Es ist ein dicker Fisch, den das Zürcher Fintech Advanon im letzten Sommer an Land zieht. Advanon-Mitgründer Stijn Pieper spricht vom «vermeintlich perfekten Factoring-Kunden»: Eine stark wachsende Firma mit hohem Einkaufsvolumen und entsprechendem Liquiditätsbedarf, die eher ein mässiges Kredit-Rating hat, dafür aber bestätigt, renommierte und solvente Kunden zu haben. Es sind dies angeblich namhafte Firmen wie Onlinehändler Digitec, Grossist Coop oder dessen Haushaltstochter Fust.

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Kein Jahr später entpuppt sich der vermeintliche Topkunde als Fall für die Staatsanwaltschaft Winterthur, nachdem Advanon Strafanzeige wegen Betrugs und Urkundenfälschung gegen den Geschäftsführer und Eigner der Elektrogeräte-Handelsfirma eingereicht hat. Die Schadenssumme beträgt 2,4 Millionen Franken. Betroffen sind 78 Privatanleger, die auf der Advanon-Plattform in Rechnungen des Unternehmens investiert haben. Ihnen droht möglicherweise der Totalausfall ihrer Investments. Im Mittelwert geht es um mehrere 10 000 Franken pro Anleger.

Wie konnte es dazu kommen? Das Zürcher Fintech existiert seit 2015. Gegründet wurde die digitale Rechnungsplattform von Ex-Google-Praktikanten. Unter ihnen der heutige Advanon-Chef Phil Lojacono, der von sich reden machte als grosszügigster Chef der Schweiz, indem er den dreissig Mitarbeitenden unbegrenzt Ferien und viele Fringe Benefits gewährte.

Hohe Renditen

Geld verdient Advanon mit Transaktionsgebühren auf ihrer Internetplattform. Dort können KMU und Jungunternehmen ihre Rechnungen von Anlegern vorfinanzieren lassen, um so ihre Liquiditätslage zu verbessern. Denn zwischen dem Ausstellen einer Rechnung und deren Bezahlung durch den Kunden vergehen manchmal mehrere Monate. Damit das KMU in dieser Zeit nicht selbst Bank spielen muss, gibt es Factoring. Dabei tritt die Firma gegen eine Gebühr die Forderung an einen Factor ab. Bislang waren dies vor allem Banken und andere Finanzdienstleister.

Hier setzt das Advanon-Geschäftsmodell an: Auf dem Internet-Marktplatz können private Anleger Bank spielen und die Rechnungen der KMU übernehmen. Entweder als ungesicherten Kredit oder indem die Privaten die Forderungen übernehmen, inklusive Rechtsanspruch gegenüber dem Schuldner. Bereits 3000 Investoren zählt das Fintech: Schliesslich locken Renditen von durchschnittlich 8 bis 12 Prozent jährlich, wobei die Laufzeiten wenige Tage bis Monate sind.

Doch so lukrativ das Modell erscheint, das Risiko ist nicht zu unterschätzen. Gerade beim «stillen Factoring», auf das der mutmassliche Betrüger setzte. Dort wussten die vermeintlichen Debitoren wie Coop oder Digitec nämlich gar nicht, dass der Elektrohändler seine fiktive Forderung an einen Privatanleger abgetreten hatte. Bei dieser Factoring-Variante ist es üblich, die Debitoren nicht direkt zu kontaktieren. So hielt es auch die Marktplatzbetreiberin Advanon.

Ansonsten wäre nämlich rasch klar geworden, dass der Händler keine oder nur eine geringfügige Geschäftsbeziehung zu den bekannten «A»-Bonitätsfirmen hatte. Statt Beträgen von hunderttausenden Franken waren es in Tat und Wahrheit Rechnungen von wenigen Tausend gewesen. Der Basler Grossverteiler prüft nun das weitere Vorgehen. Für den Onlineshop der Migros ist der Fall neu. Man könne deshalb keine Aussagen zu einer möglichen Reaktion unsererseits machen, sagt ein Digitec-Sprecher.

Fingierte Fakturen

Die fingierten Fakturen, Bankauszüge und Kunden-E-Mails flogen erst auf, als die Rückzahlung samt Zins ausblieb, Advanon das stille Factoring brach und bei den Debitoren nachhakte. Und zwar nachdem der mutmassliche Betrüger die Rechnungen bereits einmal auf der Plattform zu einem zweistelligen Zinssatz hatte refinanzieren können. So kam es zur stattlichen Schadenssumme von 2,4 Millionen Franken.

Zum Vergleich: Über Advanon wurden 2017 rund 60 Millionen Franken an Rechnungen vorfinanziert. Daniel Trochsler, Präsident des Factoringverbands, zeigt sich gegenüber stillem Factoring skeptisch: «Es ist unter unseren Mitgliedern aus Risikoüberlegungen wenig verbreitet.» Ebenso unüblich sei es in der Branche, dass Kunden von einem Factoringunternehmen an ein anderes weitergereicht würden.

Genau dies ist im Fall des Händlers aber geschehen. Advanon erhielt den «vermeintlich perfekten Kunden» von einem anderen Factoring-Anbieter vermittelt. Dieser bestätigte dem Fintech schriftlich, dass es nie zu Zahlungs- oder sonstigen Schwierigkeiten mit dem Kunden gekommen sei. Die Aussage mag stimmen, ist aber wohl nur die halbe Wahrheit. Denn offenbar wurde das Geld schon vor Jahren veruntreut.

Doch solange die Rechnungen stets refinanziert werden, tritt der Schadensfall nicht ein.
Advanon hat die Konsequenzen gezogen: Bald sollen nur noch qualifizierte Investoren in Rechnungen investieren, während Private über eine risikodiversifizierte Fondslösung partizipieren sollen.

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