Sein Röntgenblick ist legendär, seine Gründlichkeit gefürchtet. Ist Hansueli Loosli in einer der 1885 Coop-Filialen unterwegs, rückt er schon mal Regale zurecht, wenn irgendetwas nicht den Vorgaben entspricht. Und wenn das Verhältnis von weisser zu dunkler Schokolade nicht zur Ladengrösse passt, muss der Filialleiter schon eine sehr schlüssige Erklärung parat haben. Ansonsten wird umdisponiert.
Abmachungen? Trifft Loosli gerne per Handschlag. Widerspruch? Gibt es kaum. Alle 53 880 Coop-Mitarbeitenden wissen, dass ihr Chef, seit 1992 im Konzern, jede Filiale, jedes Produkt, jede Zahl aus der Bilanz kennt.
Ohne Fleiss kein Preis. Das lernte Loosli schon in der Schule, und es ist bis heute sein Lebensmotto geblieben. 1997, mit 41 Jahren, wurde er zum jüngsten Chef, den der Milliardenkonzern Coop je hatte. Damals setzte man 8,8 Milliarden Franken um – heute sind es fast 20 Milliarden. Loosli ist kein Primus inter Pares. Der Erfolg der letzten Jahre hat ihn zum unumschränkten Herrscher im Detailhandelsreich gemacht.
2011 will sich Mister Coop aufs Verwaltungsratspräsidium zurückziehen. Nur: Niemand in Basel kann sich diese Konstellation vorstellen. Auch die Nachfolgeregelung lässt nicht darauf schliessen, dass Loosli darauf drängt, sich von der Verkaufsfront zurückzuziehen. Eigentlich habe er mit spätestens 52 Jahren operativ kürzer treten und sich auf das VR-Präsidium zurückziehen wollen, heisst es in seinem Umfeld. Nun ist er 54. Dass Irene Kaufmann den Präsidentensessel während zweier Jahre übernimmt, zeigt, dass der Fahrplan nicht aufging.
An Kandidaten fehlte es nicht. Lange galt Christoph Clavadetscher (47) als Aspirant auf den Chefsessel. Loosli und Clavadetscher, beide Aargauer, kennen sich seit gemeinsamen Waro-Zeiten. Als Loosli Coop-Chef wurde, übernahm Clavadetscher dessen bisherigen Posten als Leiter der Verkaufsregion Zürich. Kurz darauf wurde Clavadetscher Leiter der Sparte Coop Trading, wo er die zugekauften Epa-Warenhäuser integrieren sollte.
Gekränktes Ego. Was Loosli als Clavadetschers Meisterprüfung ansah, blieb unvollendet: Im Herbst 2005 warf Clavadetscher das Handtuch und wurde Leiter der deutschen Handelsgruppe Dohle. Streit mit Loosli habe es nicht gegeben, doch sei dieser ob des Abgangs schwer gekränkt gewesen.
Dann machte Loosli Jörg Ackermann zum Chef der Direktion Logistik, Informatik und Produktion sowie zu seinem Stellvertreter. Der nächste Karriereschritt war vorgezeichnet. Doch die Nummer zwei wurde durch einen Sportunfall im August 2006 gestoppt: Hirninfarkt beim Fussballspiel.
Ein dritter Kandidat, Oskar Sager, stieg nach 15 Jahren bei Coop 2007 aus. Nach einem Abstecher ins familieneigene Unternehmen amtet er heute bei der Konkurrentin Migros als Marketingchef. Sager sei 2001 gegen die Fusion der regionalen Coop-Genossenschaften gewesen. Diese Fusion gilt heute als Looslis absolutes Highlight.
Potenzielle Nachfolger. Heute sind noch zwei Papabili im Rennen. Da wäre einmal Joos Sutter (44), der Anfang 2010 Coop Trading übernehmen und damit in den obersten Machtzirkel aufsteigen wird. Er startete 1996 bei der Coop-Tochter Import Parfumerie als Leiter Finanzen und Personal. Später wechselte er zu Interdiscount, der er seit 2005 vorsteht. Sein grosser Nachteil: Er ist nicht im Kerngeschäft, den Supermärkten, tätig.
Ganz im Gegensatz zu Philipp Wyss (43), der in Basel als Kronprinz gehandelt wird. Seine Vita passt zum unprätentiösen Loosli. Beide sind keine Studierten: Wyss ist gelernter Metzger und Kaufmann, Loosli eidg. dipl. Experte für Rechnungslegung. Wyss ist seit elf Jahren für den Basler Grossverteiler tätig. Seit 1. Juni 2009 amtet er als Leiter der Direktion Retail und damit als Mitglied der Geschäftsleitung, gleichzeitig ist er Leiter der Verkaufsregion Zentralschweiz-Zürich. Der Vater von drei Kindern gilt Coop-intern als die kleinere Ausgabe von Loosli, als Chrampfer – verlässlich, umgänglich, als einer, der Loosli respektiert und auf diesen hört.
Loosli mag sich zur Nachfolge nicht äussern. Journalistenfragen zu möglichen Kandidaten blockt der Chef ab. Zu viel Lärm stört nur die Planung. Er sagt bloss: «Das Wahlprozedere ist in den Statuten und im Organisationsreglement von Coop geregelt. Mehr gibt es derzeit nicht zu sagen.»
Das wird ein schweres Erbe. Loosli ist der Turbo im Basler Milliardenkonzern. Im Krisenjahr 2009 kam seine Coop besser über die Runden als die Migros. Erstaunlich für Branchenkenner, denn in früheren Wirtschaftskrisen profitierte stets vor allem das orange M. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres ist die Coop-Gruppe um zwei Prozent gewachsen und hat ein Prozent Marktanteil gewonnen, während die Migros leicht verlor. Auch wenn der Effekt der Carrefour-Übernahme in den Coop-Zahlen mitspielt, kann sich das Resultat sehen lassen. Loosli: «Trotz sinkenden Preisen wachsen wir und gewinnen in einem schwierigen Umfeld weiter Marktanteile. Wir können zufrieden sein.» Diesem Fazit kann man schlecht widersprechen.
Loosli will Coop mit Bestnoten übergeben. Doch noch gibt es Baustellen. Eine davon ist das Joint Venture von Coop und dem deutschen Rewe-Konzern, das unter dem Namen TransGourmet agiert. Das Gemeinschaftsunternehmen ist im internationalen Gastronomie- und Grossverbraucher-Geschäft tätig. Zehn Milliarden Franken hat man letztes Jahr umgesetzt, doch in der Krise leidet der Bereich Grosshandel deutlich stärker als das Detailhandelsgeschäft. Vor allem in Deutschland und in Frankreich spürt man die Zurückhaltung der Konsumenten und die Preissenkungen bei den Frischprodukten. Loosli setzt auf Osteuropa und auf bessere Tage: «In Ländern wie Rumänien, Polen und Russland besteht ein enormer Nachholbedarf im Ausser-Haus-Konsum. Nach dem Abflauen der Rezession wird das Wachstum in diesen Ländern gross sein.» Neben TransGourmet entwickelt sich auch die Expansion mit den IKI-Supermärkten im Baltikum, die Coop zusammen mit Partnerfirmen vorantreibt, nicht optimal. Loosli: «Die baltischen Staaten machen eine harte wirtschaftliche Durststrecke durch. IKI musste Personal abbauen, gewinnt aber Marktanteile und wird gestärkt aus der Krise hervorgehen.»
Im Kerngeschäft darf Looslis Nachfolger kaum mehr auf die hohen Wachstumsraten der Vergangenheit hoffen. Der neue Chef muss konsolidieren, denn zu übernehmen gibt es im Inland nichts mehr. Und er wird damit leben müssen, dass sich die Migros, die in den letzten Jahren unter Wert geschlagen wurde, aufrappelt und zurückschlägt.
Brisante Konstellation. Sutter oder Wyss: Looslis Nachfolger als Konzernchef muss mit einem aktiven Präsidenten Loosli leben können. Etwas Druck wegnehmen wird immerhin, dass Loosli im Frühling 2011 vom gewöhnlichen VR-Mitglied zum Präsidenten der Swisscom aufsteigt. Da wird er als Quereinsteiger noch einiges zu lernen haben. Als Technikfreak hat sich der Aargauer bislang nicht hervorgetan. So benutzte er bei Coop jahrelang dasselbe Nokia-Handy und war dann froh, als das neue mehr oder weniger gleich zu bedienen war wie das alte.
Pikant an Looslis Berufung: Er wird bei der Swisscom ausgerechnet den früheren Migros-Chef Anton Scherrer beerben. Das sorgte für viel Ärger und wird – nach der Fusion von Orange mit Sunrise – weiteren Gesprächsstoff liefern. Denn während Migros und Swisscom seit Jahren eng zusammenarbeiten, setzt Coop auf den Konkurrenten Orange. Die Migros-Spitze protestierte denn auch öffentlich gegen Looslis Wahl ins Swisscom-Präsidium, und Migros-Präsident Claude Hauser wandte sich gar mit einem Brief an Bundesrat Moritz Leuenberger. Loosli sagt dazu nur: «Ich wurde für das Amt angefragt und habe spontan zugesagt.» Die Swisscom habe zudem viele Parallelen zu Coop. «Besonders faszinieren mich die technologische Innovationskraft und die Unternehmenskultur der Swisscom. Und sollte es je zu Interessenkonflikten kommen, werde ich in den Ausstand treten.»
Anton Scherrer ist voll des Lobes über Loosli. «Er verfügt über eine breite Erfahrung in der Führung von grossen Unternehmen der Konsumgüterbranche und im Detailhandel. Unter anderem reorganisierte er die Genossenschaftsstruktur und setzte eine erfolgreiche, nachhaltige Wachstumsstrategie bei Coop um.» Er habe die Nominierungsgremien am meisten überzeugt.
Gleichwohl ist es eine Wahl, die für heisse Köpfe sorgen musste. Als Scherrer und Loosli Konkurrenten im Detailhandel waren, machten die beiden nicht den Eindruck, als könnten sie es besonders gut miteinander. Loosli stand Scherrer oft vor der Sonne, war innovativer, schneller. Scherrer sagt heute über sein Verhältnis zu Loosli: «Als Chefs von Migros und Coop waren wir direkte Konkurrenten und haben genau beobachtet, wie der andere im Markt agiert. Im persönlichen Kontakt haben wir uns stets respektiert und pflegten einen kollegialen Umgang.»
Noch komplexer wurde die Beziehung, als Scherrer nach seiner Nichtwahl zum Präsidenten des Migros-GenossenschaftsBundes den Detailhandelskonzern verärgert verliess, bei der Swisscom anheuerte und nun ausgerechnet den ehemaligen Erzkonkurrenten zu seinem Nachfolger als VR-Präsident macht.
Mit Spannung wird die Neubesetzung an der Swisscom-Spitze beäugt. Da ist nämlich Carsten Schloter, der seit 2006 den perfekten Mister Swisscom gibt. Loosli und Schloter sind ausgewiesene Marketingprofis und hervorragende Verkäufer in eigener Sache. Swisscom-intern gibt es Stimmen, die bedauern, dass man nicht auf einen Präsidenten mit einem breiten technischen Hintergrund gesetzt hat.
Loosli wird vor allem auf eine seiner charakterlichen Eigenschaften angewiesen sein: auf Leute zugehen zu können, sie für seine Interessen zu begeistern. Damit wird er bei den Bundespolitikern für die Anliegen der Swisscom lobbyieren. Und dafür sorgen, dass die Ex-Monopolistin weiterhin auf eine laxe Regulierung zählen kann – vor allem im Hinblick auf die nächste Festnetz-Infrastruktur, die Glasfasertechnologie. In diesem Bereich wird die Swisscom in den nächsten sechs Jahren zwei Milliarden Franken investieren.
Daneben wird sich Loosli seinen vielfältigen Coop-Aktivitäten zuwenden. Immerhin ist er auch noch Präsident bei der TransGourmet-Gruppe, der ITS Coop Travel, der Bell Holding sowie Verwaltungsrat der Einkaufskooperation Coopernic, von Palink UAB und Palink SIA im Baltikum. Die Frage, ob er ab 2011 auch persönliche Ziele verfolge, etwas Tennis vielleicht oder Ski fahren, empfindet Loosli fast schon als Beleidigung: «Ich werde auch nach meinem Ausscheiden aus der Coop-Geschäftsleitung voll berufstätig sein.»