorstandsvorsitzender von Mannesmann, im Ausschuss; die beiden anderen Mitglieder sind die Arbeitnehmervertreter Jürgen Ladberg und Klaus Zwickel, der als Präsident der mächtigen Gewerkschaft IG Metall eine öffentliche Figur im Land ist.
Diese vier Männer sind es, die jegliche Geldzahlungen an Vorstandsmitglieder beschliessen und absegnen müssen. So auch den von Fok initiierten Sonderbonus. Am 4. Februar, nur zwei Tage nachdem Esser die Übernahmeofferte Gents akzeptiert hat, trifft sich der Präsidialausschuss zu einer Sitzung, um die Zahlungen für Esser zu besprechen.
Es ist geplant, dass sich der Ausschuss kurz vor Mittag trifft. Anschliessend findet die Sitzung des Gesamtaufsichtsrats statt. Man will die Frage der Anerkennungsprämien zunächst im kleinen Kreis besprechen. Doch von den vier Mitgliedern des Präsidialausschusses haben sich lediglich Funk und Ackermann zum vereinbarten Termin eingefunden. Arbeitnehmervertreter Ladberg ist krank, Gewerkschaftsführer Zwickel hält an einer Veranstaltung in Wolfsburg eine Rede. Und so sitzen an diesem so entscheidenden Meeting nur zwei der vier Ausschussmitglieder am Tisch.
Mitgebracht haben die beiden ein Papier, das die Grundlage für die Entscheidungsfindung bilden soll: ein vorbereitetes Beschlussprotokoll, das Klaus Esser persönlich am Abend zuvor erstellt hat. Funk eröffnet die Sitzung und legt Ackermann den Vorschlag eines Bonus für Esser vor. Er berichtet ihm vom Vorschlag der Chinesen und davon, dass Esser das Geld von Mannesmann überwiesen haben wolle. Doch damit nicht genug: Das viele Geld, das hier verteilt werden soll, hat bei Funk offenbar auch eigene Begierden geweckt. Er habe als Vorgänger von Esser als CEO ja auch seinen Teil zum Erfolg von Mannesmann beigetragen, wirft er ein. Er wolle auch eine Prämie. Er könne ja am vorgesehenen Fonds des Telekommunikationsbereichs beteiligt werden.
Josef Ackermann ist bis dahin nie auf die Idee gekommen, dass Joachim Funk ebenfalls eine Prämie erhalten sollte, und es findet auch jetzt keine Diskussion darüber statt, weshalb Funk gleichfalls begünstigt werden soll. Nur ein Punkt wird kurz angesprochen: Dem Deutsche-Bank-Chef fällt auf, dass Funk im vorbereiteten Beschlussprotokoll nicht unter den Begünstigten aufgeführt wird. Kein Wunder: Der Job des Aufsichtsratsvorsitzenden kann schwerlich als Mitarbeit im Telekommunikationsbereich interpretiert werden. So beschliessen die beiden, den Kreis der Begünstigten einfach um Joachim Funk zu erweitern, und einigen sich auf drei Millionen Pfund für diesen, also umgerechnet neun Millionen Mark. Da jedoch der Prämienfonds ursprünglich auf einen Vorschlag des chinesischen Grossaktionärs Hutchison Whampoa zurückgeht, will Ackermann die Zahlung an Funk nicht ohne Zustimmung der Chinesen vornehmen.
Canning Fok befindet sich ebenfalls gerade im Mannesmann-Hochhaus, er wartet auf die später angesetzte Sitzung des Gesamtaufsichtsrats. Funk beschliesst, Fok zu suchen, und stöbert ihn in einem Nebenzimmer auf. Er bittet den Chinesen kurz in die Besprechung herein. Während Fok mit Ackermann spricht, wartet Funk draussen auf dem Flur. Ackermann sagt zum Hutchison-Whampoa-CEO, sie dächten über eine Beteiligung von Funk am Prämienfonds für das Telekommunikationsteam nach, und zwar in Höhe von drei Millionen Pfund. Ob er, Fok, damit einverstanden sei. Diesem ist das Management von Mannesmann nicht im Detail vertraut, doch er meint, das Präsidium wisse «schon am besten, was zu tun ist». Sollte also die Firma Mannesmann dies wollen, sei er einverstanden damit. Er verlässt den Raum, Funk tritt wieder ein, und Ackermann teilt ihm mit, Fok habe zugestimmt.
Damit ist alles klar: Ackermann bewilligt sowohl die Anerkennungsprämie für Esser als auch die Zahlung an Funk. «Innerhalb weniger Minuten» (Gerichtsurteil vom Juli 2004) verteilten Ackermann und Funk so rund 60 Millionen Mark Anerkennungsprämien – 30 Millionen Mark (10 Millionen Pfund) für Esser, 9 Millionen Mark (3 Millionen Pfund) für Funk, rund 21 Millionen Mark an die Manager aus Essers Telekommunikationsteam.
Nun haben Joachim Funk und Josef Ackermann noch ein Problem zu lösen: Damit der Beschluss gültig ist, sind drei Unterschriften vonnöten. Also ruft Funk eines der abwesenden Mitglieder des Präsidialausschusses an, Gewerkschafter Klaus Zwickel. Das Gespräch dauert rund eine Viertelstunde. Funk schildert Zwickel die Sachlage. Der Gewerkschaftspräsident sagt, dass es sich hier «um sehr viel Geld» handle, dass er aber im Ergebnis damit «kein Problem» habe. Damit kommt die Beschlussfassung zu Stande. Ackermann unterschreibt in Zwickels Namen und setzt in dessen Auftrag «gez. Zwickel, 4/2/00» ins Protokoll. Die Angelegenheit erscheint erledigt. Schnell und effizient hat Ackermann an der Beschlussfassung mitgewirkt, und gemeinsam mit Funk kann er sich nun in die Sitzung des Gesamtaufsichtsrats begeben.
Alles wäre für den Deutsche-Bank-Chef möglicherweise gut herausgekommen, hätte nicht eine pflichtbewusste Sekretärin das bald in Umlauf gegebene Beschlussprotokoll der Ausschusssitzung vom 4. Februar formal als ungewöhnlich empfunden. Das von Funk und Ackermann unterschriebene Protokoll nimmt den für Vergütungsfragen im Hause Mannesmann üblichen Weg. Dietmar Droste, Leiter der Abteilung Compensation and Benefits, dem die Betreuung der aktiven Vorstandsmitglieder von Mannesmann obliegt, wird bereits am Nachmittag des 4. Februar von der Fertigstellung des Beschlussprotokolls unterrichtet. Er gibt das Dokument wenige Tage später an die erwähnte Sekretärin weiter, zu deren Aufgabengebiet die Gehaltsabrechnungen der Vorstandsmitglieder gehören. Als Sachbearbeiterin seit Jahren für die Erstellung entsprechender Beschlussprotokolle des Präsidiums zuständig, ist sie über das Papier höchst erstaunt. Was sie hier in den Händen hält, entspricht im äusseren Erscheinungsbild so gar nicht den üblichen Protokollen, die sie zu betreuen hat. Sie spricht den Vorgesetzten Droste darauf an. Der reagiert zurückhaltend.
Doch die Sekretärin lässt nicht locker. Sie übergibt das Protokoll unter Hinweis auf ihre Bedenken dem zuständigen Wirtschaftsprüfer im Hause. Der Mann heisst Günter Nunnenkamp. Auch dieser bemerkt formale Mängel und hegt zudem Bedenken wegen der Unterschriften. Das von Ackermann hingekritzelte «gez. Zwickel, 4/2/00» wirkt wie ein Fremdkörper auf diesem Papier. Nunnenkamp beschliesst, der Sache nachzugehen.
Nicht eben glücklich mit dem Protokoll ist auch Klaus Esser, als er es zum ersten Mal zu Gesicht bekommt – trotz den 30 Millionen Mark, die ihm darin zugestanden werden. Esser ist Jurist, und ihm fällt sofort auf, dass Funk offenbar über seine eigene Millionenprämie beschlossen hat. Esser ist klar, dass das den rechtlichen Grundsätzen solcher Vergütungsbeschlüsse diametral entgegenläuft. Er ist verärgert, dass dies in derselben Sitzung geschehen ist, in der über seine eigene Prämie beschlossen wurde. Er teilt Funk seine Bedenken mit, der einige Tage später auch Ackermann davon in Kenntnis setzt. Essers Beschwerde mag auch Eigeninteresse zu Grunde liegen: Sollten die Beschlüsse wegen eines Formfehlers insgesamt ungültig sein, würde auch seine Prämie wieder zur Diskussion stehen. Das kann nicht im Sinne des Mannesmann-Chefs sein.
Klaus Esser hat in diesen Tagen im Zusammenhang mit den Anerkennungsprämien noch weitere wichtige Fragen zu klären. Der Fusionsprospekt muss erstellt werden, und noch ist unklar, ob es notwendig ist, die Appreciation Awards darin zu erwähnen. Die Rechtslage ist schwer überblickbar. Zum Beispiel ist der Mannesmann-Chef unsicher, ob neben seiner vertraglichen Vergütung auch die Zusage auf die Zahlung der Zusatzmillionen in den so genannten «Listing Particulars» anzugeben ist. Vodafone hat ihm mitteilen lassen, diese Entscheidung sei Sache von Mannesmann, und Klaus Esser beschliesst, den sicheren Weg zu beschreiten und die Zahlen in den Listings anzugeben. Ihm ist bewusst, dass dadurch die Prämien auch ausserhalb des Hauses bekannt würden.
Und so kommt es auch. Journalisten von «Manager Magazin Online» haben die Übernahmemodalitäten genau studiert und sind auf die Zahlen gestossen. Auch «Bild» nimmt die Meldung in grossen Lettern auf: «60 Millionen und tschüs!», titelt das Blatt und reibt den Lesern die Millionenprämien unter die Nase – versehen mit dem Hinweis, das Geld werde im Grunde nach einer Niederlage bezahlt, denn schliesslich habe Mannesmann den Übernahmekampf ja verloren. Es sei «der goldene Handschlag für den grossen Verlierer Klaus Esser», so «Bild».
Den Artikel lesen auch zwei Partner der Stuttgarter Anwaltssocietät Binz & Partner, Rechtsanwalt Mark Binz und Wirtschaftsprüfer Martin Sorg. Schon wiederholt haben sie sich gefragt, warum Esser nach einem monatelang erbittert geführten Abwehrkampf so plötzlich umgefallen war. Nun erscheint ihnen die Kapitulation in einem anderen Licht. Am 23. Februar 2000 erstatten Mark Binz und Martin Sorg Anzeige gegen Klaus Esser «wegen des Verdachtes der Untreue gemäss Paragraph 266 STGB im Zusammenhang mit der Übernahme der Mannesmann AG durch Vodafone plc.», wie es im Dokument heisst.
Derweil geht bei Mannesmann das Hin und Her um das anlässlich des Tête-à-Tête von Funk und Ackermann vom 4. Februar abgeänderte Beschlussprotokoll weiter. Die Angelegenheit hat sich weiter zugespitzt: Wirtschaftsprüfer Günter Nunnenkamp hat dem inhaltlich und formal für ihn nicht akzeptablen Papier seinen Stempel verweigert. Das Protokoll wirft in der Tat Fragen auf: Erstens erscheint Nunnenkamp die Zahlung für Esser recht willkürlich und zudem unangemessen hoch. Zweitens hat es für die weiteren Zahlungen keinen korrekten Beschluss des Ausschusses gegeben. So fehlen die Namen der zu berücksichtigenden Mitglieder aus dem Telekommunikationsteam auf der Liste. Nunnenkamp bespricht sich mit seinen Vorgesetzten, und auch diese finden: Einer Auszahlung der Gelder kann so nicht zugestimmt werden.
Funk und Esser ist die Sache äusserst unangenehm. Sie haben bereits mehrere Leute aus dem Team über den bevorstehenden Geldsegen informiert und hoffen, dass es jetzt keine Probleme gibt. Klar ist, dass das bestehende Protokoll offensichtlich nicht überzeugt. Es muss etwas geschehen. Am 16. Februar fertigt Vorstandsbetreuer Dietmar Droste einen neuen Entwurf eines Protokolls für eine weitere Sitzung zu diesen Fragen an, die gleich am nächsten Tag stattfinden soll. Nun werden die Begünstigten aus dem Esser-Team namentlich genannt.
Zudem wird die Zahlung an Esser konkretisiert. Im Papier Drostes ist unter Ziffer Nr. 1b, dd) nachzulesen: «Entsprechend dem Beschluss vom 4.2.2000 erhält Dr. Esser einen Appreciation Award in Höhe von GBP 10 Mio., der fällig wird, sobald Vodafone die Aktienmehrheit an Mannesmann erworben hat.»
Am 17. Februar um neun Uhr beginnt die Sitzung des vierköpfigen Präsidialausschusses. Wieder findet das Treffen der Kommission vor einer Gesamtaufsichtsratssitzung statt, die auf zehn Uhr angesetzt ist. Genau eine Stunde haben die Kommissionsmitglieder somit Zeit, die Millionenprämien abermals zu besprechen. Diesmal sind alle vier Mitglieder anwesend: Deutschbanker Josef Ackermann, Mannesmann-Aufsichtsratschef Joachim Funk, Gewerkschafter Klaus Zwickel und Arbeitnehmervertreter Jürgen Ladberg. Doch sitzt noch ein fünfter Mann mit am Tisch; auf Wunsch der Kommission ist an diesem Tag ausnahmsweise auch Klaus Esser anwesend.
Bevor die Diskussion zu den millionenschweren Sonderprämien kommt, werden zunächst sämtliche Fringe Benefits, die Esser ebenfalls zustehen, aufgelistet. Und das sind: eine Sekretärin, ein Büro und ein Fahrer mit Wagen auf Lebenszeit.
Danach wird über die Millionenzahlung an Esser gesprochen. Erstaunlicherweise wird über Inhalt und Höhe der beschlossenen Anerkennungsprämie erneut nicht debattiert. Kommissionsmitglied Klaus Zwickel hat in diesem Zusammenhang andere Sorgen: Nachdem die «Bild»-Zeitung sechs Tage zuvor die Sache publik gemacht hatte, ist der streitbare Gewerkschaftschef im Kreise seiner Genossen stark unter Druck gekommen. Zwickel bittet daher, den Text der am 4. Februar am Telefon mit Funk besprochenen Enthaltung abzuändern. Er wünscht die Formulierung «zur Kenntnis nehmen» statt «Stimmenthaltung» – dieser Ausdruck ist in der Vergangenheit seitens der Arbeitnehmervertreter an Stelle einer Enthaltung in Protokollen verwendet worden, wenn sie glaubten, ein Beschluss sei den Mitarbeitern nur schwer zu vermitteln.
Dieser Wunsch von Klaus Zwickel mutet eher peinlich an, denn «zur Kenntnis nehmen» ist gleichbedeutend mit «Enthaltung». Einziges Ziel: Zwickel gegen aussen in besserem Licht erscheinen zu lassen.
Ackermann und Funk jedoch wollen Zwickel den Gefallen nicht abschlagen und lassen ihn die Umformulierung vornehmen. Der Vierte im Bunde, Arbeitnehmervertreter Jürgen Ladberg, will sich nicht in das fröhliche Geldverteilen einspannen lassen. Er ist aufgebracht und wendet sich in deutlichen Worten gegen die Höhe der Entschädigungen: «Dafür muss ’ne alte Frau viel stricken», meint er. Doch die Haltung von Ladberg bleibt de facto ohne Folgen. Mit den Stimmen von Funk und Ackermann sowie der Enthaltung von Zwickel ist der Beschluss ohnehin gültig.
Als um zehn Uhr die Sitzung des Gesamtaufsichtsrats beginnt, nehmen alle vier Präsidiumsvertreter teil. Der Millionensegen für die Mannesmann-Manager wird nicht prioritär besprochen. Josef Ackermann will die brisante Information in einer Sitzungspause persönlich den Arbeitnehmervertretern im Rat mitteilen. Ein Grossteil der Anteilseigner sind in Vorgesprächen bereits über die Prämien in Kenntnis gesetzt worden. Um 12.45 Uhr wird die Sitzung unterbrochen, und Josef Ackermann nimmt die sieben Arbeitnehmervertreter im Rat zur Seite. Sie haben die kritischen Medienberichte zum Thema längst gelesen und wollen Informationen aus erster Hand. Dieser Sitzungsteil wird zum Spiessrutenlauf für Josef Ackermann, denn die sieben Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat überhäufen ihn mit Fragen zu den bereits besiegelten Beschlüssen. Die Arbeitnehmervertreter ziehen unterschiedliche Schlüsse daraus, wer denn nun gezahlt habe: die Mannesmann AG, Vodafone oder Hutchison Whampoa. Dem Deutsche-Bank-Chef wird später von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, er habe die Arbeitnehmervertreter falsch über die Herkunft der Prämien orientiert – das Gericht wird dies dann aber anders beurteilen. Tatsache jedenfalls ist, dass weder im Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 4. noch in jenem vom 17. Februar die Herkunft der Prämien eindeutig identifiziert wird. So heisst es im zweiten Protokoll reichlich missverständlich: «Dieser Award soll auf Vorschlag von Hutchison Whampoa und mit Zustimmung des Board of Directors von Vodafone AirTouch geleistet werden.»
Es dauert nicht lange, und Gewerkschaftsboss Klaus Zwickel sorgt erneut für Verwirrung. Am 18. Februar verschickt die IG Metall eine offizielle Pressemitteilung, worin sich der oberste Gewerkschafter zitieren lässt, die Anerkennungsprämien seien weder im Aufsichtsrat noch im Präsidium ein Thema gewesen. Eine glatte Lüge. Die Skepsis der Wirtschaftsprüfer erhält neue Nahrung. Was erzählt Zwickel da, und wie hat er denn nun abgestimmt? Zahlreiche Telefonate und Schreiben zwischen den Wirtschaftsprüfern, dem Protokollführer Dietmar Droste und den Firmenchefs Esser und Funk erhellen die Faktenlage: Klaus Zwickels Pressemitteilung entspricht ganz einfach nicht der Wahrheit. Der Gewerkschafter selber wird dies am Prozess später zugeben: Das Ganze sei «ein Fehler» gewesen.
Am 28. Februar lässt Funk einen neuen Umlaufbeschluss anfertigen, der endlich zur nun schon über drei Wochen zuvor beschlossenen Zahlung an Esser und sein Team führen soll und auch deutlich klarstellt, dass die Prämien von Mannesmann stammen. Der genaue Wortlaut: «Es wird festgestellt, dass die Zahlung des Betrages von GBP 10 Mio. durch die Mannesmann AG an Herrn Dr. Esser von dem Grossaktionär Hutchison Whampoa mit Herrn Gent (Vodafone AirTouch) abgestimmt worden und dem Präsidium vorgeschlagen worden ist. Dieses hat sich am 4.2.2000 und am 17.2.2000 mit der Angelegenheit befasst. Der Ausschuss für Vorstandsangelegenheiten beschliesst hiermit, dass der genannte Betrag Herrn Dr. Esser zugewendet werden soll. Nach Ansicht der Herren Zwickel und Ladberg ist die Höhe des genannten Betrages den Arbeitnehmern schwer vermittelbar. Sie nehmen daher die Entscheidung zur Kenntnis.»
Über die Prämie für Joachim Funk wird im April abschliessend befunden. In diesem Monat schliesst Vodafone die Übernahme von Mannesmann ab. Funk wird von Vodafone-Obmann Gent als Aufsichtsratsvorsitzender abgelöst. Am 17. April kommt es zu einer Sitzung des Präsidialausschusses in neuer Besetzung. Es wird darüber gesprochen, dass der Beschluss des Präsidiums vom 4. Februar nicht gültig sei. Man könne nun nochmals völlig frei entscheiden. Der neue Besitzer zeigt sich weniger grosszügig: Der Ausschuss unter Führung von Gent senkt die Prämie für Funk von neun auf sechs Millionen Mark. Inzwischen ist die von den Stuttgarter Rechtsanwälten mit ihrer Strafanzeige in Bewegung gesetzte Justiz aktiv geworden. Am 7. März informiert die Staatsanwaltschaft Düsseldorf die Mannesmann-Führung, dass Strafanzeige gegen Klaus Esser eingegangen sei. Der Oberstaatsanwalt bittet um Stellungnahme. Esser bespricht sich mit einem Rechtsanwalt und antwortet. Der Sachverhalt der Übernahme wird dabei so geschildert, wie er auch stattgefunden hat, mit einer Ausnahme: Das Datum der Vereinbarung ist um einen Tag verschoben. In der Stellungnahme von Esser heisst es, Gent und Fok hätten am Abend des 3. Februar über den Vorstoss des Chinesen gesprochen, Esser eine Millionenprämie auszuzahlen. Dies ist darum wichtig, weil am 3. Februar der Gesamtaufsichtsrat von Mannesmann in die Verhandlungen involviert war. Der von Binz und Sorg aufgeworfene Bestechungsverdacht ergibt keinen Sinn, wenn Gent und Esser erst danach über das Geld für Esser gesprochen haben. So stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein.
Binz und Sorg sind damit nicht einverstanden und verlangen Akteneinsicht. Die Sitzungsprotokolle mit all den Änderungen und Nachdatierungen kommen den Rechtsprofis verdächtig vor. Auch die Schilderung des Ablaufs der Ereignisse stellen sie in Frage, vor allem in dem Punkt, ob die Anerkennungsprämien tatsächlich erst nach der Einigung mit Vodafone bereitgestellt worden seien. Am 3. April 2000 schreiben Binz und Sorg eine Beschwerde an die Staatsanwaltschaft: Sie wollen ihre Strafanzeige weiterverfolgen. Dieser Beschwerde wird am 12. März 2001 stattgegeben – die Ermittler müssen erneut über die Bücher.
Im Frühling 2001, mehr als ein Jahr nach den Sitzungen des Mannesmann-Ausschusses, nehmen die Staatsanwälte ihre Ermittlungen auf. Und sie entdecken in der Tat Ungereimtheiten. Zwar lässt sich der Bestechlichkeitsverdacht gegenüber Esser nicht erhärten, doch die Art und Weise, wie Ackermann, Funk, Zwickel und Ladberg Gelder verteilten, führt zu einem anderen Verdacht: dem der Untreue (ungetreue Geschäftsführung). Nach zweijährigen Ermittlungen haben die Strafverfolger den Fall ausgeleuchtet. Das Unheil über Josef Ackermann braut sich zusammen.
Auszug aus dem Buchkapitel «Sündenfall Mannesmann». Mit diesem Text endet die BILANZ-Serie über Josef Ackermann.
Erik Nolmans
Josef Ackermann und die Deutsche Bank.
Anatomie eines Aufstiegs
Reihe BILANZ im Orell Füssli Verlag, Zürich 2006, ca. 256 Seiten, gebunden, Fr. 39.90 / € 24.50.
Das Buch erscheint am 19. Juni 2006 und kann vorbestellt werden unter: ackermann@ofv.ch