Auf den ersten Blick wirkt Peking nicht wie ein Paradies, schon gar nicht für Autofahrer. 193 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft am Mittwochmorgen - ein Mehrfaches des Grenzwertes in Europa von 50. Ein Bewohner der chinesischen Hauptstadt nennt das noch relativ niedrig. Es ist diesig, auf den Strassen stauen sich wie immer die Blechkarossen. Man könnte meinen, dass Autos als Luftverschmutzern Nummer eins hier der Kampf angesagt wird. Doch dem ist nicht so. Der Automarkt im Reich der Mitte boomt. Das freut nicht nur die deutschen Hersteller, sondern auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der am Mittwoch die Pekinger Auto-Messe besucht hat.

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«Man braucht neue Autos, um den Smog in den Griff zu bekommen», ist eine der Einsichten, die der Minister in Chinas Hauptstadt verkündet. Das Kalkül: Neue umweltschonende Autos mit niedrigem Benzinverbrauch oder Elektro-Antrieben stossen erheblich weniger Schadstoffe aus als die alten Pkw, Kleinlaster und Limousinen, die das Strassenbild in Peking bestimmen. Gabriel nennt seinen Besuch auf der Auto-Show gar ein «Signal für Energie-Effizienz». Den Chinesen das Autofahren verleiden zu wollen, sei schon ein wenig «imperialistisch», betont er.

Goldgrube für die Autoindustrie

Die China-Chefs von VW, Daimler und BMW tun auf der Auto-Messe alles, um den Minister in seiner Argumentation zu unterstützen. Jochem Heizmann beispielsweise, Chef von Volkswagen in China, bekräftigt mehrfach: «Im Zentrum steht bei uns die Verbrauchseffizienz.» Die Wolfsburger wollen zahlreiche Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge in Kürze auf den chinesischen Markt bringen. Seine Kollegen von den anderen deutschen Herstellern berichten, dass das Interesse an saubereren und kleineren Autos derzeit gross sei.

Allerdings sprechen die aktuellen Zahlen für China eine andere Sprache - zumindest noch. Die grossen Autos mit klassischem Antrieb prägen das Bild des mit jährlich fast 20 Millionen verkauften Autos grössten Absatzmarktes. «Der Markt ist so, dass die Fahrzeuge, die hier verlangt werden, eher die grösseren Fahrzeuge sind», gibt Heizmann zu. Sein Kollege Hubertus Troska von Daimler sekundiert: «SUVs und Limousinen sind die Hauptaufbauformen, die in China goutiert werden.» Tolle Ausstattungen und prestigeträchtige Designs sind gefragt: viel Chrom, in der Innenverkleidung auch einmal edle Hölzer, etwas verlängerte Versionen, mit denen man mehr Abstand zum Chauffeur wahren kann, und als Farbe gerne Gold oder ein giftiges Rot, erzählt ein Automanager.

China ist für die deutschen Hersteller mittlerweile von zentraler Bedeutung, Experten warnen gar vor einer zu grossen Abhängigkeit von der Volksrepublik. Volkswagen verkaufte dort vergangenes Jahr 3,3 Millionen Fahrzeuge, rund ein Drittel seines Absatzes in aller Welt. «Wir waren Pioniere hier», erzählt Heizmann, dessen Konzern vor 30 Jahren in China losgelegt hat. 20 Millionen Fahrzeuge hat der Wolfsburger Konzern im bevölkerungsreichsten Land der Erde an Kunden ausgeliefert. Weitere Rekorde sind angepeilt. Daimler und BMW sind später gekommen, doch auch für sie hängt viel am China-Geschäft.

Zulassungen werden verlost

Dass in etlichen Grossstädten Chinas inzwischen Zulassungen für neue Auto verlost werden, schärfere Abgasnormen anstehen und es zeitweise Fahrverbote an besonders schadstoffintensiven Tagen gibt, ficht die deutschen Konzerne kaum an. Auch für dieses Jahr rechnen sie mit - wenn auch etwas bescheideneren - zweistelligen Zuwachsraten in China. Dabei sind die Regeln in Peking inzwischen schärfer. 18'000 Zulassungen seien im Januar verlost worden, Bewerber habe es 1,8 Millionen gegeben, erzählt BMW-China-Chef Karsten Engel. Elektromobile seien hier bevorzugt. Deren Besitzer haben keine Besoldungsprobleme.

Ansonsten hoffen die Hersteller, dass es inzwischen in China auch ausserhalb Pekings oder Shanghais Regionen gibt, in denen man sich gerne mit einem Auto deutscher Machart schmückt. Gemessen an der Zahl der Millionäre und Milliardäre ist das Land inzwischen Weltspitze. Und der zunehmend kaufkräftige Mittelstand wird auf bis zu 350 Millionen Menschen geschätzt. Für viele gibt es vor allem ein grosses Prestigeobjekt: das Auto - Umweltschutz hin oder her.

Die angekündigten strengeren Abgasnormen dürften auch nicht so hart ausfallen, meint ein deutscher Automanager. «Zumindest nicht schlimmer als in Europa.» Denn die deutschen Autokonzerne seien mit ihren Werken und Zehntausenden von Beschäftigten vor Ort mittlerweile ein wichtiger Teil der chinesischen Industrie. Das weiss auch die Regierung in Peking. Da geht es ihr ein wenig wie Gabriel. Auch der ist sich des Gewichts der Autoindustrie für die gesamte deutsche Wirtschaft wohl bewusst - wie der Besuch auf der Messe erneut gezeigt hat.

(reuters/chb)