Der Start ins neue Jahr war an Rasanz nicht zu überbieten. Kaum haben sich in den Portemonnaies die Januarlöcher gezeigt, kommt Hansueli Loosli und klebt rosarote Etiketten auf Erbslidosen und Milchbeutel. Ein Billigsortiment bei Coop, darauf hat die Schweiz lange gewartet. Zeitgleich mit der Einführung von «Prix Garantie» tritt Loosli vor die Medien und gibt bekannt, Coop habe sich gerade mit einem der grössten Handelskonzerne verbündet (siehe Nebenartikel «Joint Venture mit Rewe: Ein logischer Schritt»). Einen Tag später packt Loosli den Koffer und steigt mit Kollegen aus dem Management und einem Tross Pressevertretern im Schlepptau ins Flugzeug nach Mumbai. In Indien feiert er im Bio-T-Shirt mit Biobaumwollbauern das Zehn-Jahre-Jubiläum der Biotextilien von Coop.
Loosli hier, Loosli dort, Loosli überall. Jetzt durchquert er federnden Schrittes den Gemüserayon im Tägipark in Wettingen, einem Coop Megastore amerikanischen Formats, den er vor wenigen Wochen in Anwesenheit der Aargauer Politprominenz eröffnet hat. Ein Händedruck links, ein «Wie geht es Ihnen?» rechts – Loosli kennt die Verkäuferinnen und bringt sie zum Strahlen. Ganz der erfolgreiche Topmanager, fährt er einen Audi A8. Ganz der bodenständige Chef, fährt er die Karosse selbst, und das, obschon er im Jahr 70 000 Kilometer zurücklegt. «Ein Chauffeur passt nicht zu mir», sagt Loosli. Die hohe Kadenz von medienwirksamen Ereignissen im Januar entspricht ihm hingegen vollauf: «Das Tempo war ganz nach meinem Geschmack», lacht Loosli im kahlen Sitzungszimmer des Tägiparks, «damit ist einmal mehr bewiesen, dass sich der Detailhandel dem Wandel stellt.»
«Hansueli Loosli hat einen unglaublichen Schaffensdrang», sagt Hans Winiger, bis zu seiner Frühpensionierung Mitte 2004 Looslis Stellvertreter in der Konzernleitung. Der Mann will nicht nur viel, er erreicht auch viel. Seit er 1997 den Vorsitz von Coop Schweiz übernahm, trieb er den Umsatz von 10,9 auf 14,2 Milliarden Franken hoch, und das in einem gesättigten Markt. Sein erklärtes Ziel, stärker zu wachsen als Branchenführerin Migros, schien er ohne grössere Schwierigkeiten zu erreichen, nicht zuletzt dank der frühen Einführung von Bioprodukten. Wenn Ladenketten zum Kauf standen, sass Loosli meistens am Verhandlungstisch – und bekam den Zuschlag. Sein Portefeuille besteht heute aus einem bunten Markenmix, der von Betty Bossi und Interdiscount über Import Parfümerien bis Toptip und Lumimart reicht. Umstrukturierungen wie die Zusammenlegung von 15 regionalen Genossenschaften zu einer einzigen gelangen ihm – ein kleines Wunder – ohne nennenswerte Reibungsverluste. Loosli schien den Erfolg gepachtet zu haben. Daher erstaunte es niemanden, dass der Bauernsohn aus dem aargauischen Würenlos Anfang 2004 mit dem Swiss Award in der Kategorie Wirtschaft ausgezeichnet wurde.
Loosli stellt die Trophäe weder ins Bücherregal in der Stube seines Einfamilienhauses, noch nimmt er sie mit ins Büro. Er schickt die Statuette weiter an seine Mitarbeiter. Der Award schmückt Läden, Personalrestaurants, Produktionsbetriebe und landet sogar beim einen oder anderen Hausabwart. Als Dank erhält Loosli im Dezember nicht nur den Award zurück, sondern eine Fotoreportage, die dessen Reise an die Basis dokumentiert.
Kaum hat Loosli die Auszeichnung bekommen, gerät er in die Kritik. Das achte Geschäftsjahr unter seiner Führung wird zum verflixten. Für 2004 berichtet er erstmals in seiner Amtszeit von einem Umsatzrückgang, während Migros zulegen kann. Preisvergleiche verpassen Coop zudem das Image eines teuren Anbieters. «Mir war bewusst, dass ich auch einmal aufs Dach bekomme. Es geht im Leben auf und ab, das ist nun mal so», zuckt Loosli mit den Schultern. Er sieht die Wende früh kommen und ermahnt die Kollegen in der Konzernleitung mehrfach, sie müssten sich wärmer anziehen.
Es war vor allem der Kauf der Warenhausgruppe Epa, der Loosli um den Ruf des ewig Erfolgreichen brachte. «Epa bleibt Epa», verkündete er, als der Kauf publik wurde – etwas gar hastig, wie sich bald zeigte. Kaum war der Deal unter Dach und Fach, kamen Zweifel an der Daseinsberechtigung des Billigwarenhauses auf. Loosli tat, was er mit Vorliebe tut: Er liess eine Konsumentenumfrage erstellen. Sie ergab, dass die Schweizer der Marke Coop mehr vertrauten als der Marke Epa. Also beschloss Loosli, die Epa-Warenhäuser mitsamt dem Sortiment doch umzubauen und in Coop City umzutaufen. Aber Epa war eben doch nicht so unten durch, wie das die Umfrage glauben machen wollte. Loosli, der immer wieder den Stellenwert von Emotionen im Detailhandel betont, indem er sich mit der linken Hand ans Herz fasst, unterschätzte die nostalgischen Gefühle, die mit der guten alten Epa verbunden waren. Viele Kunden goutierten weder die höheren Preise noch das neue Sortiment, entsprechend schwierig war die Startphase für Coop City. Obschon die Logos in der Zwischenzeit an den wichtigen Standorten ausgewechselt worden waren, begriff die Shoppingschweiz noch nicht genau, wofür der orange-gelbe Schriftzug eigentlich steht.
«Zum Glück kann man im Detailhandel Fehler rasch korrigieren», sagt Loosli versöhnlich. Meistens ist er konziliant im Ton, er kann jedoch auch fluchen, wenn etwas schief läuft. Langjährige Kollegen haben gelernt, ihn «zu lesen», wie einer sagt; sie merken, wenn es unter der entspannten Oberfläche zu brodeln beginnt.
Das war im letzten Jahr vermehrt der Fall. Gehadert hat der sonst so zupackende Macher etwa mit der Einführung einer Billiglinie. Fast schon in vorauseilendem Gehorsam zur deutschen Billigkonkurrenz lockerte der Schweizer Detailhandel von Denner bis Migros letztes Jahr die Preisschraube. Nur Loosli und seine Getreuen hielten am Qualitätscredo fest. Nach einer aufreibenden internen Ausmarchung fiel dann doch der Entscheid, auf Anfang 2005 eine Günstiglinie einzuführen. Aufreibend darum, weil die oberste Coop-Führung einen Weg finden musste, damit Loosli die Billigpreisstrategie mit seinem Qualitätsverständnis vereinbaren konnte. Loosli verlangte, dass keine «Billigstqualität» (Loosli) in die rosa Linie aufgenommen werde, sondern mehrheitlich bereits bewährte Produkte. Damit fand Loosli den Dreh, wie er beim Billigtrend mitmachen konnte, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, seine Werte zu verraten. «Wir stehen zu unseren Qualitätsversprechen, ich habe Respekt vor unseren Produkten, sie sind gut und etwas wert», sagt er, der schon als kleiner Junge bei der Mutter im Volg-Laden Zucker und Mehl abgewogen hat. Mit «Prix Garantie» ist er nun zwar auf die Preissenkungen der anderen Grossverteiler eingeschwenkt, an die Nachhaltigkeit dieser Strategie will er aber nicht glauben. Tief im Herzen glaubt er daran, was er schon seit Jahren predigt: «Differenzieren können wir uns nur durch ein dichtes Verkaufsstellennetz, Freundlichkeit, Frische und Bioprodukte.»
Dass er an diesem Paradigma festhält, obschon sich die ganze Branche derzeit neu orientiert, ist typisch Loosli: Er wird von den 50 000 Mitarbeitern geschätzt als Chef, der meint, was er sagt, und der vormacht, was er sagt. «Er geniesst sehr viel Vertrauen», sagt Peter Schmid, Gebietsleiter Bern. Das war nicht immer so. Als Hansueli Loosli 1992 Chef der maroden Coop Zürich wurde, hatte der damals erst 36-Jährige einen schweren Stand. Es herrschte ein Klima des Misstrauens. Loosli lockerte erst einmal die Krawatte und krempelte die Ärmel hoch: Statt sich über die schmuddeligen Fleischvitrinen zu beschweren, nahm er Eimer und Schwamm in die Hand und begann zu putzen. Die Kühlregale räumte er selbst so ein, wie er sie haben wollte. Die Stimmung kehrte schnell, aus Ablehnung wurde Sympathie. Die Sanierung geht Loosli leicht von der Hand und verhilft ihm zum Posten des Coop-Konzernchefs.
Der Detailhandel habe sehr viel mit Vertrauen zu tun, sagt Loosli und fasst sich abermals ans Herz. Wenn es ein Schweizer Topshot versteht, Vertrauen zu gewinnen, dann ist es Loosli. Diese Fähigkeit sei oftmals ausschlaggebend, dass er bei Verkaufsverhandlungen den Zuschlag erhalte, sagt ein Weggefährte. Für Hansueli Loosli bedeutet Vertrauenschaffen Knochenarbeit: Einen bis zwei Tage pro Woche verbringt er an der Front abseits der Coop-Zentrale, «so erfahre ich schnell und direkt, ob draussen funktioniert, was wir am Sitzungstisch entschieden haben». Der gelernte Buchhalter imponiert dem Personal nicht zuletzt deshalb, weil er ein phänomenales Gedächtnis hat: Hansueli Loosli kennt unzählige Mitarbeiter beim Namen und kann diese auch jederzeit abrufen.
Im Kader bildet er Vertrauen mit Aktionen, die über ein gemeinsames Skiweekend hinausgehen. Per 1. Januar 2001, Stichtag für die Fusion der 15 Genossenschaften, hat Loosli 200 Kaderleuten einen Vierjahresvertrag angeboten. Darin verpflichtete er sich, jedem, mit dem er nicht klarkommt, für eine allfällige Entlassung vier Jahreslöhne zu bezahlen. «Durch den Vertrauensvorschuss haben wir es geschafft, dass wir keinen einzigen Kadermitarbeitenden der betroffenen Führungsstufen verloren haben», freut sich Loosli. Seit Anfang 2005 gelten zwar wieder die normalen Arbeitsverträge, aber der Zusammenhalt im Kader ist geblieben. Einer spricht von Familie, ein anderer von einem Zuhause, Hansueli Loosli verwendet häufig das Wort «Bahnhof», wenn er von seiner Firma spricht.
Nun, da er härtere Zeiten durchlebt, zahlen sich die Efforts um das Vertrauen der Mitarbeiter aus. Loosli weiss um den Rückhalt im Management und um die grosse Loyalität langjähriger Mitarbeiter zu ihrem Chef. Weil Vertrauen allein allerdings nicht reicht, hat Loosli angefangen, seine engsten Mitarbeiter in Leadership-Seminaren aufeinander einzuschwören. Die Veranstaltung vom vergangenen Herbst drehte sich um Themen wie Ernährung, Gesundheit und Schlaf. Da erfahren Hansueli Looslis Mitstreiter Dinge über ihren Chef, über die er im Büro nicht spricht: dass er viel zu wenig schläft und viel zu viel raucht. Am Ende dieser Sessions weiss jeder von jedem, wo sich der andere stark oder schwach fühlt und wie er sich verändern möchte.
Etwas formeller geht es in den offiziellen Zielvereinbarungen zu und her, Looslis bevorzugtem Führungsinstrument. Jeweils im Herbst zerbrechen sich 3500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Hierarchiestufen den Kopf darüber, wie sie ihr Unternehmen voranbringen könnten. Es werden zuerst fünf gemeinsame Ziele definiert. Dann werden die Mitarbeiter aufgefordert, zu jedem Ziel drei Massnahmen zu formulieren, die mit «Ich …» beginnen. «Das dürfen keine Massnahmen aus dem Alltag sein», sagt Loosli, «ich erwarte, dass sich die Leute echte Herausforderungen vornehmen.» Dann fügt er an: «Das gilt auch für mich.» Ob den Worten auch Taten folgen, lässt der oberste Coop-Manager regelmässig überprüfen, Ausreden duldet er keine. «Er erwartet, dass man dazu steht, wenn man vom Ziel oder vom Tempo überfordert ist», sagt Coop-Kommunikationschef Felix Wehrle.
Dass Hansueli Loosli – laut Wehrle «ein Mann der permanenten positiven Unrast» – Mitstreiter durch seine schnelle Gangart überfordert, kommt ab und zu vor. Angesichts des schwierigen Geschäftsjahres 2004 traten die Gefahren seines Schaffensdranges in den Vordergrund. Vieles deutet darauf hin, dass das vergangene Jahr tatsächlich ein Wendepunkt gewesen ist. Nachdem das Wachstum von Coop ins Stocken geraten ist, lautet der Leitsatz für das Jahr 2005: «Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche.»
Das Management hat sich vorgenommen, jeden anstehenden Entscheid zu prüfen, ob er wesentlich genug ist, ihn sofort zu fällen. Andernfalls wird das Projekt für ein paar Monate auf Eis gelegt. Das werde zweifellos dazu führen, dass bei Coop das Tempo der Veränderungen etwas gedrosselt werde, sind Mitarbeiter überzeugt. Coop-Chef Hansueli Loosli runzelt die Stirn, er sieht das etwas anders: «Das hat nichts mit Temporeduktion zu tun, sondern soll den Blick auf die Erfüllung der Kundenwünsche schärfen.»