Auf die Stromnetzbetreiber kommen neue Kosten zu. Sie müssen Solarstromanlagen im ganzen Land auf falsche Einstellungen überprüfen – und allenfalls neu einrichten oder sogar umbauen. Das geht aus einer Weisung der Aufsichtsbehörde Elcom hervor. Die heutige Konfiguration vieler Anlagen könnte im Extremfall einen Blackout verursachen. Die Elcom schreibt von einem «systemgefährdenden» Risiko.
Heikel sind ausgerechnet Situationen mit zu viel Strom im Netz, denn dann steigt die Netzfrequenz an, die normal bei 50 Hertz liegt. Bei 50,2 Hertz schalten viele, vor allem ältere und kleine Solaranlagen automatisch ab. Und weil alle gleich programmiert sind und die Netzfrequenz europaweit einheitlich ist, tun sie das gleichzeitig. In dem Moment könnte das Netz kollabieren.
Zum Systemrisiko wurde das durch den Solarausbau. Zwar stammt im Jahresmittel in den meisten Regionen noch immer ein kleiner Teil der Energie aus Photovoltaik (PV). In sonnigen Zeiten kann dieser jedoch stark ansteigen. Selbst in der Schweiz ist eine theoretische Spitzenleistung installiert, die über dem Mehrfachen eines grossen Atomkraftwerks liegt. Per Ende 2017 dürfte sie bei rund 1,9 Gigawatt (GW) liegen, schätzt Christian Moll vom Branchenverband Swissolar. Gesicherte Zahlen gibt es nur bis Ende 2016. Damals waren 1,6 GW installiert.
Die Hälfte aller Anlagen betroffen
Elcom und Swissgrid rechnen damit, dass die Hälfte der Solaranlagen falsch konfiguriert ist. «Bei einer installierten Leistung von 1,6 GW gehen wir von einem nichtkonformen Anteil von 50 Prozent aus», sagt Swissgrid-Sprecherin Irene Fischbach. Selbst bei halber Produktion hätten diese Anlagen zusammen noch immer die Leistung eines Beznau-Atomreaktors.
Doch ist ein Ansteigen der Netzfrequenz auf 50,2 Hertz realistisch? Normalerweise tut Swissgrid alles, um die Frequenz nahe an 50,0 Hertz zu halten. Steigt sie an, werden Kraftwerke vom Netz genommen oder die Pumpen von Speicherkraftwerken angeworfen. Das Gegenteil gilt für Zeiten mit zu tiefen Frequenzen. Dann ruft Swissgrid zusätzliche Kraftwerkskapazitäten ab.
Dass das Netz aber nicht immer mit 50 Hertz tickt, wurde vielen Konsumenten bewusst, als vor kurzem die Backofenuhren der Zeit hinterhergingen. Diese werden von der Stromfrequenz getaktet. Und weil diese über längere Zeit zu tief war, liefen die Uhren zu langsam. Ursache war eine Stromunterversorgung auf dem Balkan, der sich im gleichen europaweiten Netz befindet wie die Schweiz.
Zu viel Strom im Netz
Auch Überlastungen kommen oft vor. «50,1 Hertz werden derzeit fast täglich erreicht», sagt Fischbach. 50,2 Hertz flächendeckend dagegen selten. Zuletzt sei das 2006 im Nordosten Europas passiert. Oder 2003 beim berühmten Blackout in Italien. Weil damals die Leitungen in den Süden getrennt wurden, steckte im restlichen Netz zu viel Strom. Die Frequenz stieg auf fast 50,3 Hertz an. In der Folge seien viele Kraftwerke automatisch vom Netz gegangen, hielt später ein Untersuchungsbericht fest. Damals noch ein harmloser Effekt. Doch seit 2003 hat sich die Solarstrommenge vervielfacht (siehe Grafik), weshalb der europäische Netzbetreiber-Verband ENTSO-E seit längerem auf die Gefahr hinweist und nun Druck auf seine Mitglieder macht.
In ihrer Weisung fordert die Elcom die Schweizer Verteilnetzbetreiber auf, besser zu kontrollieren, ob neue Solaranlagen die heiklen Abschalteinstellungen haben. Zudem bereitet die Elcom ein sogenanntes Retrofit-Programm vor. Netzbetreiber müssen dann sämtliche installierten Anlagen überprüfen und allenfalls anpassen. Wie umfangreich das Programm sein wird, will die Elcom im Verlauf dieses Jahres kommunizieren. In Deutschland und Italien wurden bereits Retrofit-Programme durchgeführt.
Das Retrofit könnte aufwendig und teuer werden. Erfahrungen aus Deutschland zeigten, dass bei einem Viertel der Anlagen gar kein Umrüsten möglich sei, sagt Harry Graf, Sprecher des Elektrizitätswerks Zürich. Das EWZ habe schon vor längerem mit Vorabklärungen begonnen, sagt er.
Weil es in der Schweiz viele «nicht konforme» PV-Anlagen gibt, wird Swissgrid vom europäischen Verband der Netzbetreiber derzeit zu Absicherungsmassnahmen verpflichtet. Swissgrid muss zusätzliche Kapazitäten vorrätig halten, die im Krisenfall aufgeboten werden könnten, um ein Ansteigen auf 50,2 Hertz zu verhindern. Das führe «jährlich zu erheblichen Mehrkosten bei der Beschaffung, welche letztlich über die Netznutzungstarife auf die Endverbraucher überwälzt werden», schreibt die Elcom.
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