Wie gesund sind die Schweizer Unternehmen?
Claudio Feser: Die Schweizer Unternehmen sind in guter Verfassung. Viele Firmen haben in den letzten Jahren intensiv an ihrer operativen Effizienz gearbeitet und haben gute Voraussetzungen, sich im Wettbewerb erfolgreich zu behaupten.
Was stimmt Sie so zuversichtlich?
Feser: Die Fakten. Gemessen am Reingewinn werden die Schweizer Grossunternehmen 2005 vermutlich eines der besten Jahre ihrer Geschichte haben. Die kumulierten Reingewinne der SMI-Firmen werden in diesem Jahr voraussichtlich rund 55 Mrd Fr. betragen, fast so viel wie im Rekordjahr 2000.
Allerdings wird die internationale Konkurrenz im Zuge der Globalisierung doch immer härter.
Feser: Schweizer Firmen haben früh angefangen, sich global auszurichten. Über 90% der Umsätze der grossen Schweizer Unternehmen werden heute im Ausland erzielt. Rund die Hälfte der SMI-Unternehmen hat heute einen CEO, der nicht Schweizer ist. In vielen dieser Gesellschaften wird in der Geschäftsleitung Englisch gesprochen. Verglichen mit Unternehmen in anderen Ländern stehen unsere Firmen im internationalen Wettbewerb gut da.
Und wie stehen die Chancen, dass die Firmen diesen positiven Trend fortsetzen können?
Feser: Das ist in der Tat eine Frage, die sich Verwaltungsräte vermehrt stellen. Die Resultate stimmen, aber sind die Weichen für gute Resultate in der Zukunft richtig gestellt? Für die Verwaltungsräte rückt daher die Strategie des Unternehmens in den Vordergrund sowie die Frage, ob die für die Umsetzung der Strategie notwendigen Fähigkeiten in der Firma vorhanden sind.
Wie können die Unternehmen profitabel wachsen?
Feser: Ich sehe zwei Hebel. Zum einen haben alle grossen Schweizer Unternehmen in den letzten Jahren ihre Gewinne durch Kostensenkungen und operative Verbesserungen massiv gesteigert. Weitere Produktivitätssteigerungen sind möglich. Zum andern rückt das Thema Wachstum vermehrt in den Vordergrund.
Wie kann die Produktivität verbessert werden?
Feser: In den letzten Jahren haben viele Unternehmen mit Ansätzen wie «lean» oder «6-Sigma» ihre Prozesse optimiert, und die Automatisierung hat auch dank dem Internet in vielen Bereichen weiter zugenommen. Zudem beobachten wir einen Trend zum Offshoring, also zur Verlagerung von Aktivitäten im Dienstleistungssektor ins Ausland. Wir stellen vermehrt fest, dass Unternehmen weitere Quantensprünge in der operativen Leistungsfähigkeit erreichen wollen und dazu mehrere der genannten Ansätze zu kombinieren versuchen. In diesem Zusammenhang wird oft von globaler Prozessarchitektur gesprochen, das heisst der Optimierung von Prozessen auf globaler Ebene. Ein Beispiel hierfür ist HSBC. Die Bank hat einen grossen Teil ihres europäischen und amerikanischen Back-Office nach Asien verlagert.
Wo sehen Sie die grössten Wachstumschancen für die Schweizer Firmen?
Feser: Für die Schweizer Unternehmen sehe ich noch grosse Wachstumschancen in Europa aufgrund der Verschmelzung der europäischen Märkte. Wachstumschancen bestehen ebenfalls in den Schwellenländern, insbesondere in Asien und Südosteuropa. Auch durch den Einsatz neuer Technologien können die Firmen wachsen. Dafür gibt es viele gute Beispiele in der Schweiz.
Damit die Unternehmen nicht zuletzt dank neuer Technologie wachsen können, braucht es Innovation: Wie kann die Innovationskraft sichergestellt werden?
Feser: Indem Unternehmen einen systematischen Ansatz zur Innovation entwickeln. Innovation muss als Priorität des Topmanagements festgelegt werden und fixer Bestandteil der Strategie sein. General Electric ist ein gutes Beispiel hierfür. Zudem müssen Unternehmen an den richtigen Technologie- und Innovationsnetzwerken beteiligt sein. Innovativ wird man allerdings nicht über Nacht. Das braucht Zeit.
Innovation wollen alle: Doch welche Chancen hat im globalen Wettbewerb der Denkplatz Schweiz?
Feser: Der Denkplatz Schweiz hat grosse Stärken und hervorragende Chancen. Sonst würde eine IBM nicht in Rüschlikon forschen, und Google hätte nicht ein Forschungszentrum in Zürich aufgebaut. Unsere Hochschulen sind ausgezeichnet. Es gibt eine starke Forschungskultur und eine gute Interaktion mit der Wirtschaft.
Das klingt ja wunderbar: Allerdings haben doch andere Forschungsstandorte insbesondere in Asien inzwischen auch für Schweizer Firmen stark an Attraktivität gewonnen.
Feser: Das stimmt. Schweizer Pharmaunternehmen betreiben vermehrt klinische Forschung in Indien und China, weil es dort einfach ist, Ärzte und Patienten für klinische Forschung zu gewinnen. Auch Lonza baut ihr Forschungszentrum in China aus.
Bedeutet dies nicht, dass nach der Produktion zunehmend auch die Forschung aus der Schweiz abwandert und in Asien ausgebaut wird?
Feser: Die Forschungs- und Entwicklungszentren in Asien ergänzen die entsprechenden Einrichtungen in der Schweiz. Sie ersetzen sie nicht. Ein grosser Teil der Grundlagenforschung wird auch künftig in der Schweiz betrieben unter anderem, weil viele Länder in Asien nur einen ungenügenden Schutz des geistigen Eigentums bieten. Wie man sieht, haben Schweizer Pharmaunternehmen bereits begonnen, ihre Forschungsprozesse global zu optimieren.
Um Innovationen zu schaffen, braucht es die Bereitschaft, etwas zu wagen: Wie steht es um die Risikobereitschaft der Schweizer CEO?
Feser: Die intensive Diskussion um Corporate Governance hat das Risikobewusstsein der Führungskräfte verstärkt. Dennoch habe ich nicht den Eindruck, dass unsere CEO und Verwaltungsräte risikoscheu sind. Die Risiken in den Firmen haben nicht abgenommen, aber sie werden wesentlich besser gemessen und bewirtschaftet als noch vor wenigen Jahren.
Wo müssten die Firmen hierzulande ihre strategischen Hausaufgaben noch besser machen?
Feser: Viele Schweizer Unternehmen haben sich in relativ kurzer Zeit zu globalen Firmen entwickelt. Bei einigen Unternehmen haben die operativen und organisatorischen Prozesse diese Entwicklung aber nicht ganz mitgemacht. Neben den Fragen der globalen Prozessoptimierung rücken vermehrt Fragen zur Führung und zur Personalentwicklung auf globaler Ebene in den Vordergrund.
Ausländische Investoren haben zunehmend Interesse an der Schweiz. Das haben die Übernahmen von Unaxis, Saia Burgess und Leica Geosystems gezeigt. Wie wirkt sich das auf die Schweizer Unternehmen aus?
Feser: In einem Umfeld guter Unternehmensgewinne, hoher Liquidität und tiefer Zinsen sind Übernahmen ein attraktiver Weg, um zu wachsen. Wenn die Schweizer Firmen selbstständig bleiben wollen, müssen sie den Aktienkurs steigern. Das ist der einzig wirksame Schutz.
Und wie sollen sie dies tun?
Feser: Indem sie ihre Wachstums- und Effizienzpotenziale weiter ausschöpfen. Der Druck durch die Investoren ist hoch, und wir werden deshalb in der Schweiz noch weitere Übernahmeversuche durch ausländische Investoren erleben. Der Markt hat in den letzten zwei Jahren unglaublich schnell gedreht und sich stark auf Wachstum und Akquisitionen ausgerichtet. Vor allem kleinere und mittelgrosse Firmen wurden von dieser Entwicklung überrascht.
Viele Unternehmer klagen über die regulatorischen Rahmenbedingungen in der Schweiz: Was ist Ihre Meinung?
Feser: Die Schweiz zählt zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt. Das zeigen sowohl der Competitiveness Report des IMD als auch die Studie des World Economic Forum über die Wettbewerbsfähigkeit der Nationen sowie der Bericht der Weltbank. Unser Land ist politisch stabil, die Infrastruktur ist gut, die Zinsen sind tief, und im internationalen Vergleich sind die Steuern moderat. Überdies ist der Zugang zu international erfahrenen, mehrsprachigen und gut ausgebildeten Arbeitnehmern sehr gut. Es ist kein Zufall, dass über die Hälfte der Unternehmungen, die ihren Hauptsitz innerhalb oder nach Europa verschieben, die Schweiz als Standort wählen.
Doch während andere Länder die Steuern gesenkt haben, sind bei uns die Steuern erhöht worden: Das bedeutet doch, dass unsere Vorteile geringer werden.
Feser: Wir sind in einem globalen Standortwettbewerb, und unsere Wettbewerber verbessern sich. 2004 haben sechs Länder in Europa Reformen in ihrem Steuersystem durchgeführt. Vier Österreich, Dänemark, Finnland und die Niederlande haben die Besteuerung von Unternehmen zum Teil massiv gesenkt. Noch weiter gegangen sind einige osteuropäische Staaten, die eine Flat Rate für Firmen eingeführt haben. Wir müssen zu unseren Standortvorteilen Sorge tragen.
Sie haben während sechs Jahren in Griechenland gelebt und die McKinsey-Tochter in Athen aufgebaut: Wie haben Sie die Schweiz wahrgenommen, als Sie zurückgekehrt sind?
Feser: Weil ich die Realitäten in anderen Ländern erlebt habe, bin ich optimistisch für die Schweiz. Wir sind in einer starken Ausgangsposition, die es aber zu nutzen gilt.
In der Schweiz wird viel geklagt: Sehen wir unsere Ausgangslage im internationalen Kontext zu schwarz?
Feser: Ja. Wer wie ich längere Zeit im Ausland gewesen ist, sieht die gewaltige Entwicklung, welche die Schweiz durchgemacht hat, und wie sich Schweizer Unternehmen globalisiert haben. Schweizer Firmen geniessen weltweit ein hohes Ansehen. Das ist etwas, was man hier zu wenig mitbekommt.
Die Rolle von Führungskräften in der Gesellschaft wird in der Öffentlichkeit kontrovers geführt: Welche Rolle müssten CEO und Verwaltungsräte einnehmen?
Feser: Es gibt eine Wechselwirkung zwischen Unternehmen und der Öffentlichkeit. Die Ansicht, Geschäft ist Geschäft, ist antiquiert. Nötig ist ein laufender Abgleich zwischen Unternehmensinteressen und den Interessen der Öffentlichkeit. Soziale und gesellschaftliche Aspekte müssen vermehrt Bestandteil der Unternehmensstrategie sein und im Unternehmen und ausserhalb debattiert werden.
13 Jahre Berufserfahrung in der Unternehmensberatung: Steckbrief
Name: Claudio Feser
Funktion: Senior-Partner, Leitung McKinsey Schweiz
Geboren: 9. Juli 1963
Familie: Verheiratet, zwei Kinder
Wohnort: Erlenbach
Ausbildung: Studium BWL und VWL, Universität Bern, MBA INSEAD, Fontainebleau
Karriere
1987-1990 Leiter Corporate Finance Team, Shell Schweiz
1992-1998 Berater und Projektleiter McKinsey Schweiz
1998 Wahl zum Partner, McKinsey Schweiz
1999-2004 Aufbau und Leitung von McKinsey Griechenland
2004 Wahl zum Director (Senior-Partner), McKinsey Griechenland
Seit Januar 2005 Leitung McKinsey Schweiz
Die Firma
Die weltweit tätige Beratungsgesellschaft McKinsey & Company wurde 1926 in Chicago durch James O. McKinsey gegründet. Sie beschäftigt in 83 Büros in 45 Ländern 5700 Beraterinnen und Berater. In der Schweiz arbeiten 290 Mitarbeiter für McKinsey, davon rund 185 Berater. 46% der Berater sind Wirtschaftswissenschaftler, 25% Ingenieure, 15% Natur- und Geisteswissenschaftler. Die übrigen sind Informatiker, Juristen, Mediziner oder haben einen anderen akademischen Abschluss. McKinsey wendet rund 10% der Einnahmen für die Ausbildung auf. In der Schweiz zählt McKinsey über 600 Alumni. Viele von ihnen sind heute im Topmanagement von internationalen Konzernen tätig, beispielsweise Fred Kindle, CEO von ABB, und Peter Wuffli, CEO der UBS. (spi)