Die Kameras richten sich auf einen gross gewachsenen Mann mit grauen Haaren und breitem Kinn: John Malone, Medienunternehmer und Multimilliardär, ist zu Gast in den NBC-Abendnachrichten. «Sind Sie getrieben vom Willen zu gewinnen?», fragt der Moderator den Unternehmer, der in den USA aus dem Nichts ein gigantisches Kabel-TV- und Medienbusiness aufgebaut hat. Wer nun erwartet hat, dass der Unternehmer mit einigen Floskeln über seine Strategie antworten würde, sieht sich getäuscht: «Ich bin vornehmlich getrieben von Unsicherheiten», antwortet Malone. «Unsicher? Sie?», fragt der Moderator überrascht. «Ja, ich», antwortet Malone, «ich leide an der Unfähigkeit, meinen inzwischen verstorbenen Vater zu beeindrucken.»

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Die Episode aus dem Jahr 1994, nachzulesen in der 2002 erschienenen Biografie über John Malone (Mark Robichaux: Cable Cowboy. John Wiley & Sons), zeigt zwei Dinge. Erstens: Wer Malone eine direkte Frage stellt, bekommt auch eine direkte Antwort. Zweitens: Der Mann ist immer für Überraschungen gut.

Am Freitag, 30. September 2005, gelang es Malone, auch die Schweizer und Schweizerinnen zu überraschen: Für 2,825 Milliarden Franken kaufte Malones Kabelkonzern Liberty Global den Schweizer Kabelnetzbetreiber Cablecom. Dessen nur einen Tag zuvor angekündigter Börsengang wurde abgeblasen.

Cablecom ist ein Teil mehr im umfassenden Kabelreich des John Malone. Liberty Global, ein Gigant mit 16 000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund fünf Milliarden Dollar, ist ausserhalb der USA operativ, in Ländern wie Frankreich, Holland, Österreich, Schweden, Polen, Ungarn, Japan, Chile oder Brasilien. Video, Highspeed-Internet und Telefondienstleistungen via Kabel sind das Kerngeschäft des Konzerns. Das globale Netzwerk erreicht über 23 Millionen Haushalte, die 1,5 Millionen neuen Schweizer Kunden nicht mitgerechnet.

Malones Liberty-Konzern wurde in nur wenigen Jahren zusammengeschustert. Und alles deutet darauf hin, dass er weiter gehörig wachsen wird. In seinem steten Streben, ein beeindruckendes Unternehmenswerk auf die Beine zu stellen, kommt der inzwischen 64-Jährige noch immer nicht zur Ruhe: Er jagt und sammelt weiter Firmen, wie er dies seit nunmehr über dreissig Jahren tut – ein getriebener «collector» (Sammler), wie ihn sein Biograf Mark Robichaux beschreibt. Malones Sammelleidenschaft erfasst fast alles, was er anpackt. Er sammelt Firmen. Er sammelt Grund und Boden, vor allem im Mittleren Westen, wo er wohnt. Seit der Hobbyrancher ins Viehbusiness eingestiegen ist, sammelt er auch Rinder. 18 000 sind es bereits.

Und wie ein manischer Schmetterlingssammler im Wirrwarr der aufgespiessten Insekten in seinen Schubladen schon mal die Übersicht über seine Sammlung verliert, so ist auch das Business-Konglomerat von Malone alles andere als übersichtlich. Sein verschachteltes Konstrukt von Firmen und Firmenbeteiligungen mit teils kurz-, teils langfristig ausgerichteter Strategie (siehe Nebebartikel «Liberty: Verschachteltes Imperium») sorgt bei Analysten und Investoren immer wieder mal für Irritationen. Der Kurs der Liberty-Aktien dümpelt unter dem inneren Wert vor sich hin.

Malone integriert seine Beteiligungen strategisch kaum, gibt den einzelnen Teilen inhaltlich grosse Freiräume. Der Vorteil: So können einzelne Teile jederzeit auch wieder verkauft werden. Denn Malone liebt es nicht nur, ein gutes Schnäppchen zu machen, sondern auch einen lukrativen Verkauf. Dealmaking ist seine ganze Leidenschaft. Er gilt in dieser Disziplin als wahrer Meister. Die Londoner «Financial Times» nannte Malone «einen der grössten Dealmaker seiner Generation». Der Starschriftsteller Stephen King, ein enger persönlicher Freund Malones, nennt ihn gar eine «Dealmaschine». Für Malone selber ist das Ganze ein Spiel. «Ich muss ja eigentlich keine Deals mehr machen», sagt er, «ich bin reich genug.»

Sein Meisterstück war der Verkauf seines Kabelimperiums TCI an den amerikanischen Telefonriesen AT&T. Der Verkauf war – kurz vor dem Höhepunkt des Börsenbooms 1999 – gut getimt, Malone löste 54 Milliarden Dollar für sein Lebenswerk. Der Dealmaker argumentiert stets rational. «Alles hat einen Preis, nicht wahr? Da haben wir gar keine Wahl. Ganz gleich, was wir emotional dabei empfinden, beim richtigen Preis ist alles verkäuflich.»

Dieselbe Einstellung treibt den Dealmaker auch, wenn er Kaufgelüste hegt. Malone gilt als Mann der Details. Er studiert jeden Deal vorweg intensiv. «Wenn er an etwas interessiert ist, will er es ganz genau wissen», sagt Mark Robichaux, Autor der Malone-Biografie, der Dutzende von Stunden mit Malone verbracht hat. Jeden Markt, den er angehe, analysiere er vorgängig. «Er weiss vermutlich mehr über die Bedürfnisse der Schweizer Kabelkunden als die Schweizer selber», so der Buchautor. Malone sei hochintelligent, habe ein enzyklopädisches Gedächtnis und sei immer hochkonzentriert. «Er war einer von nur wenigen Managern, die ich interviewt habe, die in ganzen Sätzen redeten. Als ob er schreiben würde», sagt Autor Robichaux, der 13 Jahre lang Reporter beim «Wall Street Journal» war und heute als Executive Editor des Fachmagazins «Broadcasting & Cable» fungiert.

Ein weiteres Kennzeichen Malones ist seine grosse Geduld. Er kann lange zuwarten, wenn er etwas will. «Er ist wie ein Alligator, der im trüben Wasser auf seine Beute wartet», hat ihn der US-Medienexperte David Elstein einmal beschrieben. Laut Kabelunternehmer Glenn Jones, der das Konkurrenzunternehmen Jones Intercable in Colorado aufgebaut hat, besitzt Malone «den Instinkt eines Jägers».

Was den Dealmaker weiter auszeichnet, ist absolut striktes Preisbewusstsein. Mehr als den wahren Wert für ein Unternehmen zu bezahlen, ist ihm ein Gräuel. Lieber kauft er gar nicht. Als seine Gattin Leslie einmal mit einem Körbchen Himbeeren aus dem Supermarkt nach Hause kommt, fragt Malone sie, was die denn dafür bezahlt habe. Fünf Dollar, antwortet Leslie Malone. Da herrscht sie der Multimilliardär an, wie sie denn so viel bezahlen könne, das seien die Früchte doch gar nicht wert.

Das Preisbewusstsein ist John Malone in Mark und Blut übergegangen. Mit
Cablecom hat Liberty Global erstmals schon vor Monaten verhandelt. Damals sei die Sache an den unterschiedlichen Preisvorstellungen gescheitert, berichten Cablecom-Insider. Mit den Schweizern verhandelte Malone nicht selber, sondern schickte seinen Konzernchef Mike Fries vor. Auch wenn John Malone keinen Cent zu viel für eine Übernahme zahlen würde: Das Gegenüber auszutricksen, ist seine Sache nicht. «Malone geht stets davon aus, dass der Deal auch für die andere Seite aufgehen muss. Er will nicht, dass die Verhandlungspartner hinterher das Gefühl haben, über den Tisch gezogen worden zu sein», sagt Autor Robichaux. Malone, rund einen Meter neunzig gross, mit dem Habitus eines Marines-Generals, lebt meist ein ganz normales Leben. Er mäht seinen Rasen noch selber, geht, wenn immer es sein Terminkalender erlaubt, über Mittag nach Hause. Wenn er in Eile ist, isst er schon mal sein Frühstück vom Pappteller. Er ist kein Blender, kein Showman. Der Mann, der seine Milliarden mit TV und Filmen gemacht hat, hasst selber Kameras. Interviews gibt er nur äusserst selten. Gerne zelebriert er die unverschnörkelte Art eines Cowboys. Verbal scheut er sich nicht, die Sache auf den Punkt zu bringen. Nachdem er 1999 im Tausch für seine TCI-Aktien ein Paket AT&T-Papiere bekommen hatte und diese dann an der Börse abgestürzt waren, äusserte sich John Malone gegenüber der Zeitschrift «Smart Money» so: «What I got was a fucked up piece of shit» (Was ich bekam, war ein Haufen Scheisse).

Malone wurde am 7. März 1941 in Milford, Connecticut, geboren. Seine Mutter war Sportlehrerin, sein Vater Ingenieur bei General Electric, ein fordernder, strenger Mann. Einer der Leitsprüche von Vater Malone war: «Wer aufhört, besser zu sein, hört auf, gut zu sein.»

Mit 17 Jahren lernt der junge Malone bei einem Strandspaziergang ein 15-jährges Mädchen namens Leslie kennen. Ganz Spieler, wettet er mit seinem Kumpel am Strand um einen Silberdollar, dass er das Mädchen, das er soeben erst kennen gelernt habe, heiraten werde. Natürlich gewann Malone die Wette, wie so viele spätere auch. Er ist rund 40 Jahre mit Leslie verheiratet. Sie haben zwei inzwischen erwachsene Kinder.

Malone geht in New Haven zur Schule und studiert später an der Yale-Universität Electrical Engineering und an der New York University Industrial Management. Seine berufliche Karriere startet er als Berater bei McKinsey, wobei er das Büro mit dem späteren IBM-Chef Lou Gerstner teilt. Über Kundenkontakte kommt er ins Kabelbusiness. Anfang der siebziger Jahre steigt er bei einer Firma namens TCI ein, die einem Mann namens Bob Magness gehört. Die beiden sollten in der Folge nicht nur viele Jahre Schulter an Schulter für den Aufbau des grössten Kabelkonglomerats in den Vereinigten Staaten arbeiten, Magness wurde auch zu einem engen Freund und einer Art Vaterfigur.

In den siebziger Jahren, als Malone und Magness ihr Kabelreich aufzubauen begannen, konnte sich kaum jemand vorstellen, welche Dimensionen das Business dereinst erreichen würde und dass die Kabel, die man da am Verlegen war, einmal derart wertvoll sein würden. Bis das Internet schliesslich zum Massenphänomen wurde, sollten noch über zwanzig Jahre vergehen. Video und Kabel-TV waren ein Nischengeschäft. Doch das Netzwerk wuchs stetig, Dealmaker John Malone kaufte Firma um Firma, manchmal zwei Deals pro Woche.

So baut er für Stück für Stück seines Kabelimperiums auf. In seinem Streben nach Grösse und Einfluss im Kabelbusiness nimmt er wenig Rücksicht auf regionale Gepflogenheiten. Kleine Konkurrenten werden übernommen oder verdrängt. Der spätere amerikanische Vizepräsident Al Gore nennt Malone einmal den «Darth Vader der Kabelindistrie».

1999, zum Zeitpunkt des Verkaufs an AT&T, ist Malones TCI auf dem Höhepunkt. Nach dem Verkauf fliegt Malone im Privatjet heimwärts nach Denver. «Bob Magness hätte dieser Deal gefallen», sagt er, als er im Flugzeug den Verkauf nochmals in Gedanken durchgeht. Der Freund und Geschäftspartner starb 1996 an einem Hirntumor.

Der Verkauf von TCI ist nur der Beginn weiterer Aktivitäten. Malone beginnt mit dem Aufbau einer neuen Firmengruppe namens Liberty. 2004 spaltet er von der Liberty Media die Liberty Global ab, bestrebt, sein verschachteltes Imperium wenigstens etwas zu entflechten.

Liberty Global bündelt ihre europäischen Beteiligungen in einer Geschäftseinheit namens UPC. Es ist absehbar, dass auch Cablecom den Namen über kurz oder lang in UPC wechseln wird, denn so ist Malone schon in den anderen Ländern, in denen er zugekauft hat, etwa Holland oder Frankreich, vorgegangen. Bisher nicht Fuss fassen konnte er in Deutschland. Sein Versuch im Jahre 2001, einen Grossteil des Kabelnetzes der Deutschen Telekom zu kaufen, scheiterte am Veto der Kartellbehörden.

Welche genauen Pläne Malone für die Schweiz hegt, ist bisher nicht bekannt. Malone ist bekannt dafür, immer neue Nischen zu finden. Eines der Erfolgsrezepte ist es, thematisch ausgerichtete Spezialsender zu gründen. So nahm er in den USA Pat Robertson, den Führer der religiösen Rechten, unter Vertrag, nannte das neue Programm Family Channel und erreichte damit flugs 15 Prozent der amerikanischen Haushalte. Kurz vor dem gescheiterten Einstieg in Deutschland liess er die Konsumenten im Nachbarland mittels eines Interviews im «Spiegel» wissen: «Ich weiss nicht, woran die Deutschen besonders interessiert sind. Romantische Liebesgeschichten? Mystery? Was immer es ist, wir werden es ihnen bieten.» Beobachter erwarten, dass John Malone auch bald die Schweizer mit massgeschneiderten Lösungen beglücken wird. Gezielte Kanäle für Themen wie Sport, Geschichte, Wissenschaft oder Wetter sind zu erwarten.

Zudem dürfte Malone der Swisscom, Hauptkonkurrentin im Markt, gehörig an den Karren fahren. Swisscom versucht ebenfalls, im Bereich zwischen Kabelfernsehen und Highspeed-Internet stärker Fuss zu fassen. Berührungsängste kennt Malone keine. Mit schnellen Internetzugängen und Telefonie übers TV-Kabel greift sein Liberty-Konzern überall dort, wo er tätig wird, das traditionelle Geschäft der Telefonfirmen an.

Bleibt ausserdem zu hoffen, dass Malones strikte Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse den in den letzten Jahren oft arg kritisierten Kundendienst der Cablecom verbessern wird.

Kürzer treten wird Malone wohl auch künftig nicht, auch wenn er dies immer wieder in Aussicht stellt. Wie eh und je zieht er von Denver aus die Fäden in seinem weit gespannten Reich. Er ist mit seinen Wachstumsplänen noch lange nicht am Ende. Immer weitere Länder in Europa sollen aufgerollt werden. «Liberty Global wird in den nächsten Jahren neue Übernahmen tätigen», hat er bereits angekündigt.

Unsicherheit scheint ein durchaus praktikabler Antriebsmechanismus für ein erfolgreiches Geschäftsleben zu sein. Schliesslich kann man immer noch besser werden. Denn, so wusste ja schon John Malones Vater: Wer aufhört, besser zu sein, hört auch auf, gut zu sein.

Cable Cowboy

Mark Robichaux hat 2002 eine gut recherchierte Biografie über John Malone herausgebracht. Er war 13 Jahre lang Reporter beim «Wall Street Journal» und ist heute Executive Editor des Fachmagazins «Broadcasting & Cable».

Mark Robichaux: Cable Cowboy – John Malone and the rise of the modern cable business.
John Wiley & Sons, 310 Seiten, Fr. 29.–