Es war ein harter Schlag für Freiburg, als Feldschlösschen vor zweieinhalb Jahren die traditionsreiche Cardinal-Brauerei schloss. Doch während die einen noch die Geschichte mit einem Theaterstück aufarbeiten, sehen andere Chancen. Vor zwei Jahren kauften Stadt und Kanton das 53 000 Quadratmeter grosse Gelände. Der Freiburger Staatsrat Beat Vonlanthen erklärte: «Die Möglichkeit, ein Innovationsquartier im Zentrum des Kantons zu schaffen, ist absolut fantastisch.»
Bei der Verwirklichung der grossen Vision beginnt man klein. Noch ist der ganz grosse Wurf erst in Planung, aber schon heute arbeiten wieder 70 Personen auf dem Areal. Zum Beispiel beim Start-up Bcomp. Das Jungunternehmen befindet sich an einem passenden Ort, denn wie Freiburg hat auch Bcomp viel vor und beginnt dennoch klein.
Die Basis bildet eine einzigartige Technologie. Bcomp entwickelt Hightech-Werkstoffe auf der Basis von Flachs. Der Flachs wird gesponnen, verwoben und mit einem Harz umhüllt. Das Resultat verblüfft: «Unser Material ist so leicht wie Karbon, besitzt aber eine bessere Dämpfung und besteht zudem im Kern aus nachwachsenden Rohstoffen», erklärt Bcomp-Co-CEO Cyrille Boinay.
Auto aus Flachs. Obwohl Bcomp erst 2011 gegründet wurde, sind bereits mehrere Produkte mit dem umweltfreundlichen Hochleistungsmaterial auf dem Markt. Zuerst entdeckten kleine Ski- und Snowboardmarken den Werkstoff. Unterdessen hat mit Stöckli auch eine grössere Marke Ski mit dem leichten und gut dämpfenden Flachskern auf den Markt gebracht. Gleichzeitig gleiste das Bcomp-Team Projekte in anderen Branchen auf. Am World Future Energy Summit in Abu Dhabi stand etwa der Prototyp eines Elektroautos, dessen Karosserie im Kern aus Flachs besteht.
Die vielen Projekte zu managen, ohne den Fokus zu verlieren, ist für das siebenköpfige Team nicht einfach. Aber Boinay ist überzeugt, dass ihre Strategie die richtige ist. «Wir brauchen den Druck des Marktes, um uns in die richtige Richtung zu entwickeln. Mehr Geld von Investoren würde uns nicht helfen.»
Boinays illusionslose Orientierung an den Realitäten des Marktes passt zur gegenwärtigen Situation der Cleantech-Branche. «Nach der Euphorie der letzten Jahre ist momentan Ernüchterung eingekehrt», sagt Philipp Hasler von der Risikokapitalgesellschaft Emerald Technology Ventures. Die international renommierte Gesellschaft gehört zu den Pionieren bei Investments in Cleantech-Start-ups.
Zu den Gründen für die Ernüchterung sagt Hasler ganz offen, dass beim Aufbau der Firmen, der Entwicklung neuer Technologien und der Finanzierung von Jungunternehmen vieles falsch gemacht wurde. «Die hohen Erwartungen konnten oft nicht erfüllt werden, weil sich die Umsetzung von Erfindungen in markttaugliche Produkte als langwieriger und kapitalintensiver herausstellte als ursprünglich gedacht.» Deshalb sind Investoren heute deutlich zurückhaltender.
Gleichzeitig verschlechterten sich die politischen Rahmenbedingungen. Dies erlebte Renat Heuberger hautnah. 2006 gründete er mit einigen Kollegen die Firma South Pole. Das Start-up entwickelt Projekte zur Reduktion von CO2-Emissionen, etwa Wind- und Solarprojekte. Der Markt war bei der Gründung im Aufschwung, denn das Kyoto-Protokoll verpflichtete Staaten und Schwerindustrie-Unternehmen dazu, ihren CO2-Ausstoss mit dem Kauf von Zertifikaten teilweise zu kompensieren.
Unterdessen ist das Kyoto-Protokoll ausgelaufen. Und es gab ein Überangebot an CO2-Zertifikaten. «Der Markt mit Akteuren, die zum Kauf von Zertifikaten verpflichtet sind, ist praktisch zusammengebrochen», erklärt Heuberger.
Freiwilligkeit. Heubergers South Pole geht es dennoch gut. Das sieben Jahre alte Unternehmen beschäftigt hundert Mitarbeitende. Des Rätsels Lösung liegt im Wachstum der freiwilligen CO2-Kompensationen. Immer mehr Privatpersonen kaufen Zertifikate, wenn sie zum Beispiel eine Flugreise unternehmen, und immer mehr Firmen setzen sich freiwillig Klimaziele oder bieten CO2-neutrale Produkte an. In diesem Markt ist das Start-up aus Zürich Weltmarktführer.
Die freiwilligen Käufer von CO2-Zertifikaten haben hohe Ansprüche. «Die Projekte, aus denen das Zertifikat stammt, sollen nicht nur CO2 einsparen, sondern auch einen Zusatznutzen generieren, indem sie zum Beispiel Arbeitsplätze schaffen», erklärt Heuberger.
Genau diese Nachfrage kann South Pole abdecken, weil das Unternehmen die Projekte nicht nur sorgfältig selektiert, sondern sie dank eigenen Mitarbeitern in Niederlassungen rund um den Globus sehr gut kennt.
Solche Geschichten zeigen, dass Start-ups mit den richtigen Geschäftsmodellen Erfolg haben können. Dies wird trotz widrigen Umständen auch so bleiben: «Die grundlegenden Treiber wie Klimaveränderung, Ressourcenverknappung und Urbanisierung bestehen weiterhin», sagt Philipp Hasler von Emerald Technology Ventures.
Dies ist nicht nur Pionieren bewusst, sondern auch grossen Unternehmen. Davon profitiert wiederum Emerald Technology Ventures. Die Gesellschaft ist derzeit auf der Suche nach einem Investor für einen neuen Risikokapitalfonds, der in vielversprechende Jungunternehmen investieren wird. Einige grosse Geldgeber haben schon zugesagt – in erster Linie multinationale Konzerne. Dazu gehören ABB, Clariant und Sulzer, aber auch europäische Konzerne wie Evonik.
Die Grossen geben Start-ups direkt eine Chance. So haben Google Schweiz und Roche erfolgreich ein System der Jungfirma Visionarity getestet. Das 2012 gegründete Unternehmen aus Basel entwickelt ein Gesamtsystem aus Messtechnik und sozialer Plattform, welches Mitarbeiter von Grossunternehmen zum Energiesparen animieren soll. Das System ermittelt, wie viel Strom einzelne Angestellte für Computer oder Kaffee brauchen. Über die Plattform können sie sich dann spielerisch aneinander messen.
«Konzerne, die in den Dow Jones Sustainability Index wollen, sind verpflichtet, ihre Arbeitskräfte zum Stromsparen zu motivieren», erklärt Visionarity-Gründer Daniel Bermejo. Er rechnet sich deswegen gute Chancen am Markt aus, ganz unabhängig von der Entwicklung der politischen Rahmenbedingungen.
Für Bermejo sprechen Ergebnisse der Tests bei Grossfirmen: «Wir konnten nicht nur zeigen, dass wir in der Lage sind, den Energieverbrauch pro Mitarbeiter zu messen. Wir konnten den Energieverbrauch der Angestellten auch um 50 Prozent senken», erklärt der CEO. Deswegen und weil sein Unternehmen bereits zahlende Kunden finden konnte, blickt er optimistisch in die Zukunft. Trotz schwierigerer Rahmenbedingungen sind den Gründern bei allem Realismus weder der unternehmerische Drive noch die Visionen abhandengekommen.
Geld fliesst. Selbst finanzielle Unterstützung können sich die Schweizer Jungunternehmer sichern, wenn auch in kleinen Portionen und aus verschiedenen Quellen. Das Zürcher ETH-Spin-off GreenTEG etwa konnte Investoren wie die Zürcher Kantonalbank überzeugen und erhielt finanzielle Unterstützung von der Gebert-Rüf-Stiftung oder der Axpo. Zudem sorgt das Team bereits für Umsätze. Das erste Produkt wurde offiziell am 1. Januar 2013 lanciert. «Noch in der ersten Januarwoche konnten wir Bestellungen ausliefern und Rechnungen schreiben», freut sich Mitgründer Peter Stein.
Beim ersten Produkt des Start-ups handelt es sich um einen Wärmefluss-Sensor, der sich auf spezifische Kundenanforderungen anpassen lässt. Der Sensor misst präzise und schnell. Zum Einsatz gelangt er etwa bei der Strahlungsmessung von Wärmequellen oder der Messung von Wärmeverlusten in Gebäuden.
Der Sensor ist aber nur der Anfang. «Der Umsatz aus dem Sensorikgeschäft erlaubt es uns, die Entwicklungskosten unseres nächsten Produkts selbst zu bestreiten», erklärt Stein. Das elfköpfige GreenTEG-Team entwickelt sogenannte thermoelektrische Generatoren, die Temperaturdifferenzen direkt in Strom umwandeln. Ähnlich wie bei bestimmten Solarzellen handelt es sich bei den Generatoren von GreenTEG nicht um grosse Maschinen, sondern um Folien. 2014 will das Start-up die ersten Exemplare auf den Markt bringen.
Um Strom zu erzeugen, müssen die Folien bestimmte Strukturen aufweisen. Das GreenTEG-Team hat einen Weg gefunden, diese Strukturierung kostengünstig herzustellen. Das Anwendungsfeld ist enorm breit – Abwärme gibt es überall. Sogar Körperwärme ist nutzbar, um Uhren oder kleine elektronische Geräte mit Strom zu versorgen. Kein Wunder, konnte GreenTEG mehrere Preise einheimsen. Zuletzt wurde das Start-up bei einem europäischen Wettbewerb sogar zum besten Cleantech-Jungunternehmen des Kontinents gewählt.