BILANZ: Sie haben Oswald Grübel im Februar 2009 kennen gelernt, als er den UBS-Chefposten übernahm. Da waren Sie schon drei Monate bei der Bank. Wie war das erste Treffen?
Carsten Kengeter: Kurz. Wie die nächsten zwanzig Treffen auch.
Die Schulleistungen Ihrer Kinder waren nicht das Thema.
Es ging immer nur um die Agenda des Tages, in dieser nüchternen, forschenden, teilweise aggressiven Art, die er gern benutzt.
Acht Wochen nach dem ersten Treffen hat er Sie zum Co-Chef der Investmentbank ernannt. Gab es vorher Signale?
Nein. Er hat mich angerufen und gesagt, dass ich ab morgen den Job habe, wenn ich ihn wolle. Ich habe gesagt: Vielen Dank für den Anruf, ich rufe morgen früh zurück. Am nächsten Tag habe ich angenommen.
Obwohl Grübel Sie nicht eingestellt hat, gelten Sie als sein Vertrauensmann.
Dass er mich nicht eingestellt hat, ist aus meiner Sicht ein Vorteil. So konnte er sich unvoreingenommen ein Urteil über meine Arbeit machen. Er hat eine grosse Entscheidungskraft. Er möchte, dass Dinge klar und direkt sind. Er hat nicht viel Sinn für Ornamente. Das schätze ich.
Klare Worte der Kritik fand er auch nach dem enttäuschenden dritten Quartal der Investmentbank. Besonders das Zinsgeschäft war schwach.
In den ersten beiden Quartalen haben wir in diesem Geschäft die Fehler der Wettbewerber vermieden, doch das hat zu hohe Erwartungen geweckt. Gemessen an den Erträgen sind wir noch nicht unter den Top-Häusern, unser Marktanteil ist zu klein. Das Ziel muss sein: Den Marktanteil zusammen mit dem Profit zu erhöhen. Das ist nach konventioneller ökonomischer Theorie sehr anspruchsvoll, insbesondere wenn der Markt schrumpft.
Wie wollen Sie das schaffen?
Mit einer Zwei-Säulen-Strategie im Geschäft mit Kunden. Die eine Säule ist der Supermarkt, da darf jeder rein und sich bedienen. Wir haben viel Erfahrung in der schnellen Abwicklung grosser Volumen. Wir setzen auf eine höchstindustrielle und automatisierte Lösung, an der wir gerade arbeiten.
Die zweite Säule?
Das Delikatessengeschäft, in dem wir massgeschneiderte, genau auf Wunsch abgestimmte Produkte anbieten. Hier wählt uns nicht nur der Kunde aus, sondern wir wählen auch ihn aus. Das sind komplexere Produkte, die auch nach den neuen Basel-III-Vorschriften viel mehr Eigenkapital beanspruchen.
Heute sind Sie nicht unter den Top Ten im Zinsgeschäft. Wo wollen Sie hin?
Investmentbanken in unserer Kategorie sind globale Einheiten. Dies gibt uns operative Vorteile. Interessant ist dieses Geschäft aus Profitsicht nur unter den Top Fünf. Da müssen wir hin.
Auch das Aktiengeschäft leidet: Lange war es die grosse Stärke der UBS, jetzt ist sie nicht mehr Marktführer.
Derzeit sind wir auf Platz drei. Wir müssen wieder die Nummer eins werden. Das werden wir auch schaffen.
Auch im traditionellen Investment Banking, im M&A- und Emissionsgeschäft haben Sie deutlich verloren.
Das ist unbefriedigend, aber auch nicht überraschend. In diesem Geschäft wird die Zeit in Gletscherabläufen gemessen, anders als im Handelsgeschäft. Es braucht Zeit, bis das Vertrauen zwischen Berater und Kunden wieder da ist. Erst dann kommt der Quantensprung, mit dem man die grossen Deals bekommt. Und wer bei den Grossen nicht dabei ist, fliegt auch bei den Kleinen raus.
Konzernchef Grübel will die Risiken wieder erhöhen – eine Reaktion auf das schwache dritte Quartal?
Wir erleben derzeit die risikoärmste Zeit der Dekade. Der Tiefpunkt war das Lehman-Desaster, jetzt stecken wir in der Phase der politischen und regulatorischen Intervention. Wir können in diesem Umfeld unsere Risikokapazität aber nicht so ausrichten, als ob morgen eine Wiederholung des Lehman-Falls vor der Tür stünde, ansonsten wären wir realitätsfremd und nicht wettbewerbsfähig.
Wie richten Sie das Risiko aus?
Wir denken in vier, fünf Szenarien wie zum Beispiel Dollarschwäche, Eurokrise, oder Deflation und prüfen die Gefahren. Doch wir wollen nicht alle Risikokalibrierungen nach dem grössten Armageddon-Szenario ausrichten.
Sie haben in diesem Jahr mehr als 1000 neue Mitarbeiter eingestellt. Damit steigen die Risiken auf der Kostenseite.
Abgerechnet wird am 31. Dezember. Wir müssen uns nach dem globalen Wettbewerb richten. Bezahlung ist ein Kriterium, neben den Zukunftschancen, der Glaubwürdigkeit der Strategie und dem Potenzial des Aktienkurses, das immer wichtiger wird. Da muss man die richtige Mischung finden.
Ihr Finanzchef John Cryan klagte unlängst, Sie hätten aufgrund der schlechteren Bezahlung im letzten Jahr viele hoch qualifizierte Leute verloren. Wie gehen Sie dieses Jahr vor?
Herausragende Performance, die messbar über mehrere Zeiteinheiten geschieht, müssen wir auch herausragend bezahlen. Es ist aber auch notwendig, unterdurchschnittliche Performance nicht zu bezahlen. Da hat sich unsere Industrie keinen Gefallen getan. Sie hat eher eine Tendenz zur Überbezahlung gehabt. Die salärbezogene Unterscheidung zwischen einem Hochleistungsträger und einem Durchschnittsmitarbeiter muss sich verstärken. Wir sollten wieder zu den Tugenden von früher zurückkehren.
Welche meinen Sie?
Gehen wir eine Dekade zurück, so wurde ein grosser Teil der Bezahlung erst später ausgezahlt, und man bekam ihn nur, wenn man noch für die Firma arbeitete. Das hing jedoch von der Performancebewertung ab, die knallhart und sehr direkt war. Viele Mitarbeiter mussten deshalb vor der Auszahlung gehen. Wenn ich diese Härte in der Beurteilung nicht habe, sinkt zwar die Bezahlung, doch die Leute werden schlechter, und das Risiko der Bank steigt.
Im letzten Jahr machte die Investmentbank sechs Milliarden Franken Verlust, dieses Jahr sollte der Vorsteuergewinn bei 2,7 Milliarden liegen. Da müssen Sie das Salärniveau doch mindestens um 10 bis 15 Prozent erhöhen.
Insgesamt wird der Markt eher nach unten gehen und wir vielleicht leicht nach oben. Das liegt daran, dass hier eine tief greifende Leistung vorliegt. Wir haben nach einem Verlust von 50 Milliarden im Bereich FICC die Investmentbank wieder in die schwarzen Zahlen geführt und dabei keine exzessiven Ressourcen genützt. Das darf man honorieren.
Wie weit gefährden die neuen Regelwerke Ihre Gewinnziele?
Die Debatte ist noch voll im Gange. Die souveränen Staaten werden viel stärker eigene Kapitalunterlegungen fordern. Wir werden hier in London als einer der grössten Arbeitgeber der City von der Financial Services Authority (FSA) reguliert.
Die FSA könnte von Ihnen eine regionale Eigenkapitalunterlegung von mehr als 20 Milliarden Franken verlangen.
Über Zahlen will ich nicht spekulieren. Grundsätzlich ist es intellektuell gerechtfertigt, dass das Land, in dem die Risiken anfallen, sich auch absichern will.
Dennoch sind Sie dagegen.
Ja. Wenn jeder Staat eine hundertprozentige Eigenkapitalunterlegung fordert, dann deglobalisieren wir die Welt. Die globalisierten Handelsströme und das globale Wirtschaftswachstum würden darunter stark leiden.
Es wäre auch das Ende der One-Bank-Strategie.
Die UBS hat als integrierte Bank enorme Kostenvorteile. Wenn die Divisionen zeitgenau zusammenarbeiten, ist die integrierte Bank ein Erfolgsmodell.
Eine Abspaltung der Investmentbank würde jedoch nicht nur die Regulatoren in der Schweiz freuen, sondern auch den Kurs treiben: Reine Privatbanken werden an der Börse höher bewertet.
Das ist Theorie. Ich bin nicht sicher, ob in unserem Fall der Kurs wirklich in die Höhe ginge. Denn dann käme schnell die Diskussion auf: Welche Fähigkeiten brauchen wir, um eine globale Bank zu führen? Wie muss das Risiko gemanagt werden?
Dazu braucht es die Investmentbank?
Die Investmentbank kann als eine kreative Zelle wirken, die auch intellektuelle Erneuerung für die Gesamtbank liefert.
Sind sind der einzige Deutsche, der eine globale Investmentbank leitet. Ist das ein Nachteil?
Die Deutschen haben sich im Wirtschaftsleben eher einen Namen gemacht beim Bau von Autos. Man kann es aber auch umdrehen: Die Vertreter der Hochfinanz sind rechtzeitig ausgewandert, um die angelsächsische Welt zu befruchten: Goldman, Warburg, Rothschild.
Wenn Sie nach Zürich wechseln, könnte Ihre Nationaliät im Vergleich zu angelsächsischen Bankern ein Vorteil sein.
Es gibt gegenwärtig keine solchen Pläne, jedoch ist meine Familie seit langem eng mit der Schweiz verbunden. Im Umgang mit der UBS macht dies vieles einfacher. Es gibt wahrscheinlich nur zwei Gründe, warum ich angestellt wurde (schmunzelt): Ich bin Schwabe und damit schon fast Schweizer, und als Protestant komme ich im zwinglianischen Zürich gut zurecht.