Ein schwülwarmer Sommerabend im vollen St. Jakobs-Park. Das grosse Inter Mailand ist zu Gast im wichtigsten Spiel des Jahres für den FC Basel. Es geht um die Qualifikation für die europäische Champions League. Einnahmen in zweistelliger Millionenhöhe winken. FCB-Trainer Christian Gross betritt hinter den Mannschaften im Klubanzug mit Krawatte das Spielfeld. Vor der Trainerbank hält er kurz inne, zieht sich trotz der Hitze das Jackett über, bleibt stehen und blickt starr auf das Spielfeld.

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Autorität durch Unnahbarkeit. «Man sollte eine gewisse Souveränität ausstrahlen», sagt Gross im Dokumentarfilm «Den Topf im Kopf» des Schweizer Fernsehens DRS aus dem Jahr 2002, als der FCB zum ersten Mal seit 22 Jahren wieder Schweizer Meister wurde. Er sagt dies, während die Coiffeuse seinen kahlen Schädel noch kahler schert und die Augenbrauen nachrasiert. Mit wenigen Ausnahmen ist Gross mit seinen Spielern per «Sie».

Ein Hauch von Härte und Hoheit umgibt Gross, seit er als Trainer des FC Wil, des Grasshopper Club Zürich und des FCB grosse Erfolge feiern kann. Mit GC erreichte er zweimal die Champions League, mit Basel sorgte er letztes Jahr an selber Stelle wieder für Furore ermöglicht durch Spielertransfers der Roche-Erbin Gigi Oeri, der Vizepräsidentin und Defizitgarantie des FCB.

Am Spielfeldrand hält Gross die Arme stets vor der Brust oder hinter dem Rücken verschränkt. Selten sind sie in den Hosensäcken. Gefühlsausbrüche und fuchtelnde Anweisungen bleiben die Ausnahme.

Lockerer als früher

Christian Gross als Schauspieler? «Für mich spielt er manchmal zu stark eine Rolle von etwas, das er gar nicht ist,» sagte Georg Heitz, Sportredaktor bei der «Basler Zeitung» im Dok-Film. Aus heutiger Sicht sagt Heitz: «Gross hat sich gewandelt mit dem Erfolg. Er ist lockerer drauf als früher.» Die Verbissenheit ist jedoch sein Erfolgsrezept geblieben. Gross überlässt kein Detail dem Zufall. Er informiert sich haargenau über den Gegner, liest alle einschlägigen Zeitungsartikel, studiert Videos. Das verleiht ihm bei den Spielern Glaubwürdigkeit und Respekt, sagt Heitz. Den ersten Saisongegner dieser Meisterschaft, den weitaus schwächeren FC Aarau, liess er sechs mal beobachten einmal reiste er als Spion selber zu einem FCA-Trainingsspiel in die tiefste Provinz.

Gross selber nennt es «Konsequent den Weg gehen» und «Schulhaus-Mentalität»: Den Charakter eines Mannes, der schon als kleiner Junge jedes Spielchen gewinnen wollte. Erich Vogel, ehemals Manager bei GC, Basel und Zürich und ein Gross-Kenner, formuliert es so: «Gross ordnet alles dem Erfolg unter, auch sein Privatleben und menschliche Beziehungen. Er macht sich mit seiner Hingabe für seinen Beruf zum Vorbild für die Spieler.» Vogel sagt aber auch: «Wenn man so detailversessen ist, hat man kein Vertrauen in andere Menschen. Das hängt damit zusammen, dass man selber oft enttäuscht wurde.»

Gross hat dazugelernt. Es ist die Mischung aus Härte und Herzlichkeit, Distanz und Direktheit, ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen, die heute seinen Umgang mit Spielern kennzeichnet.

«Die meisten Führungskräfte können das nicht», sagt Vogel. Typisch ist die von der Fernsehkamera eingefangene Szene mit dem sensiblen Kameruner Hervé Tum, der drei Minuten vor Schluss nicht mehr weiterspielen kann und seine Mannschaft somit in Unterzahl bringt. «Mais, putain, vous pouvez encore jouer ou bien?» brüllt ihn Gross an.

Später, in der Kabine, kniet Gross neben dem stämmigen Kerl, legt ihm fast entschuldigend die Hand auf den Arm und erklärt ihm sein fehlerhaftes Verhalten.

Do-it-yourself-Psychologe

Christian Gross als Self-made Psychologe. Schon als Trainer von GC soll er immer die neusten psychologischen Manager-Ratgeber mit sich herumgetragen haben. Das Eingehen auf jeden einzelnen Spieler betrachten Gross und sein Trainerkollege Marcel Koller als Erfolgsrezept. «Gross kann spüren, ob's einem gut geht oder nicht. Es ist wichtig, dass er auch mal einen Spieler zur Seite nimmt und sich seine Probleme anhört», sagt Nationalspieler Murat Yakin.

Yakin wurde von Gross wie auch FCB-Torwart Pascal Zuberbühler bewusst zu einem Führungsspieler aufgebaut. Als verlängerter Arm auf dem Platz, als Adjutant, der die Mitspieler motiviert und auch mal zusammenstaucht.

Dabei machte Gross Murat Yakin Zitat: «Ich nehme den Fussball lockerer als andere» vom Problemspieler, der den Trainer als 21-Jähriger bei GC öffentlich kritisierte, zum Leithammel mit Verantwortung. Der Deal dabei: Gross gibt Yakin Freiheiten und er muss im Training nicht alle Quälereien mitmachen.

Wie mit 20 Kindern

Sonderbehandlung von Einzelspielern ist in einer Fussballmannschaft durchaus normal: «Fussballtrainer sein ist, als ob man 20 Kinder hätte. Da ist das ganze Spektrum menschlichen Denkens und Fühlens vorhanden. Nicht jedem kann man da die gleiche Aufmerksamkeit schenken», sagt Erich Vogel.

Christian Gross als Familienvater einer multikulturellen Truppe. «Hälfed enand, aidez-vous, help you on the pitch, hey!» «Encore un match, denn simmer derbi!» Gross redet in der Kabine seine Spieler heiss, redet ihnen Stark-Sein ein. Dabei ist weniger wichtig, was er sagt, sondern wie: Pickt einzelne Spieler heraus und konfrontiert sie mit Fragen. Benutzt Hände und Arme. Duldet weder Widerspruch noch Diskussionen.

Um die sprachlichen Hürden zu meistern und das Mannschaftsgefühl zu stärken, arbeitet Gross viel mit Videos und setzt auf die Symbolsprache. Die Visualisierung von Zielen ein beliebtes Motivationsmittel in der Sportbranche. In der Meistersaison 2002 zeigte der FCB-Trainer an Teamsitzungen eine kleine Kopie des Meisterpokals.

Und nach seinem Amtsantritt in Basel liess er für die Spieler T-Shirts drucken mit dem Logo der Champions League und den Worten «I have a dream» auf der Vorderseite und «No dream, no future» auf der Rückseite. Wie sieht die Zukunft von Gross selber aus? Erich Vogel ist überzeugt: «Er wird sich jede Möglichkeit anschauen.»

Christian Gross

Führungsprinzipien

1. Auf jeden Spieler einzeln eingehen.

2. Direkt und ehrlich auf Leute zugehen.

3. Konsequent seinen Weg verfolgen.

4. Erhobene Stimme dosiert einsetzen.

5. Visualisierung von Zielen benutzen.

Zur Person

Christian Gross, geboren am 14. August 1954, wuchs in Zürich-Höngg auf. Als Spieler war er unter anderen bei GC, Bochum und St. Gallen tätig. Als Trainer führte er den FC Wil von der 2. Liga in die Nationalliga B. Mit GC erreichte er zweimal den Meistertitel und die Teilnahme an der Champions League. Nach einem Abstecher bei Tottenham Hotspurs London seit 1999 Trainer beim FC Basel, der zweimal Meister wurde und einmal die Champions League erreichte.

FC Basel: Das grösste Budget der Liga

Der FC Basel, gegründet 1893, wurde zehnmal Schweizer Meister und siebenmal Schweizer Cupsieger. Der Verein mit 83 Angestellten hat ein Budget von 30 Mio Fr., das höchste der zehn Vereine der Schweizer Super League. Dem Verein zur Seite steht die FC Basel Marketing AG, welche die Transferrechte der Spieler hält, Defizite deckt und Gewinne übernimmt. Roche-Erbin Gigi Oeri hält 90% des Aktienkapitals der Marketing AG. Die AG wurde in den 90er Jahren von der UBS ins Leben gerufen, um den FCB auf eine finanziell tragfähigere Basis zu stellen. (dhü)