Man reibt sich die Augen. Auf der Bühne sitzt ein junger Bursche, vielleicht Mitte zwanzig, mit Hipsterbart. Er wird gefragt, was die grösste Gefahr für die Blockchain sei. «Geld macht alles kaputt», sagt er in blumig-britischem Akzent, den Blick nachdenklich über die Köpfe des Publikums hinaus gerichtet. Keine halbe Stunde ist es her, seit er in einer schweren, schwarzen Limousine vorgefahren wurde. Ein grosser Mann im Bodyguard-Look steuerte den Wagen und öffnete ihm die Tür. Der junge Blockchain-Unternehmer führt das Tagesgeschäft eines Start-ups, das eine Kryptowährung herausgibt. Investoren haben ganz offensichtlich viel Geld investiert.
Wer wissen will, welche Firmen mit der Blockchain tatsächlich Geld verdienen, muss an eine der vielen Konferenzen gehen. Zum Beispiel an den CV Summit in Zug. CV steht für Crypto Valley. Der Summit findet zweimal jährlich statt, so gross ist die Nachfrage. An der Konferenz gibt es grob gesagt drei Arten von Menschen: Blockchain-Enthusiasten, die über die Branche und die Chancen plaudern. Etablierte Unternehmer, die sich fragen, ob die Blockchain sie bedroht oder neue Chancen bietet. Und Berater. Nur Letztere verdienen derzeit Geld mit der Blockchain. Zu dieser Gruppe zählen auch die Anwälte. Auf beide sind die Blockchain-Unternehmer angewiesen. In Zug gibt es besonders viele davon.
Die Pioniere
Wenn man Mihai Alisie zuschaut, fühlt man sich an die Tanz-Moves von DJ Bobo erinnert. Der 30-jährige Rumäne gestikuliert heftig mit den Armen, der Gesichtsausdruck immer spitzbübisch. «Es ist grossartig», beginnt er mit leuchtenden Augen. «Ich sitze im Café, und nebenan sprechen zwei Teenager über das Crypto Valley.» Er freut sich, dass ihn endlich ein Journalist zur Entstehung von Ethereum in Zug befragt.
Alisie nahm als Erster den Begriff Crypto Valley in den Mund. In Anlehnung an das kalifornische Silicon Valley, die Wiege der Digitalwirtschaft. Es war im Frühling 2014, er sass mit Vertretern der kantonalen Wirtschaftsförderung in einem Zuger Sitzungszimmer und besprach die Details einer Stiftungsgründung für Ethereum, als ihm dämmerte, dass kein Ort auf der Welt besser wäre für das, was sie hier planten. Ohne Ethereum wäre Zug nicht zum Crypto Valley geworden. Und ohne Zug hätte Ethereum nicht so rasch zum Pionier der Szene heranwachsen können. Das Projekt steht für Blockchain wie kein zweites.
Zug hat Grosses erreicht. Das schmuddelige Briefkastenfirmen-Image wurde weitgehend abgeschüttelt. Inzwischen hat sich der Begriff Crypto Valley ausgedehnt. Man zählt nun auch Zürich und Umgebung dazu. Über 600 Firmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern sind hier aktiv. Sie tüfteln an Blockchain-Infrastrukturen, Protokoll genannt, oder an Anwendungen, die auf diesen Plattformen aufbauen. Die Stimmung ist wunderbar ansteckend. Am CV Summit steht Charles Hoskinson, ein Mitbegründer von Ethereum, mit halb gereckter Faust und schelmischem Lächeln auf der Bühne und verkündet: «In zehn bis fünfzehn Jahren übernehmen wir die Kontrolle.» Mit «wir» meint er nicht Menschen, sondern die Technologie.
Der Hype erlitt ein jähes Ende
Doch die erlitt zuletzt herbe Rückschläge. Erst stürzte der Wert ihrer Leitwährung Bitcoin in einem knappen Jahr um 85 Prozent ab, dann brach der ICO-Markt ein. Tausende Start-ups sammelten mit solchen Initial Coin Offerings Geld ein. Investoren erhielten im Gegenzug Tokens, eine Ersatzwährung, die Firmenanteile oder Gutschriften repräsentiert. Unglücklicherweise entpuppten sich viele Startup-Gründer als Betrüger, die sich mit dem Geld aus dem Staub machten. 78 Prozent aller ICOs waren betrügerisch, wie das Beratungsunternehmen Satis Mitte 2018 in einer Studie ermittelte. Der Hype erlitt ein jähes Ende. Erste Blockchain-Firmen entlassen bereits Personal. Einige sprechen jetzt vom Crypto Winter.
Es gibt Einfacheres zu erklären als die Blockchain. Viele Fürsprecher umgehen die anspruchsvolle Aufgabe mit der Rechtfertigung, dass man gar nicht alles verstehen müsse. Schliesslich könne auch keiner erklären, wie das Internet genau funktioniere, obwohl jeder wisse, was es sei. Ob das hilfreich ist für die Glaubwürdigkeit der neuen Technologie, sei dahingestellt. Was man aber wissen sollte: Die Blockchain baut auf dem Internet auf. Sie wird durch ein Netzwerk an Rechnern möglich, die sich miteinander abstimmen. Der deutsche Blockchain-Experte Julian Hosp hat in seinem kürzlich erschienenen Buch «Blockchain 2.0» versucht, das Prinzip in einem Satz zu erklären: «Eine Blockchain ist eine digitale Datei, in der dieselbe Information von allen Mitgliedern einer Gesellschaft abgespeichert und Updates in regelmässigen Zeitblöcken an die bereits bestehende Information gehängt werden, sodass jeder Teilnehmer die gesamte Information besitzt und sich nicht auf andere verlassen muss.»
Das führe dazu, dass viele Datenbanken, die heute zentral verwaltet werden, dezentralisiert würden. Der grosse Vorteil: Zahlreiche Dienstleistungen können deutlich günstiger angeboten werden, weil die Gebühren für Intermediäre wegfallen oder massiv schrumpfen. Die vielversprechendsten Einsatzgebiete sind dort, wo Geld transferiert wird (Zahlungsverkehr), Besitzstand gesichert werden muss (Grundbücher) oder Daten sicher erhoben und übermittelt werden müssen (Versorgungsketten im Handel).
Noch gibt es keine tauglichen und skalierbaren Anwendungen. Und die Nachteile wie der horrende Energieverbrauch beim Schöpfen von Kryptowährungen oder die lange Wartezeit bei der Datenübermittlung sind noch zu gross. «In den nächsten 24 Monaten werden die ersten brauchbaren Anwendungen kommen. Das ist mein Bauchgefühl», sagt Cédric Waldburger (30), Product Manager beim Zuger Blockchain-Start-up Dfinity.
Alisie agiert aus dem Schatten der Lichtgestalt: Vitalik Buterin. Das 24-jährige russisch-kanadische Wunderkind wird von Blockchain-Evangelisten ernsthaft als ausserirdisches Wesen betrachtet. Ein digitaler Prophet, der die Welt von den Zwängen des Amtsschimmels lösen und eine Welt ohne Megakonzerne und Abzockergebühren schaffen wird. «Wir hatten zwei Jahre lang gechattet, bis wir uns Ende 2013 endlich in Spanien trafen», erzählt Alisie. Zu diesem Zeitpunkt war Blockchain noch kein gängiger Begriff. Alle sprachen von der verheissungsvollen Kryptowährung Bitcoin und ihrem Erfinder Satoshi Nakamoto – einem Pseudonym.
Buterin und Alisie hatten 2011 das «Bitcoin Magazine» gegründet. Das Ziel ihres monatlich erscheinenden Printprodukts war es, den Bitcoin-Pionieren näher zu kommen. Die wichtigsten Protagonisten der Szene tauschten sich in Onlineforen aus. Buterin besuchte viele von ihnen auf der ganzen Welt und verfasste schliesslich ein White Paper für Ethereum. Darin beschrieb er die technische Umsetzung seiner Vision eines gerechteren Kapitalismus, in dem rein digitale Firmen möglich sind, die ohne Menschenhand Transaktionen ausführen. Möglich wird dies durch ein Netzwerk von Rechnern, die durch ihre Vielzahl verhindern, dass Daten verändert oder gelöscht werden können. Buterin schuf das Konzept einer dezentralen Plattform, auf der, gestützt durch die eigene Kryptowährung Ether, unzählige Applikationen möglich sein werden. Von Versicherungsabschlüssen über Finanzkonstrukte bis hin zu digitalen Grundbüchern. Nun sprachen alle von der Blockchain.
Dezentral: Genial
Im Januar 2014 macht sich das inzwischen mehrköpfige Ethereum-Team – mit dabei auch ein früherer Golmann-Sachs-Manager – auf die Suche nach einem Standort für die Firma. Alisie checkte die Schweiz ab, den «etablierten Finanzplatz», und überzeugte seine Mitstreiter mit guten Argumenten: geografisch optimal gelegen, wirtschaftsfreundliche Gesetzgebung, einfache Kapitalbeschaffung und, was Blockchain-Evangelisten besonders schmeichelt, ein dezentral organisierter Staat. «Jeder darf bei der Gesetzgebung mitreden», sagt ein Panel-Teilnehmer am CV Summit. «Grossartig.»
«Das sind so junge Leute, die haben etwas Interessantes. Wär gut, wenn du denen helfen könntest.» Herbert Sterchi erzählt nüchtern, detailliert und nicht ohne Nostalgie vom Anruf, den er damals erhielt. Am anderen Ende war Johann Gevers, ein südafrikanisch-kanadischer Unternehmer, der im Jahr zuvor seine Firma Monetas von Vancouver nach Zug transferiert hatte.
Sterchi, der bis heute rund 50 Blockchain-Start-ups in Steuer- und Finanzierungsfragen beraten hat, hatte Gevers damals bei der Ansiedlung in Zug geholfen und sollte das Gleiche bei Mihai Alisie und Ethereum tun. «Ich habe das White Paper von Vitalik gelesen, aber nichts verstanden», räumt der 58-Jährige ein. Das disruptive Potenzial dieser Technologie las der erfahrene Manager und Finanzexperte jedoch aus den Blicken dieser motivierten Truppe heraus.
«In zehn bis fünfzehn Jahren übernehmen wir die Kontrolle.»
Charles Hoskinson, Mitgründer Ethereum
Als diese aus ihrer Airbnb-Wohnung rausmusste, brachte Sterchi sie gar als Übergangslösung für ein paar Wochen in seiner Luzerner Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung unter. «Einer kochte, der andere codierte, der Dritte schlief, und einer gab einem kalifornischen TV-Sender ein Interview», erinnert er sich. Von anderen Zeitzeugen hört man, dass sie sich oft in den Haaren gelegen hätten. Am Pionierteam zeigte sich eine der Schwachstellen der Technologie: ein riesiges Konfliktpotenzial. Die Blockchain lässt sich in allzu vielen Versionen ausgestalten. Unterschiedlichste Vorstellungen treffen aufeinander. Zwischen den Bitcoin-Entwicklern und jenen der abgespaltenen Währung Bitcoin Cash ist gar ein Krieg ausgebrochen.
Ähnlich war es bei Gevers. Anfang 2018 zerstritt er sich mit den US-amerikanischen Gründern der Tezos-Stiftung, die ihn als Präsident eingesetzt hatten. Gevers blockierte die über das ICO gesammelten 230 Millionen Dollar, weil er fundamental anderer Meinung war über die Ausrichtung des Blockchain-Protokolls. Frustrierte Tezos-Investoren sprachen plötzlich vom «Klepto-Valley». Im Februar verliess Gevers die Stiftung.
Erfolgreicher waren seine Schützlinge von Ethereum. Heute sind diese wieder auf der ganzen Welt verstreut. Einige aus der Anfangszeit haben neue Firmen gegründet. Vitalik Buterin ist nach Singapur gezogen. Dafür wurden Zug und Zürich von neuen Blockchain-Entwicklern überflutet. «Johann Gevers und die Ethereum-Leute sind die Pioniere, die alle anderen angezogen haben», sagt Sterchi.
Zug hat schnell geschaltet und viel unternommen, damit die neue Tech-Arbeiterschaft aus aller Welt ungestört die Welt verändern kann. Stadtpräsident Dolfi Müller und Regierungsrat Heinz Tännler haben sie mit offenen Armen empfangen. Anmeldungen und Stiftungsgründungen werden rasch und unkompliziert abgewickelt, man unterstützt die Ankömmlinge beim Beantragen von Drittstaatenvisa und lässt sie Verwaltungsdienstleistungen mit Bitcoin bezahlen. Einzig bei den Banken stossen sie auf Ablehnung. Noch heute gewährt fast keine Bank den Blockchain-Firmen ein Konto. Risiko zu hoch, heisst es.
Die Finma wiederum legte im Februar 2018 als weltweit erste Finanzmarktaufsicht eine Wegleitung vor, wie sie ICOs finanzmarktrechtlich behandelt. Nach Ansicht vieler Beteiligter eine sehr Technologie- affine Auslegung. «Die Finma hat einen Superjob gemacht», schwärmt Tech-Investor Philipp Stauffer. «Die Token-Guidelines wurden weltweit gelesen. Das schafft Vertrauen.» Stauffer muss es wissen. Der gebürtige Winterthurer lebt im Silicon Valley und investiert seit 15 Jahren in Start-ups.
Glaubwürdige Stiftung
Die Tech-Welle beschert Beratern und Anwälten ein Riesengeschäft. Sie helfen beim Aufbau der Firma, bereiten ICOs vor und gründen für sie Stiftungen. 2017 wuchs die Anzahl Stiftungen im Kanton Zug netto um 15 Prozent. In keinem anderen Kanton gabs nur annähernd so viele Neugründungen. Bis Ende des Jahres zählt Zug rund 40 Krypto-Stiftungen. Die wichtigsten neben Ethereum sind Dfinity, Tezos, Cardano und Lisk.
«Die Stiftung eignet sich bestens für Blockchain-Start-ups, die Protokolle entwickeln», sagt Thomas Linder, Steuerexperte und Partner in der Zuger Kanzlei MME. «Der einzige Stiftungszweck, die Finanzierung der Entwicklung und des langfristigen Unterhalts des Protokolls, kann nur sehr schwer verändert werden. Das schafft Vertrauen, besonders in Bezug auf dezentrale Netzwerke.» Zwar sind die Krypto-Stiftungen nicht steuerbefreit, weil der gemeinnützige Charakter fehlt, dafür trumpft Zug bei den Gewinn- und Vermögenssteuern auf, wo der Kanton noch immer ein paar Prozentpunkte tiefer ist als die meisten anderen.
«Es lässt sich digital alles abbilden. Die Frage ist, ob es auch rechtlich wirksam ist.»
Thomas Linder, Krypto-Anwalt
Linder und MME haben 2014 Ethereum zum ersten ICO überhaupt verholfen, was zu einem Anfrage-Tsunami führte. Der Peak wurde 2017 erreicht: «Wir hatten 700 Anfragen und mussten eine Mitarbeiterin anstellen, die sich nur mit der Projektevaluation befasste», erzählt Linder. Schliesslich wickelte die Kanzlei rund 150 Projekte ab, darunter die meisten der grossen Zuger ICOs. Mit dem ICO-Einbruch im Sommer 2018 gingen auch die Anfragen auf die Hälfte zurück.
Linder sitzt am Puls der Rechtsentwicklung. Nachdem Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann vor einem Jahr die «Crypto Nation» ausgerufen hatte, stürzten sich die Bundesverwaltung und externe Juristen in den Paragrafendschungel, um Gesetzesanpassungen für die kommende Blockchain-Revolution vorzubereiten. «Mit der neuen Technologie lässt sich digital fast alles abbilden. Die Frage ist nur, ob es auch rechtlich wirksam ist», sagt Linder, der in der Community auch als Crypto Tax Lawyer bezeichnet wird. Lässt sich etwa eine Unterschrift durch einen Transaktionseintrag auf der Blockchain ersetzen? Beim Bund laufen diverse Vernehmlassungen zu diesen Fragen.
«Kommt die Besteuerung, kann die Hälfte der Jungfirmen hier dichtmachen.»
Mona El Isa, Gründerin Melonport
Was aber die meisten Start-ups umtreibt: Wird auf Transaktionen von Kryptowährungen bald Mehrwertsteuer erhoben? In Bundesbern ist diese Frage noch nicht geklärt. «Wenn das kommt, kann die Hälfte der Jungfirmen hier dichtmachen», warnt Mona El Isa. Die ehemalige Goldmann-Sachs-Traderin sitzt aufrecht, die Unterarme auf die Knie gestützt, in der Lobby des Zuger Parkhotels. Ihrer Firma Melonport, die im Hotel eingemietet ist, wird eine grosse Zukunft vorausgesagt.
Die Blockchain-basierte Plattform soll es bald jedem ermöglichen, für wenig Geld einen eigenen Hedge Fund aufzusetzen. Die 35-Jährige versprüht eine grosse Portion Ehrgeiz. Sie spüre einen «Vertretungsmangel» im Crypto Valley, sagt sie. Dabei gibt es erstaunlich viele Verbände und Vereine: Crypto Valley Association, Bitcoin Association, Blockchain Switzerland, Swiss Blockchain Federation und noch ein halbes Dutzend mehr.
Machtkampf im Verband
In der Crypto Valley Association (CVA) hat sie gerade einen Machtkampf für sich entschieden. Präsident Oliver Bussmann und drei weitere Vorstandsmitglieder traten Ende November zurück. Bussmann, der auch als Investor agiert, wurden Interessenskonflikte vorgeworfen. Im September wählte der Verband zwei junge Frauen ins Gremium, darunter Melonport-Technologiechefin Jenna Zenk als Stellvertreterin von El Isa. Dem Vernehmen nach hatte Bussmann erst geplant, die zwei Sitze mit Männern aus seinem Umfeld zu besetzen, worauf die junge Blockchain-Community mit einer Protestaktion reagierte. Plötzlich standen 43 Frauen zur Wahl, teilweise aus dem Ausland. In einer Sondersitzung pitchten dann 25 der Kandidatinnen vor Ort gegeneinander.
Die Wahl der zwei neuen Vertreterinnen zeigte schliesslich Wirkung, wie Bussmanns Rücktritt zeigt. Die Fronten sind verhärtet: auf der einen Seite die jungen Idealisten, die ohne regulatorische Hürden die technologische Revolution voranbringen wollen; auf der anderen Seite gestandene Berater und Anwälte, denen die Blockchain dazu verhilft, verunsicherten Unternehmen lukrative Consulting-Aufträge zu verkaufen.
«Die Start-ups haben hier eine viel bessere Überlebenschance.»
Oliver Bussmann, Investor und Berater
Bussmann, 52, Ex-Manager beim deutschen Softwareriesen SAP und bei der UBS, ist ein begnadeter Verkäufer. Auch wenige Tage nach seinem Rücktritt aus der CVA schwärmt er in seinem Zuger Büro unbeirrt vom Potenzial: «Die Kapitalbeschaffung hat sich in der Schweiz verbessert, die Start-ups haben eine viel grössere Überlebenschance hier.» Besonders begeistern ihn die Blockchain-Projekte, an denen die Swisscom beteiligt ist. Eines davon ist ein digitaler Handelsplatz für nichtkotierte Firmen und Start-ups. Das sei vielversprechend, gerade wenn die Märkte unter Druck seien. «Viele KMUs haben grossartige Performances, können aber nicht an der Börse gehandelt werden.» Die Plattform nennt sich Daura und ist ein Joint Venture mit MME. Für Blockchain-Evangelisten allerdings widerspricht die Tatsache, dass sie zentral von der Swisscom gesteuert wird, dem dezentralen Grundgedanken der Technologie.
Wenig Überlebende
In einem sind sich Bussmann und die jungen Blockchainer aber einig: Die allermeisten Start-ups werden nicht durchkommen. «Wie nach der Dotcom-Blase dürften nur fünf bis zehn Prozent überleben», prognostiziert er. Genauso tönt es beim Zuger Finanzvorsteher Heinz Tännler, Präsident der Swiss Blockchain Federation: «Es gibt einige schwarze Schafe, und viele werden wohl nicht erfolgreich sein. Wenn am Ende vier bis fünf gute Unternehmen übrig bleiben und Steuern zahlen, hat sich der Aufwand für uns gelohnt.»
Es gibt da eine Gruppe von Blockchain-Enthusiasten, denen das zu pessimistisch klingt. Sie arbeiten für Beratungsunternehmen, Inkubatoren und Investoren. Die Tech-Faszination überragt bei ihnen zeitweise den Business-Aspekt, obwohl ihr eigentliches Ziel darin besteht, Geld aus der Blockchain zu schöpfen. Eine ihrer aktivsten Vertreterinnen ist Isabella Brom. «Was jetzt in der Branche passiert, hat Parallelen zur Dotcom-Blase», sagt die 30-Jährige.
Sie hat beim Beratungsriesen EY drei Jahre lang die Blockchain-Kompetenz aufgebaut und geführt, unterrichtet das Thema an der Hochschule, berät Unternehmen und Start-ups und sitzt im Vorstand der Bitcoin Association. Dass jetzt die Branche einbricht, hat für sie einen durchaus konstruktiven Charakter: «Mit ICOs konnte man plötzlich Firmen aufbauen, ohne Equity abzugeben. Man sprach von ‹Crowdfunding on Steroids›.» Einige Leute in Jungfirmen seien sehr schnell sehr reich geworden. Das habe Nachahmer angezogen. Aber jetzt trenne sich die Spreu vom Weizen.
Die Technologie ist für Brom eine Art Evolution des Internets: Erst wurden Informationen global zugänglich, jetzt folgt der demokratisierte Transfer von Werten. «Wir alle werden Werte digital generieren, abbilden und permanent in Echtzeit mit ihnen agieren können. Das ist eine revolutionäre Krise in der Evolution unseres Werteverständnisses.» Eine der grössten Herausforderungen sei es nun, die Technologie skalierbar zu machen. Für viele ist das nach wie vor die grösste Hürde der Blockchain-Revolution.
«In Zug ist einiges entstanden. Vieles spielt sich jetzt aber in Zürich ab.»
Isabella Brom, Blockchain-Allrounderin
Isabella Brom personifiziert auch die Brücke zwischen Zürich und Zug. Sie hat an beiden Orten gearbeitet. «In Zug ist einiges entstanden. Vieles, vor allem im Finanzbereich, spielt sich jetzt aber in Zürich ab.» Hier sind die Banken, Google, die ETH, das Leben. Immer mehr Start-ups verlegen ihren Sitz hierher. Die Stiftung bleibt derweil in Zug.
Viele Fintech-Vertreter mieteten sich ab April 2018 im Trust Square ein, einem Blockchain-Hub im ehemaligen Sitz der liechtensteinischen VP Bank. Das selbstironische Motto: «Don’t believe the hype!» Auf drei Etagen tüfteln 30 Firmen am vermeintlichen Umsturz des Bankensystems. An einem Anlass auf der Dachterrasse wurde unlängst das Bitcoin-Symbol auf die Fassade der Nationalbank gegenüber projiziert. In den Räumlichkeiten tummeln sich einige Ex-Banker, die darauf abzielen, für viel Geld von einer Grossbank aufgekauft zu werden.
In Zug versucht derweil Mathias Ruch ein Ökosystem aufzubauen, das zwar die ganze Schweiz inklusive Liechtensteins umfasst, seine Zuger Wurzeln aber weiterhin pflegt. Ruch ist CEO des Blockchain-Investors CV VC, früher Lakeside Partners. Er und seine Mitgründer Marco Bumbacher und Ralf Glabischnig haben in zwölf Monaten 1000 Start-ups angeschaut. Rund 20 sollen dereinst in einem Inkubatoren-Programm aufgehen und von einem alten Biogen-Gebäude neben dem Bahnhof Zug aus agieren, CV Labs genannt. «Wir sind jetzt im Tal der Tränen», räumt Ruch ein. «Und es wird wohl noch Blut fliessen.» Aber mit dem Ende des Hypes zeige sich nun, welche Projekte eine hohe Qualität hätten. Institutionelle Anleger, Family Offices und Asset Managers haben sich im Zuger Umfeld aufgestellt und sind bereit, in seriöse Ideen zu investieren. Ruchs Team setzt selber gerade ein Fondskonstrukt auf, das die vielversprechendsten Projekte finanzieren soll.
Die Frage ist nur, ob die Attraktivität des Crypto Valley anhält. Für Regierungsrat Tännler hat das auch mit der Glaubwürdigkeit der Branche zu tun. Erstaunlicherweise distanziert er sich vom Begriff Crypto Valley, der zu sehr mit Bitcoin und Co. assoziiert werde. «Wir setzen auf die Technologie», sagt er. Und seine Rolle sei es, die Geisteshaltung zu verbreiten, dass man in Zug offen für Neues sei. Doch in der Zwischenzeit weibeln Liechtenstein, Malta, Singapur, London und Paris um die Jungfirmen. «Grossbritannien ist sehr interessant», findet Melonport-Gründerin Mona El Isa. «Spannendes Steuerregime.» Um die Infrastruktur für ihr Unternehmen aufzubauen, sei Zug interessant, meint sie. Die nächsten Schritte könne man problemlos auch woanders vollziehen. Dafür hat zum Beispiel Liechtenstein ein eigenes Blockchain-Gesetz eingeführt. Es dient ein bisschen auch als Lockruf fürs Ländle.
«Es ist alles ein Riesenexperiment, das noch richtig schiefgehen könnte.»
Mihai Alisie, Mitgründer Ethereum
Aber erst einmal müssen die Pioniere beweisen, dass die Technologie nicht nur in ihren Köpfen funktioniert. Abgesehen von Finanzdienstleistungen für Kryptowährungen gibt es noch keine etablierte Anwendung. Es wird noch viel codiert, gestritten und investiert. «Es ist alles ein Riesenexperiment, das noch richtig schiefgehen könnte», sagt Mihai Alisie und legt für einmal seinen spitzbübischen Ausdruck ab. «Einige Leute scheinen das zu vergessen.»
Dieser Text erschien in der Januar-Ausgabe 01/2019 der BILANZ.