Fanpost stapelt sich auf dem Pult des Bundesanwaltes. «Endlich ein mutiger und tatkräftiger Bundesanwalt», lobt ein Schreiber. Nicht wenige dieser Briefe kommen aus Deutschland, und der Tenor ist zumeist der gleiche. In der Bundesanwaltschaft mag sich niemand erinnern, dass es so etwas schon einmal gegeben hat. Allzu präsent ist den Beamten in dem nüchternen Berner Behördenbau noch, dass ihre Chefankläger häufig das Haus mit Schimpf und Schande verlassen mussten.
Die Fanpost gilt Michael Lauber, der seit gut drei Monaten die Bundesanwaltschaft leitet. Und der Grund für seine plötzliche Popularität sind drei schlichte Haftbefehle gegen deutsche Steuerfahnder, die er den Justizbehörden des Nachbarlandes auf dem Weg des Rechtshilfeverfahrens zustellte. «Alles Courant normal», kommentierte Lauber, als sei dies nichts Besonderes.
Dabei tobten deutsche Politiker wie lange nicht mehr und schworen Rache. Eine Sonderstaatsanwaltschaft zur Fahndung gegen Schweizer Banken forderte SPD-Chef Sigmar Gabriel als Retourkutsche. Lauber weiss natürlich, dass der Haftbefehl in der aufgeheizten Debatte Wirbel auslöst. Doch er verfolgt sein Ziel kühl. «Bis anhin hatten wir mit Deutschland bei der Rechtshilfe keinerlei Probleme», betont er und fügt deutlich hinzu: «Und ich erwarte, dass dies so bleibt.»
Wer ist dieser Mann, der den Deutschen so handfest, knochentrocken und smart zugleich Paroli bietet? Und was hat die Schweiz von ihm zu erwarten? Einen Hasardeur im Amt? Einen Technokraten? Oder endlich einen Bundesanwalt mit Augenmass?
Lauber liess das alte Schreibmöbel der legendären Bundesanwältin Carla Del Ponte entfernen, das Chefbüro mit modernem Mobiliar auffrischen, mit Stil, aber ohne Hierarchen-Pomp. Wichtig war ihm einzig der runde Tisch in der Mitte des Büros mit dem wunderbaren Panoramablick auf die Südfassade des Bundeshauses, das Aaretal und die fernen Gipfel. Hier empfängt er seine Staatsanwälte und Mitarbeiter. Vielfach geplagt wirkende Beamte, zermürbt von internen Grabenkämpfen, Ermittlerpannen und politischem Tauziehen.
Der runde Tisch ist sein Symbol. An ihm will er die internen Konflikte lösen, die Struktur verbessern, die Organisation motivieren. Denn nach dem Abgang seines Vorgängers Erwin Beyeler ist vieles noch unerledigt, was längst bemängelt wurde. Seit ihrem fundamentalen Umbau im Jahr 2002 ist die Bundesanwaltschaft eine Dauerbaustelle. Unter Bundesanwalt Valentin Roschacher wuchs die Behörde rasant von rund 30 auf mehr als 90 Mitarbeiter. Die Staatsanwälte verhedderten sich bald in komplexen Fällen und internationalen Verstrickungen. Dann forderte die Politik einen Marschhalt und mehr Effizienz. Das Resultat: Der Behördenaufbau blieb auf halbem Weg stehen.
Frischer Wind. Zudem verzögerten sich Untersuchungen um viele Jahre, weil sie zweistufig von den Staatsanwälten und Untersuchungsrichtern geführt wurden. Dies ist einer der Gründe für den schleppenden Gang von komplexen Wirtschaftskriminalfällen wie dem Dossier über den mutmasslichen Anlagebetrüger Dieter Behring, das seit acht Jahren offen ist. Diese Doppelspurigkeit ist inzwischen immerhin aufgelöst. Heute führt die Ermittlungs- und Anklagebehörde des Bundes mehr als 250 Strafuntersuchungen durch – davon 143 neu eröffnete. Darunter auch komplexe Fälle der Wirtschaftskriminalität, der Geldwäscherei und der organisierten Kriminalität sowie Fälle der Bundesgerichtsbarkeit wie Spionage, Terroristenverfahren und Korruption von Bundesbeamten.
Sehr schnell haben die Bundesstaatsanwälte den neuen Wind gespürt. «Mein Vertrauen haben Sie», rief Michael Lauber ihnen anlässlich seiner Vorstellungsrede zu. So viel ist bekannt: Der neue Bundesanwalt ist ein geübter Kommunikator. «Kommunikation ist absolut entscheidend», sagt er, «ich will nichts verstecken.» So hat er schon gleich nachdem die Vereinigte Bundesversammlung ihn für vier Jahre gewählt hatte, potenzielle Kritiker beruhigt. Der Anlass: Wegen einer Liebesaffäre in Moskau war ein Spitzenmann des Bundes unter Druck geraten. Lauber forderte daraufhin spontan für sich eine Sicherheitsüberprüfung, die wegen des erstmaligen Wahlverfahrens durch die Bundesversammlung in seinem Fall nicht stattgefunden hatte. Er wollte jeden Zweifel ausräumen, und dass er seit vielen Jahren in stabiler, gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebt, hat er nie zum Geheimnis gemacht. Sein Vorgehen machte ihn stark: «Offenheit, Vertrauen und Professionalität», fordert er nun auch von seinen Mitarbeitern.
Mann mit Mission. Lauber wurde 1965 in einen christkatholischen Pfarrershaushalt in Trimbach SO hineingeboren. Es war ein offenes Elternhaus, die Mutter studierte Mathematikerin, der Vater ein Gegner jeder extremen Ideologie oder Gesinnung. Als Christkatholik lehnte er den Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes und herrschende Dogmen der katholischen Amtskirche ab, wie zum Beispiel das Zölibat. Er war antiradikal, antiextrem, politisch eher freisinnig. Der Kontakt zu den Pfarrerkollegen der anderen Grosskirchen im Ort war trotz grossen Differenzen in der Weltanschauung reibungsfrei. Das Pfarrhaus war natürlich ein Begegnungsort mit allen Nachteilen, die eine Pfarrersfamilie zu ertragen hat. Die Menschen der kleinen Gemeinde kamen am Wochenende mit ihren kleinen und grossen Problemen. Man war exponiert.
Zusammen mit seinem Bruder, der ein Jahr jünger ist, besuchte Lauber das Gymnasium in Olten. Beide entschieden sich für das Jus-Studium, beide gingen nach Bern an die Uni, und beide landeten am Ende wieder in Bern – sein Bruder ebenfalls auf einem juristischen Posten bei der Bundesverwaltung.
«Er wollte moralisch wertfrei an der Gesellschaftsordnung mitgestalten», sagt sein Bruder, daher der Entscheid für die Rechtswissenschaften. Beim Militär engagierte er sich als Panzersoldat. An der Universität wurde aus Michael «Mike», und fortan nannten ihn alle so, auch die Familie, zu der er bis heute engen Kontakt pflegt. «Ich bin, wie ich bin», sagte er, und seitdem ging er seinen Weg mit einer Beharrlichkeit, die jetzt auch deutsche Steuerfahnder zu spüren bekommen.
Was er sich in den Kopf gesetzt habe, das ziehe er auch durch, sagt ein langjähriger Weggefährte. Nicht stur, nicht radikal, aber dennoch zielgerichtet. Und es wurmt ihn ungeheuer, wenn er etwas, das er sich als Ziel gesetzt hat, nicht zu Ende bringen kann. An diesen Punkt kam er, als er 35 Jahre alt war. Bis dahin war Laubers Karriere geradlinig verlaufen. Nach dem Studium erwarb er das Anwaltspatent, wurde Untersuchungsrichter in Bern und stiess 1993 als junger Chef der Spezialfahndung zur Kriminalpolizei des Kantons Bern. Zwei Jahre später wurde Lauber als Chef der Zentralstelle Organisierte Kriminalität zum Bundesamt für Polizei berufen. Fünf Jahre lang führte er das junge Team von Mafiajägern. Es war die Zeit der Anti-Mafia-Ermittlungen – modern, internationalisiert, kriminaltechnisch hochgerüstet. Lauber hatte eine Mission, aber er war kein Mann für den mitunter intriganten, mitunter behäbigen Beamtenapparat. Es kam zum Machtkampf, er verlor und verliess das Amt. Seitdem weiss er, wie eine Abteilung aus einem Organigramm verschwindet.
Den Bruch aus dem Jahr 2000 verwandelte er in einen Ansporn. Seitdem ging er seinen Weg als Wanderer zwischen Staat und Finanzindustrie immer mit der Mission, die zeitgemässe Ordnung für die Dinge zu finden. Nach einem einjährigen Zwischenstopp in der Geldwäscherei-Regulierung sah er seine zweite Chance. Liechtenstein war international unter Druck, das Fürstentum benötigte dringend ein Signal, dass es die Geldwäscherei ernsthaft bekämpfte. Als Leiter durfte er dort die Financial Intelligence Unit (FIU) aufbauen. Unter den Treuhändern meinten einige, dass trotzdem alles weiterlaufe wie bisher, so wie es auch an anderen Offshore-Finanzplätzen praktiziert wurde: Es wird vermittelt statt ermittelt.
Diese Treuhänder irrten sich. Es wurde ermittelt. Und sie wunderten sich: Lauber hatte die Rückendeckung von Fürst und Regierung. Als er seine ersten Besuche in Treuhandbüros absolvierte, standen noch grosse Geldzählmaschinen in den Zimmern für die Kundenmeetings. «Wofür brauchen Sie das?», fragte er irritiert. «Für das Tagesgeschäft», erklärten die Treuhänder unbekümmert.
Zusammen mit dem heutigen FIU-Leiter René Brülhart baute Michael Lauber ein modernes System auf, setzte auf Analyse («Intelligence») und Finanzkompetenz. Der deutsche Siemens-Konzern lieferte die forensische Datenbank, und die Geldzählmaschinen verschwanden. Dann kam das Erweckungserlebnis des 11. September 2001. Lauber erlebte diesen Tag mit einem Grossalarm an einer Tagung in Brüssel. Am Nato-Hauptsitz war plötzlich Kriegsstimmung, und die militärische Erregung legte sich nicht mehr. Geldwäscherei-Bekämpfung war nun Antiterrorkampf.
Reputationsmanager. Lauber lieferte der internationalen Ermittlergemeinde wichtige Erkenntnisse über Geldströme von Unterstützerorganisationen, er wurde zum Gesprächspartner für die Spitzen der Ermittlungsbehörden von Paris bis Washington. Seine Expertise war gefragt, er half nun auch anderen Ländern beim Aufbau ähnlicher Einheiten, auch den Deutschen. Und Lauber wusste seine FIU international zu «verkaufen».
Die Liechtensteiner bemerkten bald den Vorteil der glasklar kommunizierten Ermittlungsstrategie. Sie half, das Schmuddel-Image abzulegen. So unterstützte Lauber die deutsche Bundesregierung bei der schwierigen Suche nach den verschwundenen Millionen der ehemaligen ostdeutschen Einheitspartei SED. Und man war froh, dass einer sich bereit erklärte, vor die Fernsehkameras zu treten, wenn ein Skandal drohte.
Im Jahr 2004 wollten ihn die Banker im Fürstentum für sich haben. Er wurde Geschäftsführer des Liechtensteiner Bankenverbandes, somit oberster Lobbyist des kleinen Finanzplatzes. Die Ironie der Geschichte wollte es, dass nun, nach seinem Weggang bei der FIU, ausgerechnet der Siemens-Konzern – Softwarelieferant der Geldwäscherdatenbank – durch die FIU-Ermittlungen wegen Bestechungsgeldzahlungen aufflog.
Als Reputationsmanager der Banken geriet er bald in eine der schwierigsten politischen Phasen, die das Fürstentum je erlebt hat. Die Amerikaner drohten, der deutsche Geheimdienst kaufte gestohlene Bankdaten, deutsche Politiker pöbelten. Liechtenstein erlebte, was derzeit die Schweiz durchmacht.
Klare Leitlinie. Menschenfänger Michael Lauber musste die Wogen glätten. Er reiste nach Berlin, erklärte das Rechtssystem der Liechtensteiner und suchte Verständnis dafür, dass sich ein Staat auch von unten denken lässt und Steuerstraftäter nicht in jedem Land mit gleicher Intensität wie Serienkiller verfolgt werden. Er gab Interviews, führte Hintergrundgespräche mit Schlüsseljournalisten, traf führende Politiker, von Grün bis Schwarz. «Er ist ein extrem offener Mensch, der sehr gut auf andere eingehen kann», berichtet Volker Wissing, führender Finanzpolitiker der FDP, «er zeigte wie wenige andere Detailkenntnisse über Deutschland.»
Die fürstliche Regierung war von seinem gewinnenden Auftritt begeistert und berief ihn als Präsidenten der Finanzmarktaufsicht, einer damals noch offenen Baustelle. Lauber musste die Falschen entlassen und Passende rekrutieren, diesmal still und lautlos. Laubers Handschrift war rasch erkennbar: Die Aufsichtsbehörde kommunizierte plötzlich offen und transparent mit Banken und Versicherungen, Politikern und Medien.
Als sich Lauber schliesslich um den Posten als Bundesanwalt bewarb, war dies wohl auch der Versuch, ein offenes Dossier zu einem guten Abschluss zu bringen. Seit Januar hat er den Berner Job mit 286 000 Franken Salär.
«Immer ganz klar auf der Linie des Rechts», sagt er, wenn er gefragt wird, wie die politisierten Dossiers zu behandeln seien. So war es auch im Fall der Haftbefehle gegen die Steuerfahnder. Sie stützen sich auf ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts, das nur die passive Entgegennahme von Daten legitimierte. Und sie stützen sich auf den Artikel über «wirtschaftlichen Nachrichtendienst», der vor 77 Jahren in Kraft trat – explizit zur Abwehr deutscher Spitzel (siehe Nebenartikel «Spionageabwehr»).
Lauber will die Geldwäscherei-Bekämpfung optimieren, die in einer Meldestelle beim Bundesamt für Polizei konzentriert ist, dabei die Analysefähigkeiten ausbauen. Denn bei diesem Thema steht die Schweiz vor einem historischen Paradigmenwechsel, der vieles relativiert, was derzeit über Steuerabkommen diskutiert wird. Künftig, so wollen es die wichtigsten Nationen, werden nämlich schwere Steuerdelikte («serious tax crimes») in den Katalog der Vortaten aufgenommen, die eine Geldwäscherei-Ermittlung auslösen.
Gratwanderung. Im Klartext: Beim Verdacht auf Schwarzgeld müssen Finanzintermediäre Meldung erstatten. Aber was als «schweres» Delikt gilt, muss jedes Land selbst rechtlich bestimmen. «Wir müssen früh anfangen, das gescheit zu definieren», sagt Lauber. Es müsse ein kluger Mittelweg zwischen Verwässerung und Politisierung gefunden werden, sonst würden die Finanzintermediäre ihre Meldestellen aus Haftungsgründen mit Hinweisen überfluten. Und geklärt werden müsse auch, welche Informationen die Meldestellen international austauschen dürften. «Sonst implodiert der Austausch zwischen den Meldestellen weltweit.»
Freunde warnten ihn vor den Gefahren dieses Schleudersitzes an der Spitze einer Ermittlungsbehörde, die Grosses leisten soll, dazu aber nicht die Instrumente eines griffigen Strafgesetzbuches zur Verfügung hat. Denn das Schweizer Strafrecht gibt der Verteidigung der Beschuldigten ungeheuer starke und wirksame Rechte, mit denen jedes Grossverfahren über Jahre hinweg verschleppt werden kann, während der Mitteleinsatz der Staatsanwälte sehr formalisiert ist.
Doch Lauber will es durchziehen. «Ich bin für vier Jahre gewählt», sagt er, «und ich weiss, dass ich scheitern kann.» Doch er weiss auch: Zum ersten Mal ist er als Bundesanwalt von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt und beaufsichtigt durch eine Kommission, die ebenfalls von der Bundesversammlung gewählt ist – ähnlich unabhängig wie der Notenbankpräsident. Lauber könnte der mächtigste Bundesanwalt werden, den die Eidgenossenschaft je erlebt hat.