Ernst Schneider ist Concierge und daher schon von Berufs wegen ein Mann von ausgesuchter Höflichkeit. Seit 17 Jahren steht er im Zürcher Hotel Savoy Baur en Ville am Desk in der Eingangshalle und ist sich nicht zu schade, selbst trivialste Gästewünsche beflissen zu erfüllen. Kürzlich brachte ihm der Portier auf Geheiss eines Gastes eilends zwei Krawatten die Treppe hinunter, Ernst Schneider möge doch bitte in jede Halsbinde einen Knopf schlingen. Es gibt also Gäste, die können 720 Franken für ein Doppelzimmer bezahlen, sind aber nicht in der Lage, eine Krawatte zu binden.

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Wenn Schneider bei Dienstantritt am Morgen kurz vor sieben Uhr in der Garderobe das weisse Hemd anzieht und den Cut überstreift, stellt er seine eigene Person zurück und ist nur noch für die Gäste da. Zum Berufsverständnis eines Concierge gehört, auch unmögliche Wünsche zu erfüllen. Und weil Schneider Chefconcierge ist mit insgesamt 31 Dienstjahren, verbittet er sich nachgerade ein Nein in Gegenwart eines Gastes. «Die Gäste sind sehr anspruchsvoll hier. Das ist der Reiz des ‹Savoy›», sagt er. In dieser feinen, der Credit Suisse Group gehörenden Herberge am Zürcher Paradeplatz, in der die Spitzen aus der Finanzwelt ein und aus gehen, darf er mehr leisten als Schlüssel reichen, Briefmarken verkaufen oder Nachrichten übermitteln. Wenn er von dem kniffligen Rechercheauftrag erzählt, mit dem ihn ein persischer Gast einmal bedachte, blitzen seine Augen. Der Mann brauchte ein Ersatzteil für sein Winchester-Gewehr. Per Telefon und übers Internet suchte Schneider das Teilchen in aller Welt, fand es schliesslich in Prag und liess es sich nach Zürich schicken. Als er es dem Gast überreichen konnte, spürte er eine besondere Genugtuung.

Nicht immer freilich ist der Alltag des Concierge so aufregend. Der grösste Teil der Arbeit besteht darin, Flüge umzubuchen, Ausflüge zusammenzustellen, Blumenbouquets zu ordern, Taxis und Limousinen zu organisieren, Tische zu reservieren oder Shoppingtipps zu geben. Oftmals spaziert Schneider nach Feierabend durch die Stadt und prägt sich das Sortiment der Läden ein. Will eine Dame Jil Sander kaufen, weist er ihr dann den richtigen Weg vom Paradeplatz Richtung Storchen.

Das wichtigste Kapital des Concierge ist sein Adressbuch. Schneider hat in den über dreissig Jahren, in denen er in Zürich arbeitet – zuerst im «Swissôtel» in Oerlikon, dann im «Savoy» –, ein Netz von wichtigen Kontakten geknüpft. In begehrten, aber häufig ausverkauften Restaurants Zürichs und der Region – der «Kronenhalle», dem «Sonnenberg» oder in «Petermann’s Kunststuben» – bekommt Schneider nicht immer einen Tisch, aber fast immer. Häufig wird er von den Wirten telefonisch orientiert, wenn ein reservierter Tisch leer bleibt. Verlangt ein Gast eine Reservation, fragt Schneider immer nach den kulinarischen Präferenzen, nie aber würde er sich nach dem pekuniären Plafond erkundigen. Das wäre ein unbotmässiger Eingriff in die Privatsphäre. Bei der Frage, wie viel der Gast für ein Abendessen ausgeben will, lässt er sich einzig und allein von seiner Menschenkenntnis leiten, nicht von Statussymbolen wie einem Louis-Vuitton-Koffer oder einer Rolex. Der Habitus der Gäste gebe ihm, beteuert Schneider, Einblick genug in deren finanzielle Verhältnisse.

In aller Welt bringen es Concierges der nobelsten Hotels auf wundersame Weise zu Stande, Karten für längst ausverkaufte Vorstellungen in Opernhäusern, Theatern und Konzertsälen zu beschaffen. Werden Abonnentenkarten zurückgegeben, gelangen sie zuerst in die Kanäle der Fünfsternehotellerie. Ist auch da nichts zu machen, schaffen es die Eilfertigsten der Gilde sogar, den Künstlern persönlich die eine oder andere Karte aus deren Kontingent abzuluchsen. Immer häufiger kommt es vor, dass Schneider seinen viel reisenden Gästen Karten für die New-Yorker Met, die Münchner Oper oder das Wiener Burgtheater besorgen muss. Einmal bestellte ein Gast bei ihm kurzfristig zwei Plätze für das Neujahrskonzert in Wien, und zwar in den Reihen, die auch im Fernsehen übertragen werden und darum dreimal teurer sind als die anderen. «Es war schwierig», schmunzelt Schneider, «aber ich bekam die Karten.»

Ein Glück für die verwöhnte Klientel, dass die Concierges der Luxushotellerie international fast lückenlos vernetzt sind. Les Clefs d’Or, die goldenen Schlüssel, heisst die Vereinigung, die 1929 unter anderem vom Schweizer Ferdinand Gillet in Paris gegründet wurde. Hier zu Lande gehören 140 Concierges von Vier- und Fünfsternehotels zum Netzwerk, weltweit zählt es 4000 Mitglieder aus 35 Ländern. Ihr besonderes Merkmal ist das Abzeichen mit den übers Kreuz gelegten goldenen Schlüsseln, das sie am Revers tragen. Um das Logo vor den vielen Imitationen zu schützen, wurde es unlängst erneuert, patentiert und mit dem Schriftzug «Clefs d’Or» als Gütezeichen versehen. Der Kontaktkreis zwischen den Concierges ist nicht nur ein wichtiges Hilfsmittel am Arbeitsplatz, sondern auch Werbung für den Beruf (siehe Artikel zum Thema « Les Clefs d’Or, Weltbund der Concierges: Schweizer prägten das Berufsbild»).

Einer, der in dem Zirkel grösste Verehrung geniesst, heisst Albert Ostertag. Er war von 1965 bis 1999 Chefconcierge des «Baur au Lac», zudem während vieler Jahre Präsident der internationalen und der schweizerischen Clefs d’Or. Ostertag, der vor fünf Jahren pensioniert wurde, galt als einer der besten Concierges in einem der besten Stadthotels der Welt. Es heisst, dass sein herausragender Service mit schönen Trinkgeldern honoriert worden ist. Früher war der Grundlohn eines Concierge nicht besonders hoch, aber zusammen mit den Nebenverdiensten ergab sich ein Gehalt, das sogar Vorgesetzte neidisch machte. Das war im vergangenen Jahrhundert, als die Reisenden noch Bargeld auf sich trugen. Seit sie mit Kreditkarte bezahlen, sind die Trinkgelder weniger geworden, zudem ist heute in allen Hotels der Service inbegriffen.

Sichtlich stolz schlägt Ostertag seine Autogrammbücher auf, in denen sich Berühmtheiten der vergangenen vier Jahrzehnte verewigt haben. Von Indira Gandhi über Errol Garner, George Soros bis Catherine Deneuve, alle haben sie «Monsieur Albert», wie er genannt wurde, ein paar Worte der Anerkennung hinterlassen; Karl Lagerfeld, Joan Miró oder Niki de Saint Phalle widmeten ihm sogar Zeichnungen. Mit Marc Chagall verstand sich Ostertag so gut, dass ihn dieser als Privatsekretär engagieren wollte. Als John Lennon im «Baur au Lac» nächtigte, zeigte Ostertag den weiblichen Fans geduldig den Boden, über den der Star geschritten war. Der ehemalige US-Präsident George Bush senior überreichte dem Chefconcierge vor der Abreise einen 100-Dollar-Cheque mit dem Auftrag, eine Rechnung beim Masseur zu begleichen. Ostertag zahlte den Betrag selber und klebte stattdessen die Note ins Autogrammbuch.

Der 72-Jährige, der schon vom Hotelleben fasziniert war, als er im Elterhaus in Sierre aufwuchs, verfügt über eine Eigenschaft, ohne die kein Concierge auskommt: Er ist ein Menschenfreund. «Es gibt keine guten oder schlechten Gäste. Jeder Gast erhält den besten Service, unabhängig von seiner Herkunft oder seinem Charakter», lautet seine Philosophie. Während der Gast Freuden und Sorgen mit dem Concierge teilt, muss dieser sein eigenes Befinden komplett zurückstellen. «Sobald ich die Uniform angezogen hatte, war ich wie ein Schauspieler in meiner Rolle», sagt Ostertag.

Tadelloser Service braucht eine gewissenhafte Vorbereitung. Um ein guter Gesprächspartner zu sein, habe er sich jeden Morgen nicht nur über Wetterprognosen, Theaterprogramm und Menüs in den Restaurants orientiert, sondern auch über das Weltgeschehen. Kaum betrat ein Gast die Hotellobby, nahm er mit ihm Augenkontakt auf. Zudem baute er ein Netz von erstklassigen Dienstleistern wie Ärzten, Coiffeuren, Schneidern, Pédicuren oder Masseuren auf. Tänzer Rudolf Nurejew war so begeistert von Ostertags Masseur, dass er ihn auch einfliegen liess, wenn er in anderen Städten auftrat.

Mit den Jahren gewann Ostertag einen besseren Einblick in den Seelenzustand seiner Gäste als jeder Psychiater. Für die Ehefrau eines wohlhabenden, aber geizigen Geschäftsmannes musste er jeweils die Schuhe, die sie an der Bahnhofstrasse gekauft hatte, zur Schwester nach New York schicken, damit ihr Mann nichts von ihrer Shoppingtour mitbekam. Einmal hat sich ein Ehepaar, sie und er alkoholisiert, im Zimmer handfest gestritten; Ostertag musste schlichten. Sanft lenkte er die angeschlagene Frau in ein separates Zimmer, wo sie in Ruhe ausschlafen konnte. Ein bekannter österreichischer Unternehmer verlangte immer dasselbe Zimmer, um immer dasselbe Zimmermädchen zu haben, welches das Bett immer nach seinen gleichen Wünschen bettete. Ostertag stand auch hier zu Diensten.

Einmal logierte eine junge Amerikanerin zusammen mit ihrer gebrechlichen Mutter und ihrem kleinen Hündchen im «Baur au Lac». Da die Frau für zwei Tage nach London verreisen musste, hinterliess sie «Mister Albert» auf zwei Seiten detaillierte schriftliche Anweisungen, was er während ihrer Abwesenheit vorzukehren hatte. In Punkt eins bis acht beschrieb sie penibel, wie das Hündchen Minou zu füttern, zu kämmen und zu waschen sei, Punkt neun galt dann der Mutter: «If maman is not well or sick, ask her if she needs a doctor.» Minou und Mutter waren selbstredend wohlauf, als Frauchen zurückkehrte.

Das Metier des Concierge lässt sich nur zum Teil erlernen, er ist vor allem Charaktersache. In der Schweiz existiert keine offizielle Ausbildung. Die Güte eines Concierge steigt mit seinem Dienstalter. «Was ich gelernt habe, kam von meinen Gästen. Ich hatte Glück, so lange in einem guten Haus gearbeitet zu haben», sagt Albert Ostertag. «Es braucht viel Erfahrung, bis man merkt, wie man auf Wünsche reagieren muss», sagt «Savoy»-Chefconcierge Ernst Schneider. Die Concierges in den Luxushotels haben darum alle ein hohes Dienstalter, idealerweise arbeiten sie ein ganzes Leben lang im selben Betrieb. Schneider ist gelernter Koch, doch nach der Lehre zog es ihn von der Küche an die Front, zu den Gästen. Als Hilfsconcierge musste er zunächst Aschenbecher leeren, Telefone abnehmen und die Lobby putzen.

Heute steht er in der Eingangshalle des «Savoy» drei Mitarbeitern vor. Zu seinem Ehrgeiz gehört es, dem Gast den Schlüssel zu reichen, ohne dass dieser seine Zimmernummer nennen muss – das Hotel hat 112 Zimmer. Schneider versucht, jeden Gast mit Namen anzusprechen. Je mehr Routine sich der 60-Jährige erworben hat, desto leichter fällt es ihm, sich die Namen zu merken. Ein Automatismus hat sich nach all den Jahren nicht eingestellt, Schneider prägt sich jedes Gesicht bewusst ein.

Concierges müssen auch in Gegenwart von nörgelnden oder arroganten Gästen die Contenance bewahren. «Normalerweise kann ich gut abschalten. Es geht beim einen Ohr rein und beim anderen raus», sagt Schneider. Nur einmal sei ihm in seiner langen Karriere der Kragen geplatzt. Als sich ein Inder wie ein kleiner Diktator aufführte, erwiderte er unwirsch, in diesem Tonfall müsse er ihm nicht kommen, «you can do that in your country». Der Gast beschwerte sich bei der Direktion, aber diese hielt natürlich zu ihrem Concierge.