Durchaus, man nimmt ihm den Musiker ab. Ihm, der mit hellem Hemd und breiter Krawatte im Nadelstreifenanzug steckt, auf der Nase eine feingewirkte Brille, vor sich eine grosse Tasse Tee. Ihn, den Musiker, wie er im Orchestergraben sitzt und zuverlässig die Saiten zupft. Abend für Abend. Bumm. Bumm. Bumm. Immer wieder. Immer wieder «Carmen». «40-mal habe ich die Oper bestimmt gespielt, war gerade 23, da fragt man sich unweigerlich: Himmel, soll das jetzt bis 60 so weitergehen?» Und so sattelte er um. Von der Kunst auf die Konsultation. Vom Musiker hin zum Berater.
Verschwiegenheit als oberstes Gebot
Fahles Licht fällt durch die hohen Fenster ins ebenerdig gelegene Sitzungszimmer. Zürichberg. Schweres Holz, viel Leder, dunkles Interieur. Clemens Hoegl, 40, Dr. rer. pol., Lehrerssohn und ehemaliger Kopf der lokal umschwärmten Rockgruppe «Pelegue», Hoegl, ein Bayer in Zürich, seit sieben Jahren als Consultant in Diensten des Executive-Search-Unternehmensberaters Egon Zehnder International, hat nunmehr den Zusatzjob «Managing Partner Switzerland». Sein Spezialgebiet ist das europäische Bankenwesen. Hoegl weiss, welcher Klient gerade welchen Posten zu besetzen hat. Und er hat meist auch den passenden Kandidaten zur Hand.
Wer nun aber denkt, der Mann, dem die Haare einst bis zur Schulter fielen, der das Ohr in jungen Jahren mit Schmuck bestückte, würde alsogleich auftrumpfen mit Namen und Details, der irrt. Denn mit die wichtigste Tugend eines Jobvermittlers seines Kalibers ist die Verschwiegenheit. Aus gutem Grunde. «Wir bauen auf langjährige Geschäftsbeziehungen, sind bekannt für Seriosität und Diskretion. Was meinen Sie, wie schnell da der eigene Ruf ramponiert ist, wenn man ins Plaudern gerät?» Sieben Jahre sei er nun bei Egon Zehnder International tätig, 33 Jahre habe es das Unternehmen schon vor seiner Zeit gegeben. Da hege er, der neue Chef, nun wirklich nicht die Absicht, die herausragende Stellung von «EZI» innert einiger weniger Monate zu schwächen. Nun denn, zurück zum Werdegang. Vom Orchesterbassisten zum er hört es alles andere als gerne «Kopfjäger».
«Carmen», die Oper, sei diesbezüglich das eine Schlüsselerlebnis gewesen; die Aussicht, es wohl trotz ausgewiesenem Talent (er war Mitglied des Weltjugendorchesters) nie zum Aushängeschild der internationalen Kontrabassisten-Gilde zu bringen, das andere. «Natürlich schmerzt es, wenn man merkt, dass eine Spitzenkarriere nicht in Frage kommt. Aber ich bin heute davon überzeugt, damals genau den richtigen Entscheid getroffen zu haben.» Und der liess ihn Abschied nehmen vom Hessischen Staatstheater und ein BWL-Studium in Angriff nehmen. Anschliessend machte er als Assistent an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main seinen Doktor. Titel der Arbeit: «Ökonomie der Oper».
Wirtschaft und Kultur ein Steckenpferd, das er in Zukunft immer wieder reiten sollte. So ging er bereits Anfang der 90er Jahre parallel zu seiner Musikertätigkeit und seinem Job als Opernkritiker auch kulturellen Institutionen wie der Oper Frankfurt oder dem Volkstheater Rostock beratend zur Hand. Hoegl muss schmunzeln, denkt er an das Zusammenspiel von interner Vorgabe und externem Ratschlag. «Ach, die Kultur, sie ist weitgehend beratungsresistent!» Ein Fakt, den zu ändern zwar ein hartes Stück Arbeit, nicht aber unmöglich sei. Gleich wie in der Privatwirtschaft gelte es auch hier, Geld einzusparen. «Und gleich wie in einem Unternehmen darf auch hier der eigentliche Auftrag, der künstlerische in diesem Falle, nicht unter den Sparmassnahmen leiden», bemerkt Hoegl, der das Zürcher Opernhaus diesbezüglich mit lobenden Worten bedenkt. «Es ist für mich das bestgemanagte Haus seiner Art in Europa.»
Von der Muse in die Finanzwelt
Definitiv auf den Acker der Unternehmensberatung geraten ist der in Rosenheim aufgewachsene Oberbayer, der es tunlichst vermeidet, in Schwiizertüütsch zu parlieren weil er doch zur Genüge erlebt habe, wie Norddeutsche sich in Bayrisch versuchten («Was einfach albern klingt, gleich eben, wie wenn ein Deutscher Schweizerdeutsch reden will»). 1995 kam er zu McKinsey als Berater und wurde dem Bankensektor zugeteilt. Aus dem Schosse der Muse direkt ins Becken der Finanzwelt ein krasser Bruch? Clemens Hoegl sieht es anders: «In der Regel verfügen Musiker über eine ausgeprägte quantitative Fähigkeit; wer mit Noten umgehen kann, kommt meist auch gut mit Zahlen klar. Es gibt genügend Beispiele von Bankdirektoren und Finanzleuten, die einen starken Bezug zur Musik haben.»
Der Multiinstrumentalist, der sich zu Hause in Uerikon ein Heimstudio eingerichtet hat, denkt denn auch gerne zurück an seine Zeit bei McKinsey. «Eine harte Schule war das, hart, aber lehrreich. Da wird man einfach ins kalte Wasser geworfen und muss erst schauen, dass man nicht untergeht.» Beim Stichwort «Imageproblem» winkt Hoegl ab. Wie in anderen Berufszweigen auch gebe es bei den Beratern «solche» und «solche». Natürlich habe er in seiner Beraterlaufbahn durchaus Leute erlebt, die abgehoben seien. «Das ist eben Charaktersache.»
Für ihn sei dies indes zu keiner Zeit ein Problem gewesen, dank der Musik, dank dem Sport und vor allem dank einer stabilen Partnerschaft. «Man braucht manchmal jemanden, der einen wieder herunterholt, der dafür sorgt, dass man sich selber nicht immer allzu ernst nimmt.» Im Fall von Hoegl ist dies seine Frau, eine französische Journalistin, mit der er seit 20 Jahren zusammenlebt und mittlerweile zwei Kinder hat.
Gutes Zeugnis für Schweizer Manager
Zu einem Unternehmen wie Egon Zehnder International geht man nicht. Man wird geholt. So verhielt es sich vor sieben Jahren auch in seinem Fall. Heute steht der 40-Jährige an der Spitze des Management-Konsulenten in der Schweiz, hat demzufolge neben seiner Beratertätigkeit auch noch Führungsaufgaben zu übernehmen.
Einen Tag in seinem Leben umschreibt Hoegl so: «So etwas wie normale Arbeitstage gibt es nicht, jeder unterscheidet sich vom anderen. In der Regel aber treffe ich mich mit einem Klienten, telefoniere mit zwei, drei weiteren und führe mit Kandidaten Interviews. Dazu kommen dann noch die Internas, die es zu regeln gilt.»
Den Managern hierzulande stellt Hoegl ein gutes Zeugnis aus. «Führungskräfte aus der Schweiz verfügen über eine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstreflexion, sie sind offen, international ausgerichtet und kompromissbereit.» Die Wirtschaftslage, davon ist er überzeugt, hat sich in den letzten Jahren verändert und erfreulicherweise auch erholt. Was selbstredend neue Anforderungen an die Führungsriege stellt. «Noch vor drei Jahren ging es vor allem darum, täglich Krisenmanagement zu betreiben. Heute gilt das Augenmerk primär dem Wachstum. Und wachsen kann nur, wer im Verdrängungswettbewerb obenaus schwingt.»
Dass, wer weiss, wie es eigentlich geht, irgendwann selber mal auf einem Chefsessel der Privatwirtschaft landet, versteht sich von selbst. Beispiele dafür gibt es zuhauf, auch aus dem Hause Egon Zehnder. Clemens Hoegl schüttelt den Kopf «man sollte sich als Berater nicht auf eine Stufe stellen wollen mit einem Manager. Da gibt es schon noch Unterschiede.» Er, der einst versiert in die Saiten griff und heute mit seiner Beratungstätigkeit in die Lebensläufe von Managern eingreift, winkt denn auch ab: «Im Moment bin ich sehr happy in meinem Job.»
Evaluation, Beurteilung, Beratung: Steckbrief
Name: Clemens Hoegl
Funktion: Managing Partner Switzerland Egon Zehnder International
Alter: 40
Wohnort: Uerikon ZH
Familie: Verheiratet, zwei Kinder
Karriere
1986-1990 Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Kontrabassist
1991-1992 Goethe-Universität Frankfurt, Assistenzprofessur
1993-1995 Kulturberater
1995-1998 McKinsey&Company
1999-2004 Egon Zehnder Intern.
Seit 2005 Managing Partner
Firma
Egon Zehnder International ist eine der weltweit führenden Firmen für Executive Search. Das Unternehmen wurde vor 40 Jahren vom Schweizer Harvard-Absolventen Egon Zehnder gegründet, der heute noch im Verwaltungsrat sitzt. Der Headhunter ist spezialisiert auf die Suche und Evaluation von Führungskräften (rund 75% des Portefeuilles), die Beurteilung von Führungsgremien (15%) und die Beratung von Verwaltungsräten (10%). Egon Zehnder International ist weltweit an 60 Orten vertreten und hat gegen 1000 Beschäftigte. Das Honorarvolumen betrug 2004 340 Mio Dollar.