Der Laden sieht aus wie ein normales Weingeschäft: Auf den Regalen drängen sich edle Rieslinge aus Deutschland, spritzige Sauvignons blancs aus Südafrika und feurige Tempranillos aus Spanien. An einem Bartresen lässt sich stilvoll degustieren, die Probiergläser stehen parat. Selbst eine komplette Website inklusive Online-Shop gibt es, 4000 Weine aus aller Welt lassen sich dort ordern. Auch der Markenname (Vinoya) ist geschützt. Nur dass der Laden im oberbayrischen Hallbergmoos, unweit des Münchner Flughafens, kein Weingeschäft ist. Kein echtes zumindest. Es ist eine Ausbildungsstätte, wo sich die Vermarktung von Konsumgütern – und speziell das Internet-Marketing – erlernen lässt. Die Schüler: Kaderleute aus der Konsumgüterbranche von der Geschäftsleitung bis ins untere Management. Die Ausbildner: Unternehmensberater von McKinsey & Company.
McKinsey? Das ist ungewöhnlich. Doch für die Strategieberater, die sonst Pharmakonzerne zu Milliardenmultis fusionieren oder krisengeschüttelte Industriegiganten vor der Pleite zu bewahren versuchen, ist das neue Capability Center keine Spielerei: «Learning ist strategisch für unsere Klienten. Dann ist es auch strategisch für uns», sagt Andreas Tobler, Director bei McKinsey Schweiz.
Geschätzte zwölf Millionen Franken hat die Firma in das 1000 Quadratmeter grosse Trainingszentrum gesteckt, das der weltweite CEO Dominic Barton Anfang Juni feierlich eröffnet hat. Wie sich die Abläufe in einer Bankfiliale effizienter gestalten lassen, wird dort ebenso vermittelt wie die Preisgestaltung im Firmenkundengeschäft oder Möglichkeiten zur Verbesserung der Kundenfreundlichkeit in einem Call Center. Das sollen sich die Klienten ruhig etwas kosten lassen: 1800 Franken pro Tag und Schüler ist der gängige Tarif; ein typisches Hands-on-Lernprogramm mit 20 bis 25 Teilnehmern soll 1 bis 1,2 Millionen Franken kosten. Hat das neue Angebot Erfolg, sollen weitere Trainingszentren eröffnet werden. Bereits betreiben die «Mackies» mehrere Fabriken in ganz Europa, wo sie Produktionsverantwortliche schulen, den Ablauf in einem Werk zu optimieren.
Keine andere Wahl. McKinsey ist kein Einzelfall. «Die Consultants sind gefordert, ihr Geschäft neu zu definieren und weiterzuentwickeln», sagt Branchenexpertin Eva-Maria Manger-Wiemann, die mit ihrer Firma Cardea Unternehmen bei der Wahl des richtigen Beraters unterstützt. Zum einen weil diese – wie McKinsey, die nächstes Jahr in der Schweiz 40 neue Consultants einstellen will – weitere Wachstumsfelder suchen. Zum anderen weil sie keine andere Wahl haben. Denn der Markt für klassische Strategieberatung ist in Europa zunehmend gesättigt. Viele Konzerne haben inzwischen Ex-Consultants in den eigenen Reihen oder leisten sich gleich ganze interne Beratungsabteilungen. Zudem drängen Wirtschaftsprüfer wie PwC, KPMG und Co. immer stärker in den Beratermarkt. Und die Ansprüche der Kunden steigen, fünftausend Franken Tageshonorar für einen Hochschulabgänger wie noch vor ein paar Jahren will heute niemand mehr bezahlen. Die Folge: Die Margen kommen unter Druck. «Die Branche steht vor grossen strukturellen Herausforderungen», sagt Branchenexperte Professor Dietmar Fink von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
Vor allem wollen die Kunden, dass das Know-how im Haus bleibt, auch wenn der letzte Consultant durch die Drehtür gegangen ist. Entsprechend stark gefragt sind derzeit Weiterbildungsprogramme für die eigenen Mitarbeiter. So bietet auch Arthur D. Little (ADL), von der schwierigen Marktlage besonders hart getroffen, in Zusammenarbeit mit der Hochschule St. Gallen inzwischen kundenspezifische Trainingsprogramme an. Damit will man genau diesem «Anspruch an nachhaltige Lösungen gerecht werden», sagt ADL-Schweiz-Chef Carsten Vollrath. Und andererseits Zugang zu einem neuen Kundensegment gewinnen: jenen Firmen, die in Mitarbeiter investieren wollen, vom Einzeltraining für ein Konzernleitungsmitglied bis zur breiten Schulung für 200 bis 300 Mitarbeiter einer Abteilung. Und wenn die Schulung ein Türöffner für spätere Beratungsprojekte ist: umso besser. Vor neun Monaten wurde das Trainingsangebot lanciert, ertragsmässig ist der Umsatzanteil noch vernachlässigbar. «Aber mittelfristig traue ich ihm eine Grössenordnung von 10 bis 20 Prozent zu», sagt Vollrath.
Arbeitsumfang verdoppelt. Wissensvermittlung betreiben auch die Berater von A.T. Kearney mit ihrem Global Business Policy Council: Der Think Tank, in Washington stationiert, beschäftigt rund 50 Mitarbeiter, darunter etwa Bestsellerautor Martin Walker («Bruno, Chef de Police»). Hinzu kommt ein Netzwerk von Meinungsführern und Wissenschaftlern wie Norbert Walter, früher Chef-Ökonom der Deutschen Bank. Ihre Aufgabe: für zahlende Kunden Zukunftstrends zu erkennen und Langfristprognosen zu erarbeiten. Dazu gehören Veranstaltungen wie die «Bad Ragaz Group», an der jedes Jahr rund 40 europäische Topmanager (darunter Holcim-Grossaktionär Thomas Schmidheiny) Zukunftsszenarien entwerfen. Auch hier ist der Think Tank eine Diversifikation, die ihre eigenen Kunden und Umsatzströme hat. «Der Arbeitsumfang des Council hat sich in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt», sagt Daniel Mahler, Chef von A.T. Kearney Schweiz.
Andere freilich wollen von der Diversifikation in den Wissensmarkt nichts wissen. «Wir konzentrieren uns auch weiterhin auf unsere Kerngeschäfte und unser Wachstum», sagt Matthias Naumann, Managing Partner BCG Switzerland, der demnächst in Genf das zweite Schweizer Büro eröffnet. Ähnlich tönt es bei Bain & Company. Die Rolle des Klassenprimus überlassen sie den anderen.