Einen schöneren Spätsommertag hätte sich der Verwaltungsrat von Charles Vögele kaum aussuchen können für sein Treffen: strahlender Sonnenschein, 23 Grad, frischer Wind und nur ab und zu ein Wölkchen am Himmel über Bad Ragaz. Statt wie sonst üblich am Hauptsitz in Pfäffikon SZ traf man sich am 25. September zur vorletzten VR-Sitzung des Jahres im Hotel Quellenhof. Eine besonders aufmerksame Bewirtung war sichergestellt: Markus Vögeli, Finanzchef des Bekleidungshauses, amtet im Fünfsternehotel als Verwaltungsrat.
Zunächst gab es Business as usual: Am Nachmittag präsentierte CEO Frank Beeck (45) in einem Konferenzraum das Budget für 2013 sowie den Massnahmenplan, mit dem er das Modehaus wieder in die schwarzen Zahlen führen wollte. Danach zog sich das fünfköpfige Gremium zu Beratungen zurück. Abends gingen Verwaltungsrat und Konzernleitung im Hotelrestaurant gemeinsam essen. Nach dem Dessert der Paukenschlag: VR-Präsident Hans Ziegler teilte Beeck mit, dass er per sofort freigestellt sei.
Schlüsselfigur Hans Ziegler
So abrupt endete die einjährige Amtszeit des gebürtigen Wiesbadeners auf dem Vögele-Chefsessel. Die Überraschung war gross: in der Öffentlichkeit, beim Topmanagement in Pfäffikon, vermutlich auch bei Beeck selber. Mit einem derartigen Schritt hatte niemand gerechnet.
Und er rückt jenen Mann ins Scheinwerferlicht, der bei Charles Vögele im Lauf der letzten viereinhalb Jahre eine immer wichtigere Rolle einnahm: Hans Ziegler. Der 60-Jährige ist seit der überraschenden Personalie auf Tauchstation. Keine Auftritte, keine Interviews, keine Statements. Nur so viel: «Der Turnaround muss jetzt aus eigener Kraft erfolgen», liess er verlauten.
Er ist mal wieder gefragt, der «Sanierer der Nation», wie er genannt wird und wie er sich gerne nennen lässt. Den Ruf hat sich Ziegler mit den schwierigen Fällen der Schweizer Wirtschaft erworben: Den leidenden Elektronikhändler Interdiscount hat er abgewickelt, ebenso die Softwarefirma Complet-e, die bankrotte Erb-Gruppe.
Er sanierte die überschuldete Swisslog und sorgte massgeblich dafür, dass der angeschlagene Milliardenkonzern OC Oerlikon wieder auf eine tragfähige Finanzbasis gestellt wurde. Und jetzt also Charles Vögele. Der entscheidende Unterschied: Diesmal ist er für die Krise zum Grossteil selbst verantwortlich. Auch wenn er das selber kaum wahrhaben will.
Die Alphatiere
2008 wurde er als Vizepräsident des Verwaltungsrats an Bord geholt, portiert von Grossaktionär Tito Tettamanti und dessen Investmentgesellschaft Sterling Strategic Value. VR-Präsident war Rewe-Chef Alain Caparros, der das Board klar führte.
Ziegler als einziger Schweizer im Gremium war auf Schweizer Gesellschaftsrecht und Finanzen konzentriert. Vögele hatte damals die Führerschaft im Heimmarkt an H&M verloren und musste sich erneuern. Man holte André Maeder vom Herrenausstatter Hugo Boss als neuen Chef und mit ihm ein radikal anderes Konzept: junge Mode statt Altweiberschnitte, Penélope Cruz und Til Schweiger als Markenbotschafter, eigene Modeschauen. Auch Ziegler stand hinter dem Entschluss: «Das Board hat immer einstimmig entschieden, man hat den Konsens gesucht», sagt einer, der dabei war – anders wäre es in dem Vier-Mann-Gremium auch kaum möglich gewesen.
Dabei war das Verhältnis zwischen den Alphatieren Ziegler und Caparros von Anfang an angespannt. Der Sanierer wollte sich aktiver einbringen als nur im VR und verlangte eine Rolle im Tagesgeschäft; Caparros liess ihn zunächst gewähren und beauftragte ihn mit der Unterstützung Maeders. Doch im Tagesgeschäft des Kleiderhauses, wo es um Modetrends, Store Design und Marketingevents geht, konnte der Zahlenmensch Ziegler kaum etwas beitragen. Und die Finanzkompetenz war bereits durch CFO Markus Vögeli bestens abgedeckt. Stattdessen machte Ziegler Politik: «Er säte Intrigen und hetzte die Leute gegeneinander auf», erinnert sich ein Zeitzeuge. Angewidert von dieser Illoyalität, beorderte Caparros Ziegler zurück in den VR.
Auffallend ist, wie viel verbrannte Erde Ziegler in seiner Umgebung zurückliess und wie viele ehemalige Mitstreiter heute schlecht auf ihn zu sprechen sind. Gegen aussen und zu den Mitarbeitern ist der Sanierer dabei stets freundlich und angenehm. Aber: «Ziegler ist ein Machtmensch, er verfolgt immer seine eigenen Ziele», sagt ein Weggefährte. «Das sind nicht immer die Ziele des Unternehmens.»
Anna statt Penélope
Im September 2011 zeigte sich, dass die Strategie Maeders nicht aufging: Vögele verschreckte ihre traditionelle Klientel jenseits der 50, ohne schnell genug junge Kunden zu gewinnen. Der VR entschied sich – wiederum einstimmig – für eine Trennung von Maeder und berief den bisherigen Verkaufschef Frank Beeck (Maeder hatte ihn vom spanischen Moderetailer Mango geholt) zum neuen CEO. In derselben Nacht trat Caparros vom Präsidentenposten zurück. Offizieller Grund war die hohe Arbeitsbelastung als Chef des deutschen Einzelhandelsgiganten Rewe. Ziegler übernahm das Präsidium, Caparros wurde einfaches VR-Mitglied.
Für das Strategiedebakel fühlte sich das oberste Gremium mitverantwortlich. Drei VR-Mitglieder – Caparros, Ex-Boss-Chef Peter Littmann und der Holländer Jan C. Berger – reichten deshalb ihre Demission auf die nächste Generalversammlung ein. «Auch der VR hat Fehler gemacht, da ist es konsequent, wenn man anderen Leuten den Vortritt lässt», sagt ein Beteiligter. «Der Einzige, der nicht diesen Anstand hatte, war Ziegler.»
Im Rest des Boards ist Zieglers Entscheid denn auch mit wenig Begeisterung aufgenommen worden. Vonseiten der Grossaktionäre freilich gab es keinen Druck: Das Verhältnis zur Migros, zu Tettamanti und zum Classic Global Equity Fund pflegte Ziegler sorgfältig. «Er ist immer der, der überlebt», sagt ein Weggefährte. «Er sucht die Opferlämmer und hat sie bei Vögele jedes Mal gefunden: zweimal den CEO, einmal den ganzen VR.»
Cash Drain
Als einzig Überlebender konnte Ziegler den neuen VR nach seinem Gusto zusammenstellen, und als Präsident prägte er fortan die Strategie von Vögele. Beeck gab er mit auf den Weg, an der grundsätzlichen Marschrichtung festzuhalten: Wachstum generieren, Prozesse und damit Kosten optimieren, die Marke modernisieren.
Aber die Strategie sollte anders interpretiert werden, moderater, vor allem was das Branding angeht: Statt Penélope Cruz und Til Schweiger sind nun die biederen Schweizerinnen Marlies (56), Anna (45) und Kathrin (50) die Aushängeschilder des Konzerns. «Ziel ist es, das Unternehmen über die nächsten drei Jahre wieder zu profitablem Wachstum zurückzuführen», sagte Ziegler im BILANZ-Interview in diesem Juni.
Oberste Priorität des Dreijahresplans: die Banken zu beruhigen, indem die Liquidität sichergestellt wurde. Das ist Beeck gelungen: Hatte der Konzern bei seinem Amtsantritt im ersten Halbjahr 2011 noch einen Cash Drain von 60 Millionen Franken zu verbuchen, erwirtschaftete er im ersten Halbjahr 2012 einen positiven Cashflow von 11 Millionen. Ergebnismässig war 2012 sowieso verloren, für 2013 war eine schwarze Null geplant, ein Jahr später sollten wieder zweistellige Gewinne eingefahren werden. «Wir waren auf Kurs, diesen Turnaround zu schaffen», heisst es im Hauptquartier.
Schlechter Leistungsausweis
Umso überraschender die plötzliche Entlassung Beecks. «Unterschiedliche Auffassungen betreffend die operative Führung» wurden offiziell als Grund genannt, das kann alles heissen oder nichts. Manche Topkader hätten sich von Beeck nicht ausreichend betreut gefühlt, hört man am Hauptsitz. Auf den ersten Blick wenig erstaunlich, umfasste seine direkte Führungsspanne doch fast 20 Personen. Andererseits gab es unter den 26 Vice Presidents in dieser Zeit nur einen Abgang; von einer schlechten Stimmung am Konzernsitz drang nichts nach aussen.
Die tatsächlichen Motive für Zieglers Entscheid bleiben rätselhaft. Wenn man sich aber schon ohne Not vom CEO trennt, muss man einen valablen Ersatz parat haben. Den kann Ziegler nicht bieten. Dass jetzt Finanzchef Markus Vögeli die Führung interimistisch übernimmt, ist hochproblematisch: Was vorher vier Vollzeitstellen waren – CEO, Finanzchef, Einkaufsleiter und Chefverkäufer –, konzentriert sich nun in Vögeli. Seine Führungsspanne ist damit noch einmal exponentiell grösser als jene von Beeck. Und Vögeli mag ein guter Finanzchef sein, aber von Mode und Retail hat er wenig Ahnung.
Ziegler kann ihn nicht ergänzen, denn seine Kompetenzen sind annähernd deckungsgleich. Die einzige Person mit praktischer Modeerfahrung ist VR Matthias Freise, bis 2009 bei Hugo Boss und seit letztem Jahr Professor für «Fashion Procurement and Retail Buying» an der deutschen Hochschule Reutlingen. Er soll zusätzlich zu seinem Hochschulpensum nun den CEO operativ unterstützen. Ironie der Geschichte: Freise arbeitete von 2010 bis 2011 bereits einmal operativ für Vögele, bis ihn der damalige CEO André Maeder auf die Strasse stellte.
Ziegler erwirkte Verlängerung der Bankkredite
Unter dem Strich ist Zieglers Leistungsausweis bei Vögele sehr schlecht. Die Umsätze sind seit seinem Antritt 2008 um 27 Prozent zurückgegangen. Aus einem Jahresgewinn von 95 Millionen wurde ein Verlust von 114 Millionen. Strategisch hat der Konzern eine Irrfahrt hinter sich, konzeptionell ist er keinen Schritt weiter. 40 Verkaufsstellen musste er schliessen. Und der Aktienkurs hat rund 80 Prozent seines Werts verloren.
Auf Zieglers Habenseite steht die viel gerühmte Verlängerung der Bankkredite. Aber auch hier ist seine Rolle weniger prominent als dargestellt. «Finanzchef Vögeli war die entscheidende Person», sagt einer, der dabei gewesen ist. «Er und seine Mannschaft haben die wesentlichen Aufgaben erfüllt.»
Schadensbegrenzung
Nun sieht sich Ziegler in der Pflicht, Vögele selber wieder in die Erfolgsspur zu bringen – so wie es seinem Image als Sanierer der Nation entspricht. Reichlich spät. «Wie kann er jetzt auftreten und sagen, er wird Vögele retten?», fragt einer, der mit ihm gearbeitet hat. «Wo war er all die Jahre?» Tatsächlich kann es für Ziegler jetzt nur noch darum gehen, den Schaden zu begrenzen. Dazu müsste er den Laden sanieren. Aber dazu fehlt ihm das fachliche Know-how. Und einen erfahrenen CEO und eine kompetente Konzernleitung zu finden, dürfte angesichts der Ereignisse der letzten zwei Jahre sehr schwierig werden.
Bleibt als dritte Lösung jene, die am ehesten zu Zieglers Naturell passt: ein Verkauf. Doch auch der ist schwieriger, als es scheint: Grossaktionär Migros wird seinen 25-Prozent-Anteil nicht erhöhen, das hat Finanzchef Jörg Zulauf mehrmals kommuniziert. Und mit der Tegut-Übernahme hat der Genossenschafts-Bund derzeit schon genug zu tun, auch wenn offiziell die Migros Zürich dafür zuständig ist.
Solange der Detailhandelsriese eine Sperrminorität an Vögele hält, ist für einen ausländischen Modekonzern wie etwa die spanische Inditex-Gruppe der Einstieg unattraktiv. Ziegler muss also die Migros überzeugen, ihr Finanzinvestment trotz den aufgelaufenen Verlusten von 30 bis 80 Millionen Franken abzustossen. Nicht ausgeschlossen, denn intern habe die Genossenschaft, so hört man, die Beteiligung bereits abgeschrieben.
Findet Ziegler einen Käufer, der deutlich mehr zahlt als den derzeitigen Börsenwert von rund 130 Millionen, dann rettet er wenigstens bei den Grossaktionären seinen Ruf. Zwar nicht als Sanierer, aber wenigstens als Abwickler.