Schumpeter hätte seine helle Freude daran gehabt. Für den österreichischen Wissenschafter war es klar, dass die wirtschaftliche Entwicklung nur dann fortschreitet, wenn sich möglichst viele Individuen als Entrepreneurs betätigen. Und deshalb wäre Schumpeter in Entzücken ausgebrochen, wenn er sich im bernischen Lyss zwischen Biel und Bern an einen Wirtshaustisch gesetzt hätte, um den Diskussionen am Stammtisch zu folgen.
«Eine richtige Badewanne haben die Mitarbeiter aus dem Fenster geworfen», weiss einer zu berichten. Ein anderer seufzt, er würde auch lieber bei der Creabeton arbeiten als bei den SBB.
Die Kulturrevolte, die beim zweitgrössten Arbeitgeber der 10000-Einwohner-Stadt seit einigen Monaten im Gange ist, bleibt nicht verborgen. Mehr noch: Sie scheint das Dorf regelrecht in Besitz genommen zu haben. In der Schlange an der Migros-Kasse unterhält man sich darüber, was denn zu einer guten Unternehmenskultur gehöre.
Im letzten Herbst, als er zum ersten Mal von der «Zukunftswerkstatt» gehört habe, erzählt ein Stapelfahrer der Creabeton, habe er gedacht, das sei ein Furz des Managements. «Doch die Zukunftswerkstatt, ein gemeinsamer Tag im Januar, hat mich überzeugt. Es lohnt sich, Regeln aufzustellen, wie wir miteinander umgehen. Es macht Spass, in die Unternehmenskultur mit einbezogen zu werden.»
Alles Alte über Bord
An der «Zukunftswerkstatt», an der rund hundert ausgewählte Mitarbeiter der Creabeton teilgenommen haben, ist auch besagte Badewanne zu einem Flugobjekt geworden. Denn die Badewanne stand für den alten Stil, den man über Bord werfen will: Zu hoch die Ränder (die patriarchalische Hierarchie), zu tief der Boden (die Emanzipation der Mitarbeiter).
In Zukunft sollen die Mitarbeiter emanzipiert auftreten, und die Chefetagen den Kommandostil der Ortsfeuerwehr ablegen. Aber wozu? «Um den Betrieb produktiver zu machen», umreisst Alfred Keller, CEO des Betonwarenherstellers, das Ziel des Kulturwandels.
Er hat den ganzen Prozess initiiert. Die kleinen Augen des 50-jährigen Berner Seeländers blitzen, wenn er ob der Turnaround-Geschichte seiner Firma ins Erzählen gerät.
«Wir arbeiten in einer Branche, wo die Margen immer kleiner werden. Zudem stellen wir Produkte her, die austauschbar sind», umschreibt Keller die Herausforderung. Eine Betonplatte ist eine Betonplatte, eine Betonschwelle eine Betonschwelle. «Da müssen Sie sich was einfallen lassen.»
Man habe erkannt, dass sich die Produktivität nur noch dadurch steigern liesse, wenn die Mitarbeiter motivierter zur Arbeit erschienen. Nur so liessen sich Absenzen, Fluktuationen, Produktionsausschüsse senken, die Durchlaufzeiten und die Kundenzufriedenheit verbessern. «Wir wollen alle Mitarbeiter zu kleinen Entrepreneurs machen, die Ideen und Innovationen einbringen, wie wenn es ihre eigene Firma wäre.»
Dass diese Rechnung aufgeht, davon sind Harry Wiener und Anne Marie Botta, die Berater und geistigen Eltern des Prozesses, überzeugt. Sie haben sich mit ihrer 1987 gegründeten MBS Swiss auf solchen Kulturwandel spezialisiert. «Für eine Firma in der Grösse von Creabeton kostet ein solcher Prozess rund 250 Fr. pro Mitarbeiter. Bei einem Umsatz pro Mitarbeiter von 200000 bis 300000 Fr. entspricht das einem Investment von rund einem Promille. Steigt die Produktivität lediglich um 3%, sind diese Kosten mehr als 30-mal wettgemacht.»
Doch wie macht man Mitarbeiter zu «Entrepreneurs» in einer Firma mit Mitarbeitern aus 12 Sprachregionen, an vier Standorten, zu Durchschnittslöhnen unter 5000 Fr. im Monat? Nach der Fusion habe man mit einem schön gedruckten Leitbild versucht, den Arbeitnehmern zu erklären, was eine partizipative Firmenkultur sei. «In den Mitarbeitergesprächen aber haben wir schnell gemerkt, dass die Leute das zwar lesen, aber nicht leben», blickt CEO Keller zurück.
Unzufriedenheit sei eingekehrt, bis man sich durchgerungen habe, sich beraten zu lassen. Während in anderen Branchen Milliarden für McKinsey und Konsorten ausgegeben werden, war dieser Schritt bei den Betonmischern eine eigentliche Jungfernfahrt.
Anne Marie Botta schätzt, dass in vielen Unternehmen im Lande die effektive Produktivität bei höchstens 30% liegt. «Wer die Mitarbeiter zu einem Teil der Firma macht, erreicht problemlos mehr als 50%.» Für das Management bedeute das jedoch Verzicht auf Macht und den Willen, Veränderungen zuzulassen. «Das eigene Führungsverhalten muss hinterfragt werden», so Wiener. Deshalb verkommen die meisten Leitbilder zu Papiertigern, machen viele Beratungen nur die Berater reicher.
«Zuerst bekamen wir in der Geschäftsleitung den Spiegel vorgesetzt», bestätigt Keller. «Doch nachdem wir uns vom Kulturschock erholt hatten, entschieden wir, jeden einzelnen Mitarbeiter zu befähigen, mehr Verantwortung zu übernehmen.»
Kulturparcours über sämtliche Stufen
Heute lachen grosse Plakate mit den Gesprächsregeln die Besucher von den Wänden der Creabeton an: Man lässt den anderen ausreden, man redet nicht zu lange, man fragt auch mal, wie es dem anderen geht.
Nach der Geschäftsleitung wurde das gut 45-köpfige Management in einem dreitägigen Seminar der «Kulturwäsche» unterzogen. Aus dieser Gruppe kristallisierten sich «Moderatoren» heraus, welche in der «Zukunftswerkstatt» über 100 ausgewählte Mitarbeiter in die Geheimnisse einer besseren Unternehmenskultur einweihten.
Den vorerst letzten Schritt des Prozesses wird der «Kulturparcours» darstellen: Im Sommer werden alle 520 Mitarbeiter der Creabeton gemeinsam einen halben Tag zum Thema «Wie gehen wir miteinander um?» gestalten. Den Lead dabei haben längst nicht mehr die Berater, sondern die eigenen Moderatoren.
Und so kommt es, dass in einem bodenständigen Beton- und Kieswerk, wo kaum «Gstudierte» ein und ausgehen, nicht nur wie in vielen Teppichetagen von einem Kulturwandel gefaselt, sondern dieser auch gelebt wird.
Alfred Kellers Führungsgrundsätze
1. Ich betrachte das Unternehmen vom Kunden her und strebe eine kontinuierliche, ständige Verbesserung der Marktstellung an; unter anderem mit einer stetigen Innovationsleistung.
2. Ich setze eine hohe Leistungsbereitschaft voraus und dulde keine «Nichtleistung».
3. Meine Mitarbeiterführung ist geprägt von Vertrauen und Ehrlichkeit, von gegenseitigem Respekt und Hochachtung. Meine Botschaften sind berechenbar und glaubwürdig.
Zur Person
Alfred Keller (50) bildete sich vom Buchhalter an der Controller-Akademie von Dr. A. Deyhle in München zum Controller weiter und absolvierte danach eine Management-Weiterbildung an der Universität Zürich. Nach fünf Jahren als Berater für Managementfragen und betriebswirtschaftliche Problemstellungen wurde er Finanzchef und Controller eines Geschäftsbereiches bei der Ascom AG. Seit 1991 ist er in der Vigier-Gruppe tätig, u.a. während drei Jahren als PDG einer kleinen Produktionsgesellschaft im Elsass und seit Anfang 2000 als Unternehmensleiter der Creabeton Matériaux AG. Keller ist Vater von zwei schulpflichtigen Kindern und wohnt in Seedorf BE.
Creabeton Matériaux AG: Junges Unternehmen - lange Tradition
Die Creabeton Matériaux AG ist am 1. Januar 2000 durch den Zusammenschluss von vier traditionsreichen Betonwarenherstellern entstanden: Bangerter AG in Lyss, Kanderkies AG in Einigen, Tribeton AG in Müntschemier und BTR Crissier SA in Crissier.
Bereits 1994 hatten diese vier Unternehmen ihre Kompetenzen und Produkte als Partner in dieMarketing- und Verkaufsorganisation Creabeton eingebracht.
Heute werden an den vier Standorten rund 520 Mitarbeitende beschäftigt. Der Umsatz beträgt rund 120 Mio Fr. (2003).
Die Firma gliedert sich in die Sparten Betonwaren (Betonprodukte in Serie für den Tief- und Strassenbau, für den Hochbau, für den Gartenbau und die Umgebungsgestaltung), Elementbau (objektbezogene Spezialanfertigungen für Hochbau, Tief- und Tunnelbau, bei Abwassersanierungen und für Kunst am Bau), Bahnbau (Schwellen, Schotter) und Grubenmaterial (Sand, Kies und Transportbeton, Deponieräume, Recycling).