Er konnte Klaus Schwab, den Gründer des World Economic Forum (WEF), nicht aus-stehen. Schlimmer noch, der Sanguiniker aus der Waadt liess den hageren Professor deutscher Nationalität seine Abneigung spüren. Als eine Hundertschaft von Staatschefs und Staatsdienern 1995 am traditionellen WEF-Empfang im Davoser Kirchner-Museum tafelte, fehlte einer: Wirtschaftsminister Jean-Pascal Delamuraz. Schwab schäumte vor Wut, weil ausgerechnet die Schweizer Regierung durch Abwesenheit glänzte. Zeugen erinnern sich noch heute an seine spontane Reaktion: «Wir gehen nach Salzburg.»
So weit kam es dann nicht. Dem damaligen Wehrminister Adolf Ogi gelang es, den WEF-Präsidenten zu besänftigen. Die Österreicher allerdings gaben sich so schnell nicht geschlagen. Mit dem Zentral- und Osteuropagipfel hatten sie bereits eine WEF-Veranstaltung nach Salzburg geholt. Ihr höchster Repräsentant, Bundespräsident Thomas Klestil, klebt seit seiner Amtseinsetzung am Mantelsaum von Mister WEF, der gerne den Hauch der Mächtigen spürt. «Sie versuchen mit viel Anstrengung, das WEF wegzukriegen», argwöhnt Armin Egger, Direktor von Davos Tourismus.
Im November 2001, mitten in den Vorbereitungen für das 32. Jahrestreffen, reagierte Schwab wieder spontan, doch diesmal handelte er. Die Verhandlungen mit den Behörden kamen nur schleppend voran, als ihn die Attacken der Schweizer Presse ins Mark trafen: Schwab habe sein WEF-Network missbraucht, um mit Think Tools ein «Börsenwunder» («Weltwoche») zu vollbringen. Als der Highflyer total abstürzte, hatte sich VR-Vize Schwab längst aus dem Staub gemacht.
Am Freitag, dem 12., tagte die Geschäftsleitung des Forums in Genf, und selbst enge Mitarbeiter gingen davon aus, dass das WEF auch 2002, wie in den 31 Jahren zuvor, in der Bündner Bergstadt stattfinden würde. Doch Schwab hatte seine Meinung geändert und sich kurzfristig für New York entschieden, nachdem er erst am 29. Oktober überhaupt auf diese Idee gekommen war. Zu tief sass der Ärger über die Respektlosigkeiten, die er sich in der Schweiz bieten lassen musste.
Die Medien feierten die «beispiellose Verlegung» («Wirtschaftswoche») vom Zauberberg an den Hudson als genialen Akt der Solidarität. Das Weltfinanzzentrum hatte sich nach den Terroranschlägen vom 11. September als Ausweichdestination geradezu anerboten. Nur: Schwabs Kurzschlussreaktion war kein Entscheid für New York, sondern ein Entscheid gegen Davos. Und sie zeigt, wie stark sich der Diplomingenieur und Betriebswirtschaftler von Emotionen leiten lässt.
Seine Liebe zur Schweiz hat sich längst abgekühlt. Der Davoser Ehrenbürger, der einst im Landwassertal geheiratet hat, sieht sein Lebenswerk zu wenig respektiert und fühlt sich im Stich gelassen – besonders vom Bundesrat, dem grössten Profiteur der Politplattform Davos. Denn er hält Hof, wenn die wahren Mächtigen, ob Schröder oder Clinton, der Managerelite die Reverenz erweisen. Als das Land 1997 in der schwersten aussenpolitischen Krise der Nachkriegszeit steckte, fiel der Bundesrat zu fünft im Landwassertal ein, um den ausländischen Staats- und Regierungschefs die Problematik der Holocaust-Gelder zu erläutern. Bei internationalen Treffen im Ausland hingegen stehen Schweizer Regierungsvertreter meist Schlange, um den höchsten Staatslenkern die Hand zu schütteln. «Aussenminister Joseph Deiss hat die strategische Bedeutung des WEF nicht erkannt», kritisiert ein Schweizer Diplomat.
Für den inoffiziellen Weltwirtschaftsgipfel hat die Regierung tatsächlich kaum je einen Finger gekrümmt. Während Jahren wies der Bund die Begehren der Bündner Regierung ab, sich an den wachsenden Kosten für die Sicherheit zu beteiligen. Noch im Januar 2000, als in Seattle kurz zuvor 50 000 De-monstranten die WTO-Konferenz blockiert hatten, erklärte Justizministerin Ruth Metzler gegenüber der «Davoser Zeitung», für die Gesamtsicherheit des WEF sei allein der Kanton Graubünden zuständig. Private Veranstalter hätten grundsätzlich selber für die Sicherheitsmassnahmen aufzukommen. Daran ändere, dozierte sie, auch die Teilnahme von US-Präsident Clinton nichts. Die Justizministerin stand im Regen, als der Schnee auf der Schatzalp noch nicht geschmolzen war: Denn plötzlich war der Bund doch bereit, sich finanziell zu engagieren. Allerdings ging ein Jahr später das öffentliche Feilschen um die Sicherheitskosten erneut los. Bund und Graubünden zahlen je drei Achtel, Davos und das WEF teilen sich den Rest hälftig. «Es ist lächerlich, über zehn Millionen Franken zu dis-kutieren», ärgert sich Nobelhotelier Ernst Wyrsch, Präsident des Hockey-Clubs Davos.
Völlig desavouiert fühlte sich der dünnhäutige WEF-Präsident vor einem Jahr. Davos verkam zur Alpenfestung, die Krawalle entluden sich exterritorial, in Zürich. Schwab empfand die scharfe Kritik am WEF als «Schlachtfest». Die Linke lief gegen das Forum Sturm; später wünschten 17 sozialdemokratische Abgeordnete in Bern explizit «keine weiteren Aktionen» des WEF mehr in der Schweiz, da es den Aufbau eines «menschenverachtenden Marktes» fördere. Lokale Gewerbler zeterten, weil die Touristen das Kampfgebiet mieden. Im Volk wandte sich die Stimmung gegen das WEF. Der Bundesrat schob die heisse Kartoffel der Bündner Regierung zu. Wie schon bei der Debatte über die Holocaust-Gelder, beim Flughafen-Staatsvertrag mit Deutschland oder beim Swissair-Grounding liess er Leadership vermissen. Auch diesmal ortet FDP-Präsident Gerold Bührer das «Führungsmanko» zu-oberst, im Bundesrat.
Die Regierung in Chur unternahm das, was Behörden hier zu Lande meist tun, wenn es ernsthafte Schwierigkeiten gibt: Sie liess einen Bericht erstellen. Den Job fasste der nationale Troubleshooter Peter Arbenz. Damit war das WEF-Problem erst einmal über Monate zwischengelagert. «Real ist zwischen Februar und Dezember 2001 nichts gelaufen», konstatiert der Bündner SP-Nationalrat Andrea Hämmerle. Im Bündnerland erodierte unterdessen Schwabs Stellung noch mehr. Sein treuester Diener, Polizeidirektor Peter Aliesch, geriet in einen Strudel von Bestechungsvorwürfen und wurde kaltgestellt. Die Regierung mochte im September «nicht mehr um jeden Preis» am WEF festhalten. Hätte wenigstens der Bundesrat in dieser kritischen Phase das Zepter übernommen, wäre das WEF nicht abgezogen worden, beteuert ein Schwab-Vertrauter.
Innerlich hat sich Schwab allerdings schon früher von seiner Wahlheimat distanziert, auch wenn er damit kokettiert, 15 seiner 16 Ururgrossväter seien Schweizer gewesen. Denn das WEF ist wenn nicht global, so doch amerikanisch geworden. In der Genfer Zent-rale haben heute wenig Davos-freundliche Amerikaner das Sagen. Das US-Wirtschaftswunder der Neunzigerjahre hat Schwab tief geprägt. Heute schenkt er finanzkräftigen Anführern der digitalen Revolution wie Bill Gates (Microsoft), Michael Dell (Dell Computer) oder Andrew S. Grove (Intel) Gehör. In den Gründerjahren hatte er sich primär auf deutsche Persönlichkeiten gestützt. Schweizer Topmanager vergiessen traditionell wenig Herzblut für das Forum. «Schwab hatte immer mehr den Eindruck, die Schweizer Unternehmer wollten vom WEF nur profitieren, ohne etwas dafür zu leisten. Zudem gebärdeten sich immer mehr subalterne Manager in Davos, als ob das WEF ihnen gehörte», sagt ein Vertrauter des Gründers. Wenn es um seine Person geht, registriert Schwab kleinste Stimmungschwankungen wie ein Seismograf.
Auch thematisch muss sich Schwab in der Schweiz mit ihrer eigenen Diskussions- und Demokratiekultur eingeengt fühlen. Den New Yorkern hingegen ist ziemlich egal, worüber er am 32. Annual Meeting debattieren lässt. Hier zu Lande masst sich etwa Bundesrätin Metzler an, ihm, dem Marketinggenie mit Flair für internationale Trends, eine «grundsätzliche inhaltliche Neuorientierung» zu empfehlen. Zudem droht Schwab in ein komplexes Korsett gezwängt zu werden, das seine Themenführerschaft empfindlich einschränken könnte: Der WEF-Schauplatz Davos soll laut dem Arbenz-Bericht «gewaltfreie, aber intensiv-kritische Auseinandersetzungen zwischen WEF und WEF-Gegnern» ermöglichen – «unter Akzeptanz gemeinsam ausgehandelter Spielregeln und Sicherheitsvorkehrungen». Schwab fühlt sich ohnehin missverstanden. Er hat den Dialog mit den NGOs von jeher gepflegt. Nur haben sich diese weitgehend entorganisiert. Und Schwab hat es verpasst, den unzähligen neuen, spontihaften Gruppen und Grüppchen eine Plattform zu bieten.
Den Wegzug nach New York musste er deshalb, so der ehemalige Davoser Kurdirektor Bruno Gerber, «wie eine Befreiung aus der Umklammerung» empfinden. Die USA bieten einfache Lösungen, so auch punkto Sicherheit. Bürgermeister Rudolph Giuliani prahlt mit seinem Heer von 42 000 Polizisten. Es herrscht Zero Tolerance: Wer gegen die Gesetze verstösst, wandert ins Gefängnis. In der Schweiz dagegen sind die Dinge komplizierter. Über die Polizeihoheit gebieten 26 Kantone, deren Korps wiederum in vier Konkordaten integ-riert sind. Der Bund stellt bei Sicherheitseinsätzen das Festungswachtkorps sowie militärische Einheiten. Zu allem Überfluss tobt zwischen den Bundeshäusern West und Ost ein Stellungskrieg um Kompetenzen. Ruth Metzler will eine zivile Bundespolizeitruppe aufstellen und benutzt heute ausgerechnet das «private» WEF als Legitimationsvehikel. Gegen die massive polizeiliche Aufrüstung wehrt sich Verteidigungsminister Samuel Schmid, der nicht begreifen mag, «warum es parallele Strukturen braucht». Gleichwohl geht auch er gegenüber der BILANZ in die Offensive: «Wir müssen in der Lage sein, Sicherheit zu produzieren. Das war bisher der Stolz unseres Landes.» Schmid will die heutigen Strukturen so optimieren, dass die Schweiz als Sitz der Welthandelsorganisation WTO künftig sogar «in der Lage ist, innert Tagen oder Wochen die Sicherheit einer allfälligen WTO-Konferenz zu garantieren», die ja mindestens so krawallgefährdet ist wie das WEF.
Schwab-Freunde sind jedoch überzeugt, dass der Faktor Sicherheit nicht die entscheidende Rolle spielt. Der WEF-Vater will hier in der Schweiz jene Zuneigung spüren, die ihm die New Yorker entgegenbringen: Sie rollen ihm den roten Teppich aus und feiern ihn als Wohltäter.
Immerhin gibt es Zeichen der Hoffnung. In Davos hat sich die Stimmung verbessert, der Bündner Grosse Rat sprach sich einstimmig für das WEF aus. Und in der «Südostschweiz» wird eine selbstkritische Debatte über das eigene Image geführt. National hat sich die Swissair-Pleite ins Bewusstsein der Leute gebrannt. Sollte sich auch das WEF definitiv verabschieden, würde der Lack am Erfolgsmodell Schweiz noch mehr blättern. Wirtschaftsmi-nister Pascal Couchepin hat in letzter Minute ein WEF-Massnahmenpaket geschnürt, das Bundespräsident Kaspar Villiger Schwab an der New-Yorker Eröffnungsfeier überreichen wird. «Viel hängt davon ab, wie stark die Message der Schweiz ist», sagt Peter Arbenz. Und Hotelier Ernst Wyrsch doppelt nach: «Wenn sich der Bundesrat für das WEF so einsetzt wie für den Uno-Beitritt, kommt es gut.»
Von verfrühter Siegesstimmung wie bei der Kandidatur Sion 2006 ist diesmal nichts zu spüren. Es geht um mehr. Im Gegensatz zu Olympischen Winterspielen ist das WEF für die Schweiz keine einmalige Veranstaltung.
So weit kam es dann nicht. Dem damaligen Wehrminister Adolf Ogi gelang es, den WEF-Präsidenten zu besänftigen. Die Österreicher allerdings gaben sich so schnell nicht geschlagen. Mit dem Zentral- und Osteuropagipfel hatten sie bereits eine WEF-Veranstaltung nach Salzburg geholt. Ihr höchster Repräsentant, Bundespräsident Thomas Klestil, klebt seit seiner Amtseinsetzung am Mantelsaum von Mister WEF, der gerne den Hauch der Mächtigen spürt. «Sie versuchen mit viel Anstrengung, das WEF wegzukriegen», argwöhnt Armin Egger, Direktor von Davos Tourismus.
Im November 2001, mitten in den Vorbereitungen für das 32. Jahrestreffen, reagierte Schwab wieder spontan, doch diesmal handelte er. Die Verhandlungen mit den Behörden kamen nur schleppend voran, als ihn die Attacken der Schweizer Presse ins Mark trafen: Schwab habe sein WEF-Network missbraucht, um mit Think Tools ein «Börsenwunder» («Weltwoche») zu vollbringen. Als der Highflyer total abstürzte, hatte sich VR-Vize Schwab längst aus dem Staub gemacht.
Am Freitag, dem 12., tagte die Geschäftsleitung des Forums in Genf, und selbst enge Mitarbeiter gingen davon aus, dass das WEF auch 2002, wie in den 31 Jahren zuvor, in der Bündner Bergstadt stattfinden würde. Doch Schwab hatte seine Meinung geändert und sich kurzfristig für New York entschieden, nachdem er erst am 29. Oktober überhaupt auf diese Idee gekommen war. Zu tief sass der Ärger über die Respektlosigkeiten, die er sich in der Schweiz bieten lassen musste.
Die Medien feierten die «beispiellose Verlegung» («Wirtschaftswoche») vom Zauberberg an den Hudson als genialen Akt der Solidarität. Das Weltfinanzzentrum hatte sich nach den Terroranschlägen vom 11. September als Ausweichdestination geradezu anerboten. Nur: Schwabs Kurzschlussreaktion war kein Entscheid für New York, sondern ein Entscheid gegen Davos. Und sie zeigt, wie stark sich der Diplomingenieur und Betriebswirtschaftler von Emotionen leiten lässt.
Seine Liebe zur Schweiz hat sich längst abgekühlt. Der Davoser Ehrenbürger, der einst im Landwassertal geheiratet hat, sieht sein Lebenswerk zu wenig respektiert und fühlt sich im Stich gelassen – besonders vom Bundesrat, dem grössten Profiteur der Politplattform Davos. Denn er hält Hof, wenn die wahren Mächtigen, ob Schröder oder Clinton, der Managerelite die Reverenz erweisen. Als das Land 1997 in der schwersten aussenpolitischen Krise der Nachkriegszeit steckte, fiel der Bundesrat zu fünft im Landwassertal ein, um den ausländischen Staats- und Regierungschefs die Problematik der Holocaust-Gelder zu erläutern. Bei internationalen Treffen im Ausland hingegen stehen Schweizer Regierungsvertreter meist Schlange, um den höchsten Staatslenkern die Hand zu schütteln. «Aussenminister Joseph Deiss hat die strategische Bedeutung des WEF nicht erkannt», kritisiert ein Schweizer Diplomat.
Für den inoffiziellen Weltwirtschaftsgipfel hat die Regierung tatsächlich kaum je einen Finger gekrümmt. Während Jahren wies der Bund die Begehren der Bündner Regierung ab, sich an den wachsenden Kosten für die Sicherheit zu beteiligen. Noch im Januar 2000, als in Seattle kurz zuvor 50 000 De-monstranten die WTO-Konferenz blockiert hatten, erklärte Justizministerin Ruth Metzler gegenüber der «Davoser Zeitung», für die Gesamtsicherheit des WEF sei allein der Kanton Graubünden zuständig. Private Veranstalter hätten grundsätzlich selber für die Sicherheitsmassnahmen aufzukommen. Daran ändere, dozierte sie, auch die Teilnahme von US-Präsident Clinton nichts. Die Justizministerin stand im Regen, als der Schnee auf der Schatzalp noch nicht geschmolzen war: Denn plötzlich war der Bund doch bereit, sich finanziell zu engagieren. Allerdings ging ein Jahr später das öffentliche Feilschen um die Sicherheitskosten erneut los. Bund und Graubünden zahlen je drei Achtel, Davos und das WEF teilen sich den Rest hälftig. «Es ist lächerlich, über zehn Millionen Franken zu dis-kutieren», ärgert sich Nobelhotelier Ernst Wyrsch, Präsident des Hockey-Clubs Davos.
Völlig desavouiert fühlte sich der dünnhäutige WEF-Präsident vor einem Jahr. Davos verkam zur Alpenfestung, die Krawalle entluden sich exterritorial, in Zürich. Schwab empfand die scharfe Kritik am WEF als «Schlachtfest». Die Linke lief gegen das Forum Sturm; später wünschten 17 sozialdemokratische Abgeordnete in Bern explizit «keine weiteren Aktionen» des WEF mehr in der Schweiz, da es den Aufbau eines «menschenverachtenden Marktes» fördere. Lokale Gewerbler zeterten, weil die Touristen das Kampfgebiet mieden. Im Volk wandte sich die Stimmung gegen das WEF. Der Bundesrat schob die heisse Kartoffel der Bündner Regierung zu. Wie schon bei der Debatte über die Holocaust-Gelder, beim Flughafen-Staatsvertrag mit Deutschland oder beim Swissair-Grounding liess er Leadership vermissen. Auch diesmal ortet FDP-Präsident Gerold Bührer das «Führungsmanko» zu-oberst, im Bundesrat.
Die Regierung in Chur unternahm das, was Behörden hier zu Lande meist tun, wenn es ernsthafte Schwierigkeiten gibt: Sie liess einen Bericht erstellen. Den Job fasste der nationale Troubleshooter Peter Arbenz. Damit war das WEF-Problem erst einmal über Monate zwischengelagert. «Real ist zwischen Februar und Dezember 2001 nichts gelaufen», konstatiert der Bündner SP-Nationalrat Andrea Hämmerle. Im Bündnerland erodierte unterdessen Schwabs Stellung noch mehr. Sein treuester Diener, Polizeidirektor Peter Aliesch, geriet in einen Strudel von Bestechungsvorwürfen und wurde kaltgestellt. Die Regierung mochte im September «nicht mehr um jeden Preis» am WEF festhalten. Hätte wenigstens der Bundesrat in dieser kritischen Phase das Zepter übernommen, wäre das WEF nicht abgezogen worden, beteuert ein Schwab-Vertrauter.
Innerlich hat sich Schwab allerdings schon früher von seiner Wahlheimat distanziert, auch wenn er damit kokettiert, 15 seiner 16 Ururgrossväter seien Schweizer gewesen. Denn das WEF ist wenn nicht global, so doch amerikanisch geworden. In der Genfer Zent-rale haben heute wenig Davos-freundliche Amerikaner das Sagen. Das US-Wirtschaftswunder der Neunzigerjahre hat Schwab tief geprägt. Heute schenkt er finanzkräftigen Anführern der digitalen Revolution wie Bill Gates (Microsoft), Michael Dell (Dell Computer) oder Andrew S. Grove (Intel) Gehör. In den Gründerjahren hatte er sich primär auf deutsche Persönlichkeiten gestützt. Schweizer Topmanager vergiessen traditionell wenig Herzblut für das Forum. «Schwab hatte immer mehr den Eindruck, die Schweizer Unternehmer wollten vom WEF nur profitieren, ohne etwas dafür zu leisten. Zudem gebärdeten sich immer mehr subalterne Manager in Davos, als ob das WEF ihnen gehörte», sagt ein Vertrauter des Gründers. Wenn es um seine Person geht, registriert Schwab kleinste Stimmungschwankungen wie ein Seismograf.
Auch thematisch muss sich Schwab in der Schweiz mit ihrer eigenen Diskussions- und Demokratiekultur eingeengt fühlen. Den New Yorkern hingegen ist ziemlich egal, worüber er am 32. Annual Meeting debattieren lässt. Hier zu Lande masst sich etwa Bundesrätin Metzler an, ihm, dem Marketinggenie mit Flair für internationale Trends, eine «grundsätzliche inhaltliche Neuorientierung» zu empfehlen. Zudem droht Schwab in ein komplexes Korsett gezwängt zu werden, das seine Themenführerschaft empfindlich einschränken könnte: Der WEF-Schauplatz Davos soll laut dem Arbenz-Bericht «gewaltfreie, aber intensiv-kritische Auseinandersetzungen zwischen WEF und WEF-Gegnern» ermöglichen – «unter Akzeptanz gemeinsam ausgehandelter Spielregeln und Sicherheitsvorkehrungen». Schwab fühlt sich ohnehin missverstanden. Er hat den Dialog mit den NGOs von jeher gepflegt. Nur haben sich diese weitgehend entorganisiert. Und Schwab hat es verpasst, den unzähligen neuen, spontihaften Gruppen und Grüppchen eine Plattform zu bieten.
Den Wegzug nach New York musste er deshalb, so der ehemalige Davoser Kurdirektor Bruno Gerber, «wie eine Befreiung aus der Umklammerung» empfinden. Die USA bieten einfache Lösungen, so auch punkto Sicherheit. Bürgermeister Rudolph Giuliani prahlt mit seinem Heer von 42 000 Polizisten. Es herrscht Zero Tolerance: Wer gegen die Gesetze verstösst, wandert ins Gefängnis. In der Schweiz dagegen sind die Dinge komplizierter. Über die Polizeihoheit gebieten 26 Kantone, deren Korps wiederum in vier Konkordaten integ-riert sind. Der Bund stellt bei Sicherheitseinsätzen das Festungswachtkorps sowie militärische Einheiten. Zu allem Überfluss tobt zwischen den Bundeshäusern West und Ost ein Stellungskrieg um Kompetenzen. Ruth Metzler will eine zivile Bundespolizeitruppe aufstellen und benutzt heute ausgerechnet das «private» WEF als Legitimationsvehikel. Gegen die massive polizeiliche Aufrüstung wehrt sich Verteidigungsminister Samuel Schmid, der nicht begreifen mag, «warum es parallele Strukturen braucht». Gleichwohl geht auch er gegenüber der BILANZ in die Offensive: «Wir müssen in der Lage sein, Sicherheit zu produzieren. Das war bisher der Stolz unseres Landes.» Schmid will die heutigen Strukturen so optimieren, dass die Schweiz als Sitz der Welthandelsorganisation WTO künftig sogar «in der Lage ist, innert Tagen oder Wochen die Sicherheit einer allfälligen WTO-Konferenz zu garantieren», die ja mindestens so krawallgefährdet ist wie das WEF.
Schwab-Freunde sind jedoch überzeugt, dass der Faktor Sicherheit nicht die entscheidende Rolle spielt. Der WEF-Vater will hier in der Schweiz jene Zuneigung spüren, die ihm die New Yorker entgegenbringen: Sie rollen ihm den roten Teppich aus und feiern ihn als Wohltäter.
Immerhin gibt es Zeichen der Hoffnung. In Davos hat sich die Stimmung verbessert, der Bündner Grosse Rat sprach sich einstimmig für das WEF aus. Und in der «Südostschweiz» wird eine selbstkritische Debatte über das eigene Image geführt. National hat sich die Swissair-Pleite ins Bewusstsein der Leute gebrannt. Sollte sich auch das WEF definitiv verabschieden, würde der Lack am Erfolgsmodell Schweiz noch mehr blättern. Wirtschaftsmi-nister Pascal Couchepin hat in letzter Minute ein WEF-Massnahmenpaket geschnürt, das Bundespräsident Kaspar Villiger Schwab an der New-Yorker Eröffnungsfeier überreichen wird. «Viel hängt davon ab, wie stark die Message der Schweiz ist», sagt Peter Arbenz. Und Hotelier Ernst Wyrsch doppelt nach: «Wenn sich der Bundesrat für das WEF so einsetzt wie für den Uno-Beitritt, kommt es gut.»
Von verfrühter Siegesstimmung wie bei der Kandidatur Sion 2006 ist diesmal nichts zu spüren. Es geht um mehr. Im Gegensatz zu Olympischen Winterspielen ist das WEF für die Schweiz keine einmalige Veranstaltung.
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