Auf einem grossen Parkplatz beim Flughafen Bern-Belp stehen seit November weisse Zelte. Es ist ein Corona-Drive-In-Testcenter des Kantons Bern: Autos rollen an, halten, und in Schutzbekleidung verpackte Menschen nehmen Abstriche vor.
Von hier aus ist der Gurten zu sehen. Beim Anblick des Berner Hausbergs dürften manche der Helfer wehmütig werden: In normalen Zeiten hätten sie dort oben letztes Jahr ein Open-Air abgehalten.
Es sind die Festivalorganisatoren – die Gurtenfestival AG –, die im Auftrag des Kantons das Testcenter betreiben. Statt weltbekannte Bands zu suchen und donnernde Shows zu planen, koordiniert die Crew des Festivals jetzt Nasen-Abstriche.
Zelte und Container gibts auch am Openair
Die Aufgaben sind gar nicht so unterschiedlich: Auch beim Gurtenfestival stehen Zelte und Container herum, und die Festivalgänger strömen von Stand zu Stand. Nun steuert das Team nicht Menschenmassen durch Zeltstädte, sondern lenkt Autofahrerinnen zwischen Plastikplanen hindurch.
Und die Dimensionen sind etwas kleiner: Auf den Gurten pilgern an einem Julitag 20'000 Besucherinnen und Besucher, in Belp fahren täglich wenige Hundert Autos vor.
«Man muss viele Kompetenzen haben»
«Man muss viele Kompetenzen haben, wenn man ein Festival organisiert», sagt Sprecherin Lena Fischer. «Normalerweise buchen wir die Bands. Nun buchen die Berner halt ihren Slot bei uns.»
Die 12 Mitglieder des Teams können dabei auf ihr grosses Netzwerk zählen: Die Software für das Center programmierten sie selber; für das medizinische Fachpersonal spannten sie die Firma ein, die normalerweise verletzte Festivalbesucher verarztet.
Viele der 70 bis 100 Mitarbeitenden für den 24/7-Betrieb des Testcenters sind Bekannte aus der Branche, Freunde oder Festivalhelfer. «Es hat viele aus dem Eventsektor dabei, beispielsweise Musiker. Sie sind froh, jetzt etwas machen zu können», erzählt Lena Fischer.
Der Kanton fragte an
Zum Auftrag kamen die Festivalmacher unverhofft: Der Kanton fragte im Herbst an, ob sie das Center betreiben könnten – und das Team sagte innert wenigen Tagen zu. Mittlerweile organisiert es für den Kanton weitere Corona-Tests, etwa jenen in Wengen, wo sich die ganze Dorfbevölkerung auf Covid-19 überprüfen konnte.
Und die Berner inspirierten ihrerseits weitere Eventorganisatoren: Im Kanton Solothurn führt die Kulturfabrik Kofmehl ein Testcenter. Dabei durften die Kulturmacher auf Hilfe aus Bern zählen: Sie übernahmen das Konzept und die Software des Gurtenfestivals.
Die Mehrheit an der Gurtenfestival AG gehört seit kurzem Serge Michel. Der jüngere Sohn des Gründers des Berner Medizinaltechnikunternehmens Ypsomed, Willy Michel, war 2019 bei dem Festival eingestiegen und ist heute Präsident.
Hauptberuflich führt Serge Michel die Bieler Uhrenmarke seiner Familie, Armin Strom. Sein Bruder Simon Michel leitet Ypsomed als CEO.
«Wir konnten wieder Vollgas geben»
Die Organisatoren des Gurtenfestivals sehen die Corona-Tests als eine willkommene Zwischenbeschäftigung. Fast alle waren auf Kurzarbeit, nachdem sie das Festival absagen mussten. «Für uns als Team war es extrem schön, diesen Auftrag zu erhalten, es hat uns zusammengeschweisst», erzählt Lena Fischer. «Wir konnten wieder Vollgas geben.»
Ihre Passion haben die Festivalmacher aber trotz des Ausflugs in die Medizin nicht aufgegeben. Das Testcenter wird nach aktuellem Stand bis Ende März betrieben.
Fischer und Ihre Kolleginnen und Kollegen haben bereits mit der Planung für ein Musikevent in diesem Sommer begonnen – obwohl noch völlig offen ist, in welcher Form ein Festival überhaupt möglich ist.
Das grösste Openair-Festival Europas findet auch dieses Jahr nicht statt. Die Veranstalter des englischen Glastonbury Festival gaben den Entscheid an diesem Donnerstag bekannt.