Alles hätte ich werden können: Musiker, Bildhauer, Maler, ich wäre immer ein grosser Mann geworden», pflegte Brown zu sagen. Unter Minderwertigkeitskomplexen litt der Mann kaum. Britisches Understatement war nicht seine Sache.

Charles Eugen Lancelot Brown wurde 1863 in Winterthur geboren. Seinen Vater Charles, Sohn eines englischen Zahnarztes, hatte es aus London nach Winterthur gezogen, weil die Gebrüder Sulzer den Konstrukteur in ihre 1834 gegründete Maschinenwerkstätte holten. Schon er war ein begnadeter Maschinenbauer und verhalf Sulzer mit seinen Dampfmaschinen zu Weltruf. Er heiratete Eugénie Pfau, Tochter aus einem bekannten Winterthurer Hafner- und Ofenbauergeschlecht, und trat so in Winterthurs gehobene Gesellschaft ein.

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Als Mitbegründer der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik SLM und späterer Leiter der elektrotechnischen Abteilung der Werkzeug- und Maschinenfabrik Oerlikon (MFO) ebnete er Charles E. L. Brown den Weg: Denn nach seinem Abgang bei MFO schlug er seinen Sohn als Nachfolger vor. Ein Glücksfall für die Oerliker.

Mit 19 Jahren hatte Charles junior in Maschinentechnik diplomiert und zunächst ein Praktikum in der Basler Firma Bürgin & Alioth absolviert.

Zu Beginn befasste sich Brown mit der Entwicklung und Ausführung von Anlagen und Maschinen für die aufkommende elektrische Beleuchtung. Zu seinem Gesellenstück bei der MFO wurde die Stromübertragung von Kriegsstetten nach Solothurn. Die Referenzanlage übertrug 30 bis 50 PS auf 8000 m und schaffte einen Nutzeffekt von 75%, eine bisher unerreichte Leistung.

Die Anlage sorgte für fette Schlagzeilen. «Ein industrieller Triumph», trompetete der Winterthurer «Landbote». Erstmals war ein wirtschaftlich befriedigender Wirkungsgrad erreicht worden. Brown erkannte die Grenzen des Gleichstroms und wandte sich Versuchen mit mehrphasigem Wechselstrom zu. Für Furore sorgte er an der Elektrotechnischen Ausstellung 1891 in Frankfurt. Sämtliche deutschen Firmen hatten es abgelehnt, vom Wasserkraftwerk an der Neckar eine Stromübertragung ins 175 Kilometer entfernte Frankfurt zu bauen, um damit auf dem Messegelände einen Wasserfall zu betreiben und tausend Glühlampen zum Leuchten zu bringen.

Die MFO, mit seinem Genie Brown, übernahm und reüssierte. Firma und Konstrukteur wurden weltberühmt, und Brown war nicht mehr lange Lohnbezüger in Oerlikon.

Boveri, der Arztsohn

Walter Boveri, Arztsohn aus dem oberfränkischen Bamberg und ebenfalls studierter Maschinenbauer, trat ein Jahr nach Brown in die Maschinenfabrik Oerlikon ein. Die beiden verband nicht nur das Gespür für die in der Elektrizität schlummernden Entwicklungsmöglichkeiten, sondern auch die Liebe für Kunst, Musik und Architektur. Boveri wurde mit der Verantwortung für Grossprojekte betraut und leitete die Ausführung von grossen Montagen im Ausland.

Im Dezember 1890 unterschrieben die beiden einen Kooperationsvertrag für ein gemeinsames neues Unternehmen. Auf die Suche nach Investoren machte sich der kaufmännisch versiertere Boveri. Er warf das Renommee Browns in die Waagschale. Doch die minimal 500000 Fr. Kapital eine ansehnliche Summe angesichts eines damaligen Ingenieur-Jahresgehalts von 5000 Fr. waren nicht aufzutreiben.

Erst als er sich mit Victoire Baumann, Tochter des Zürcher Industriellen Conrad Baumann, verlobte, löste sich das Finanzierungsproblem. Baumann war fasziniert von der geplanten Firmengründung. Als Boveri Baumanns Tochter 1891 heiratete, brachte sie eine Mitgift von 500000 Fr. in die Ehe. Noch im gleichen Jahr wurde die Brown Boveri & Cie gegründet.

Die Standortwahl war verknüpft mit dem ersten Grossauftrag. Von der neu gründeten Badener Elektrizitätsgesellschaft hatte man den Zuschlag erhalten, die Anlagen zur Stromerzeugung und -verteilung des neuen Limmatkraftwerks zu liefern und sich dafür mit der Firma an Ort anzusiedeln.

Im Herbst 1892 leuchteten in den Badehotels und auf den Strassen Badens erstmals elektrische Glühlampen. Rasch zogen Brown und Boveri Letzterer war für die Akquisition zuständig im Ausland Grossaufträge an Land. Schon 1895 wurde die Hälfte der Produktion exportiert. Fünf Jahre später beschäftigte man 1500 Mitarbeitende.

BBC sicherte sich zahlreiche Patente, leistete aber auch in der Elektrifizierung der Eisenbahn und beim Bau von Dampfturbinen und Turbomotoren für die Hochseeschifffahrt Pionierarbeit. Zwecks nötiger Investitionen wurde das Kapital aufgestockt, BBC zur AG und Brown zum ersten VR-Präsidenten. Doch dem kreativen Tüftler behagte diese Rolle nicht. Er trat 1911 mit nur 48 Jahren zurück und verliess schrittweise das Unternehmen ganz. Ein Bruch mit seinem Freund und Partner Boveri hatte dazu geführt.

Als es BBC zwischenzeitlich nicht ganz so rosig ging, hatte man sich gegenseitig die Schuld zugeschoben. Browns Bruder Sidney, ein treuer Weggefährte, wurde später langjähriger VR-Präsident. Sidney hatte zuvor den Bezug zu Sulzer wiederhergestellt durch seine Heirat mit Jenny Sulzer, einer Tochter von Heinrich Sulzer.

Der Exzentriker Brown

Walter Boveri blieb bis zu seinem Tod im Unternehmen, während Brown nach seinem Rückzug zunächst ohne seine Familie eine Weltreise unternahm und sich verstärkt der Kunst zuwandte. Legendär war sein Hang zur Exzentrik. Vom Architekten Karl Moser liess er sich in Baden die skurrile Villa Römerburg bauen, ein romantisches Gebäude mit Steinplastiken, Spinxen und Eulen.

Gerne ging er in Frauenkleidern als Balletteuse zur Fasnacht und fuhr auf Schulhöfen vor staunenden Jugendlichen Kunstrad. Zuletzt bewohnte der inzwischen verwitwete und wieder vermählte Brown eine Villa in Lugano. Er starb 1924 an einem Herzschlag. Sein kongenialer, ihn selbst so optimal ergänzender Ex-Geschäftspartner Boveris starb nur einige Monate später.

Zu Brown und Boveri hat der Verein für Wirtschaftshistorische Studien Zürich in der Reihe Schweizer Pioniere der Wirtschaft und Technik 2000 Band 55 herausgegeben. Bereits erschienen: Schoggipionier Rudolf Sprüngli, HZ Nr. 28 vom 12. Juli. Lesen Sie nächste Woche: Die Schmidheiny-Dynastie.

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Fakten

Die Firma heute

ABB: 1988 fusionierte BBC mit dem schwedischen Konzern ASEA und wurde zur ABB. Die Gruppe ist heute mit über 100000 Mitarbeitenden weltweit führend in der Energie- und Automationstechnik. Nach einer schwierigen Phase gilt ABB heute wieder als gesund. Unter der Führung von CEO Fred Kindle (ex-Sulzer) erzielte der Konzern 2005 einen Umsatz von 23,6 Mrd Fr. und einen Ebit von 1,7 Mrd. Fr.

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Nachgefragt: «Zwei wichtige Vorbilder für mich»

ABB-CEO Fred Kindle über Charles E. L. Brown und Walter Boveri.

Was ist von den beiden Pionieren Charles Brown und Walter Boveri geblieben?

Fred Kindle: Mit der Gründung ihres elektrotechnischen Unternehmens investierten Brown und Boveri konsequent in eine neue Technologie, deren Erfolg damals noch umstritten war. Dieser Pioniergeist treibt uns weiter an. Indem wir bei ABB der Forschung und Entwicklung grosse Aufmerksamkeit widmen, wollen wir unsere traditionell führende Position in der Energietechnik und Automation auch in Zukunft sichern.

Was bedeuten Brown und Bovery heute noch für Sie?

Kindle: Sie sind beide wichtige Vorbilder für mich, deren Schrittmacherfunktion für die Elektroindustrie zu Recht eine wichtige Rolle im öffentlichen Gedächtnis der Schweiz und insbesondere der Region Baden spielt.

Sehen Sie Parallelen zwischen den beiden Pionieren und der Institution ABB unter Ihrer Führung heute?

Kindle: Brown als Techniker und Boveri als Kaufmann dies erwies sich als eine erfolgreiche Kombination. Auch heute gibt es bei uns herausragende Technologien, die mich persönlich wirklich begeistern. Gleichzeitig achte ich jedoch auch darauf, dass wir nicht für die Galerie entwickeln, sondern immer die Bedürfnisse und den Geldbeutel unserer Kunden im Blick behalten.