Die Luft flimmert. Wer über den Bauschutt und die aus Betonbrocken ragenden Armierungseisen steigt, hat das Gefühl, vor Hitze kaum noch Luft zu bekommen. Mittendrin ein im Trümmerberg klein wirkender Bagger, dessen mit Metallzähnen bewehrter Greifer mühelos grosse Stücke aus einem Gebäude herausreisst. Vor einem neuen Bau mühen sich zwei Arbeiter mit Isolationsmatten ab, in der Nähe schiebt ein Gärtner eine Schubkarre, gefüllt mit Erde.
Sonst ist weit und breit keine Menschenseele auszumachen. Lässt der Bagger von seinem zerstörerischen Werk ab und wird der Motor abgestellt, senkt sich eine fast unheimliche Ruhe über eine der grössten Baustellen der Innerschweiz. Zeit scheint keine Rolle zu spielen. Dabei entsteht hier, praktisch auf den Ruinen des ehemaligen Hoteldorfs, das autofreie Bürgenstock Resort.
Ein Tourismuskomplex der Superlative: 60 Hektaren Grund und Boden, total 24 Gebäude, davon zwei Luxushotels mit 208 Zimmern, ein Medical Wellness Hotel mit 160 Zimmern, 67 Residenzsuiten, ein 10 000 Quadratmeter grosser Alpine Spa, ein hochmodernes Konferenzzentrum, zwölf Restaurants, diverse Bars, Kino, Golf, Tennis, eigene Bergbahn und ein Kraftwerk. Atemberaubende Sicht auf die Berge und den Vierwaldstättersee inbegriffen. Seit Wochen jedoch ruhen die Arbeiten praktisch völlig.
«Es kommt zu zeitlichen Verzögerungen», sagt Bürgenstock-Projektleiter Bruno Schöpfer im Plauderton, als ob es sich dabei um eine Nebensächlichkeit handelte. Keine Nebensächlichkeit ist das Investitionsvolumen: 485 Millionen Franken verschlingt der neue Bürgenstock, davon sind 120 Millionen verbaut. Die Zwangspause ist vor allem darauf zurückzuführen, dass der Gestaltungsplan angepasst und öffentlich aufgelegt werden muss. Frühestens Mitte September kann auf dem Bau wieder losgelegt werden.
Gemäss dem ursprünglichen Zeitplan hätte das Bürgenstock Resort Ende 2014 neu eröffnet werden sollen. Dann wurde der Termin auf 2015 verschoben. Nun sieht es eher nach 2016 aus. Bruno Schöpfer will sich nicht mehr festlegen. «Beim Eröffnungstermin stehen wir nicht unter Druck», meint er. «Hinter uns steht keine Bank, sondern ein nachhaltig denkender Investor, der auch Werte schaffen will.» Und ein Investor mit fast unerschöpflichen Geldreserven.
Retter aus dem Morgenland. Nach den goldenen Zeiten der fünfziger und sechziger Jahre, während deren sich der Bürgenstock zum Anziehungspunkt für Schauspieler, Politiker, Künstler und Adlige entwickelte, blieb die Prominenz zusehends weg. Im einmaligen, 500 Meter über dem Vierwaldstättersee gelegenen Hoteldorf fehlte es an allen Ecken und Enden an Geld; das Resort verkam zum Sanierungsfall. Jahrelang stand der Bürgenstock zum Verkauf, wechselte mehrmals die Hand – investiert allerdings hat keiner der neuen Besitzer.
Das änderte sich erst vor sechs Jahren, als Investoren aus dem Emirat Katar auf dem Bürgenstock auftauchten. Sie übernahmen im Auftrag des Scheichtums den Berg für angeblich 45 Millionen Franken. Die Anleger aus dem Morgenland holten sich als Erstes einen Spezialisten für Hotelentwicklungen: Bruno Schöpfer. Der gebürtige Entlebucher ist seit über 30 Jahren als Berater in der Luxshotellerie tätig. In der Schweiz hinterliess der 58-Jährige Spuren als CEO von Mövenpick, wo er mehrere Jahre dirigierte – wenn auch mit wenig Fortüne. Nachdem er die Analyse verfasst hatte, wurde ihm gleich noch die Projektleitung angetragen. «Da musste ich nicht lange überlegen. Es ist ja mein Geschäft, Hotels zu entwickeln, und dieses Projekt ist hochinteressant.»
Sein erstes Konzept sah ein Budget von 300 Millionen Franken vor. Damals war geplant, die Residenzsuiten nach Fertigstellung zu verkaufen. Doch die Katarer besannen sich eines Besseren: Sie leiten ihre Petro-Dollars mit Vorliebe in Immobilien, wollten deshalb von einer Versilberung eines Teils des Bürgenstocks nichts mehr wissen. Der Staatsfonds Qatar Investment Authority, dessen Tochter Katara Hospitality Besitzerin des Hotelbergs ist, kann sich eine solche Haltung durchaus leisten, denn Kapital ist im Übermass vorhanden (siehe «Den Geldbeutel an der Quelle»). Nun warten die ersten 28 Residenzsuiten in drei neu erbauten Häusern auf Mieter. Nichts für schmale Börsen: Die luxuriöseste Wohnung mit 321 Quadratmetern kostet monatlich 20 000 Franken, Hoteldienste nicht inklusive.
Schöpfer ist an Grossprojekte gewöhnt. Der Bürgenstock allerdings ist auch für ihn eine neue Dimension. Nicht nur wegen der Ausmasse, auch andere Umstände sind ungewohnt. So befindet sich ein Teil des Resorts auf dem Gemeindeboden von Stansstad, der Rest auf jenem des Dorfes Ennetbürgen. Deshalb müssen Verhandlungen zweifach geführt und alle Bewilligungen doppelt eingeholt werden. Eine Heidenarbeit, denn insgesamt gilt es, 74 Bewilligungen zu erhalten. Aktuell liegen 68 vor.
Die Arbeit der Bauführung nicht gerade leichter macht auch die Gesetzgebung. Denn diese sieht «ein Hoteldorf wie das Bürgenstock Resort eigentlich gar nicht vor» (Schöpfer). So müsste die Deponie laut Vorschrift ins Tal geführt werden. Das würde über Monate zu einer endlosen Kolonne von Lastwagen führen. Eine widersinnige Vorschrift, weshalb der grösste Teil auf dem Berg behalten und dort wieder verarbeitet wird. Die Behörden drücken dabei ein Auge zu.
Nidwaldner Wirtschaftsmotor. Schöpfer bezeichnet die Zusammenarbeit mit den Behörden als sehr gut. Einzig zwischen ihm und den eidgenössischen Denkmal- sowie Heimatschutzbehörden herrscht dicke Luft. Der Bürgenstock ist im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder aufgeführt. Deshalb kommen die denkmalschützerischen Massnahmen im Ferienresort denn auch auf 43 Millionen Franken zu stehen. Dennoch reklamiert die Kommission für Denkmalpflege, ihre Empfehlungen würden ignoriert, ja von ihnen als schützenswert beurteilte Gebäude seien abgerissen worden. Als Beispiel aufgeführt wird ein Nebengebäude, die sogenannte Dépendance.
Dieser Vorwurf löst bei Schöpfer ein Kopfschütteln aus: «Die statische Analyse zeigte klar, dass die Dépendance abgerutscht ist. Die konnten wir gar nicht mehr renovieren.» Die Kommission sei mehrmals vor Ort gewesen, immer unangemeldet, doch sie hätten die Gebäude nicht einmal von innen untersucht. Ihnen sei offenbar nicht klar, dass das Resort künftig ganzjährig betrieben werde. Und das erfordert eine ganz andere Bauweise respektive Mehrarbeit bei der Renovation. Die Denkmalschützer in Bundesdiensten, die einst via Presse ihrem Unmut freien Lauf liessen, halten sich heute bedeckt. «Zum Thema Bürgenstock wollen wir uns nicht mehr äussern», sagt Nott Caviezel, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege.
Mit dem Denkmalschutz des Kantons Nidwalden dagegen gab es nie Probleme. Die Kantonsregierung weiss, was sie am wieder erwachten Bürgenberg hat. «Der Bürgenstock hat für die Region einen hohen Stellenwert. Wir erwarten einen deutlich positiven Einfluss auf die Wirtschaft», erläutert Gerhard Odermatt, Volkswirtschaftsdirektor des Kantons Nidwalden. Die Bedeutung des Resorts hat das BAK Basel in einer Studie festgehalten. Demnach wird der Berg bis 2020 in der Region für eine kumulierte Wertschöpfung von 1,2 Milliarden Franken sorgen. Bei Vollbetrieb ab 2018 wird jährlich mit 150 000 Übernachtungen gerechnet, den Gesamtumsatz des Resorts veranschlagt das BAK auf 140 Millionen. Der Bürgenstock wird auch zu einem der wichtigsten Arbeitgeber in Nidwalden; 800 Personen finden dort ein Auskommen. Dazu kommen 300 indirekt geschaffene Arbeitsplätze.
Erstklassiger Hotelverbund. Das von Schöpfer und seinem Team ausgearbeitete Betreiberkonzept steht auf fünf Pfeilern: Medical Wellness, Konferenzen und Bankette, das Hotelangebot, die Residenzsuiten sowie Lokaltourismus. Alleine beim Tagestourismus rechnet Schöpfer mit jährlich 100 000 Besuchern. Dazu will er mit den Hotels aus der Region zusammenspannen und ein Ausflugspaket auf den Bürgenstock samt Mittagessen anbieten.
Beinahe die Hälfte des Umsatzes soll aus dem Bereich Medical Wellness stammen. Unter dem Schlagwort «Healthy Living» werden vor allem Gäste aus der Schweiz, daneben auch solche aus Deutschland und Italien umworben. Mit Medical Wellness können gerade im Winter Betten und Restaurants gefüllt werden. Doch ob sich die medizinische Behandlung suchenden Gäste mit den Luxustouristen vertragen, muss sich erst weisen. Medical Wellness ist fraglos ein Megatrend. Nur preisen sich immer mehr Hotels unter dieser nicht geschützten Bezeichnung an. «Wir stellen einen zunehmenden Wildwuchs fest», klagt denn auch Thomas Baumgartner, Präsident des Schweizerischen Dachverbands für Wellness & Spa. Ernst zu nehmende Konkurrenz erwächst dem Bürgenstock aber nur von wenigen Anbietern, so von Bad Ragaz oder dem Park Hotel Vitznau.
Für zusätzliche Gäste wird auch die Bürgenstock-Besitzerin Katara Hospitality sorgen. Die Tochter des Staatsfonds aus Katar betreibt aktuell 20 Erstklasshäuser. In der Schweiz sind es neben dem Bürgenstock Resort die Hotels Schweizerhof in Bern und Royal Savoy in Lausanne; für Kauf und Renovation wenden die Katarer ungefähr eine Milliarde Franken auf. «Die Schweiz ist für uns ein sehr wichtiger Markt», meint Katara-Hospitality-CEO Hamad Abdulla Al-Mulla gegenüber BILANZ. «In der Schweiz, aber auch sonst in Europa suchen wir nach Ikonen der Hotellerie. Damit wollen wir uns gegenüber anderen Hotelketten abgrenzen.»
Bruno Schöpfer sucht im Auftrag des Emirats wohl noch auf Jahre hinaus nach weiteren herausragenden Hotels in der Schweiz. Seine Tage auf dem Bürgenstock aber sind gezählt. «Ich bin Projektentwickler. Öffnet das Resort seine Pforten, ist meine Hauptarbeit getan. Das zukünftige operative Geschäft wird dann in andere Hände gehen.»