Knapp 100 Milliarden Franken wurden im Schweizer Detailhandel letztes Jahr umgesetzt. Wachstum gibt es in der Branche seit Jahren höchstens in homöopathischen Dosen. Mit zwei Ausnahmen: Das Online-Geschäft legt sprunghaft zu – und der Einkaufstourismus. Letztes Jahr kauften Schweizer Konsumenten gemäss Schätzungen der Marktforscher von GfK für fast 9 Milliarden Franken im grenznahen Ausland ein.
Fast jeder zehnte Franken landet also nicht mehr in den Kassen von Schweizer Händlern, sondern wird bei deutschen, österreichischen und französischen Anbietern ausgegeben. Folge davon: Im Schweizer Detailhandel tobt ein immer heftiger Wettbewerb um einen Kuchen, der ausserhalb des Lebensmittelbereichs schrumpft. Konkret zeigen die GfK-Daten im laufenden Jahr bei Lebensmitteln ein Plus von 2,4 Prozent, im sogenannten Non-Food-Sektor aber ein Umsatzminus von 2,2 Prozent.
Zu den Kundinnen gehen
Noch deutlicher ist der Rückgang im Verkauf von Textilien. Er liegt zwischen Januar und September bei 2,6 Prozent. Der Schweizer Modediscounter Chicorée blieb vom Rückgang bisher zwar verschont. Firmengründer und Chef Jörg Weber steigerte mit Chicorée den Umsatz dieses Jahr bis Ende Oktober um sechs Prozent. Aber auch er spürt, dass Kundinnen zu Konkurrenten im Ausland abwandern. Deshalb will er dem Einkaufstourismus etwas entgegensetzen. «Wir müssen die Kunden dort abholen, wo sie sind», sagt der Unternehmer. «Und das heisst heutzutage immer mehr: in Süddeutschland, zwischen Weil am Rhein und Konstanz.»
Er plant deshalb eine Expansion über den Rhein. Ihm schweben rund vier Standorte in deutschen Gemeinden vor, die von Schweizer Einkaufstouristen stark frequentiert werden. Bislang ist Chicorée ausschliesslich in der Schweiz aktiv. Das Unternehmen betreibt aktuell 187 Filialen – acht mehr als 2012 – und beschäftigt 850 Mitarbeiter, 95 Prozent davon Frauen.
Wann und wo es losgehen soll, kann Weber noch nicht sagen: «Die Idee ist noch ganz frisch, es gibt noch einige Fragen zu klären.» Klar aber ist: Ideale Standorte wären neben Weil am Rhein und Konstanz die Orte Jestetten und Waldshut. Dort stauen sich vor allem an Samstagen Autos mit Schweizer Kontrollschildern. Die lokalen Läden machen locker ein Drittel des Umsatzes mit Schweizer Kunden. Einige Geschäfte sind gar zur Hälfte von der Schweizer Kaufkraft abhängig.
Keine neuen staatlichen Regeln
Von den unter Politikern und Detailhandelsverbänden hoch im Kurs stehenden Massnahmen gegen den Einkaufstourismus hält Weber gar nichts: «Wir brauchen keine neuen staatlichen Regeln, sondern unternehmerische Lösungen.» Politisch diskutiert wird eine Reduktion des Freibetrags. Heute dürfen Touristen Waren im Wert von 300 Franken zollfrei einführen. Ebenfalls zur Debatte steht eine Bagatellgrenze von 100 Euro für die Rückerstattung der deutschen Mehrwertsteuer. Die Schweiz solle in Berlin darauf hinarbeiten, dass es bei Einkäufen unter 100 Euro die Steuer nicht mehr zurück gibt.
Jörg Weber hat Chicorée 1982 im zürcherischen Dietikon gegründet. Zu Beginn importierte er trendige Jeans aus Italien und verkaufte diese weiter. Später baute er eine eigene Kollektion auf. 1985 eröffnete der erste eigene Laden in Baden. Einer von Webers Rennern ist die Chicorée-Tasche, in der die Einkäufe verpackt werden. Er hat schon 4 Millionen Stück davon an die Frau gebracht. Die meisten anderen Modeketten haben sie kopiert. 2012 setzte Chicorée 148 Millionen Franken um.