Kaum war die Pressekonferenz in Stuttgart vorbei, liess sich Daimler-Chef Dieter Zetsche zum Flughafen bringen, um nach Amerika zu fliegen. In der Chrysler-Zentrale in Auburn Hills im Bundesstaat Michigan wollte er den US-Mitarbeitern erklären, warum Chrysler für 5,5 Mrd Euro an den Finanzinvestor Cerberus verkauft wird.
Ist der Verkauf das Ende der «Welt AG»? Zumindest von der «Welt AG», die sich der Ex-Vorstandschef Jürgen Schrempp erträumt hatte. Dieser hatte die Fusion im Mai 1998 zwischen Daimler-Benz und Chrysler auf den Weg gebracht. Schrempp ging davon aus, dass ein Autohersteller langfristig eine gewisse Grösse haben müsse, um unabhängig überleben zu können. Während die «Welt AG» auf der Auto-Seite fehlgeschlagen ist, gelang sie bei den Nutzfahrzeugen: Mit Mercedes-Benz Nutzfahrzeuge, Mitsubishi Fuso in Japan und Freightliner in den USA ist Daimler weltweit vertreten.
Warum scheiterte die Fusion? Die Suche nach Synergien wurde nur zögerlich angegangen. Gemeinsame Fahrzeug-Plattformen von Mercedes-Benz und Chrysler wurden ausgeschlossen; es sollte nur gemeinsame Teile in Bereichen geben, die vom Käufer nicht bemerkt werden. Ebenfalls kritisiert wurde, dass Chrysler der falsche Partner für Daimler war. Regional passten die beiden Hersteller zwar zusammen, doch die US-Marke gilt schon seit Jahrzehnten als äusserst anfällig für Konjunkturschwankungen und hat in der Vergangenheit schon mehrere schwere Krisen durchlebt. Ausserdem fehlte dem Konzern am Ende die Managementkapazität, um die gleichzeitig auftretenden Probleme bewältigen zu können.
Die künftige Daimler AG hält 19,9% der Anteile an Chrysler. Mercedes-Benz soll nach den Vorstellungen des DaimlerChrysler-Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche auch künftig davon profitieren, dass die Stuttgarter gemeinsam mit Chrysler verschiedene Teile einkaufen, im Vertrieb und bei Finanzdienstleistungen kooperieren sowie konventionelle und alternative Antriebe gemeinsam entwickeln sowie Motoren an Chrysler liefern. Ob Chrysler und Mercedes-Benz auch künftig Vorteile aus der gemeinsamen Verwertung technischer Neuerungen ziehen können, die zuerst Mercedes-Benz und später Chrysler zugutekommen, ist offen.
Ist der Verkauf ein gutes Geschäft für Daimler? Der Verkauf von Chrysler gleicht für Daimler einem Nullsummenspiel, da man zwar Geld bekommt, sich damit aber gleichzeitig aus den Verpflichtungen bei Chrysler herauskauft. Der US-Finanzinvestor Cerberus zahlt 5,5 Mrd Euro für 80,1% der Chrysler Group. Von den 5,5 Mrd Euro, die Cerberus bezahlt, fliessen 4,5 Mrd Euro zurück an Chrysler, um die Eigenkapitalbasis zu stärken. Daimler wiederum gewährt ein Darlehen und übernimmt Vorfälligkeitsentschädigungen, was in der Summe noch einmal knapp 1 Mrd Euro ausmacht. Für Daimler bleibt unter dem Strich ein Verlust von 500 Mio Euro, weil der Konzern Beratungs- und sonstige Kosten tragen muss. Mit dem Verkauf entledigt sich Daimler aber der Verpflichtungen für Pensionen und Gesundheitsfürsorge von knapp 14 Mrd Euro.
Wer ist Cerberus? Lange wurde spekuliert, dass Chrysler an einen strategischen Partner geht, etwa an den Autozulieferer Magna. Dass jetzt Cerberus den Zuschlag erhält, ist überraschend. Aber offensichtlich hat letztlich der Preis den Ausschlag gegeben. Cerberus, benannt nach dem Höllenhund in der griechischen Sage, ist eine US-amerikanische Private-Equity-Gesellschaft. 1992 von Stephen Feinberg gegründet, gehört das Unternehmen zu den Top fünf der weltweiten Private-Equity-Branche. Bis heute wurden 25 Mrd Dollar in mehr als 300 Unternehmen investiert. Aktuell verwaltet die Gesellschaft knapp 13 Mrd Dollar an Vermögen, vor allem von Pensionsstiftungen und wohlhabenden Privatpersonen.
Warum ist der Verkauf an Magna gescheitert? Noch Ende vergangener Woche deutete alles darauf hin, dass der kanadische Autozulieferer Magna den Zuschlag für Chrysler erhalten würde. Nach den Worten von Konzernchef Dieter Zetsche war das Angebot von Cerberus jedoch bei den fünf wesentlichen Punkten – nachhaltiger Zukunftserfolg von Chrysler, Reduzierung von Risiken für Daimler, Sicherheit der Transaktion, Geschwindigkeit der Umsetzung sowie Wert der Transaktion – besser als das von Magna.
Was geschieht mit Konzernchef Dieter Zetsche? Dieter Zetsche war der Retter von Chrysler und hat eine emotionale Bindung zu der US-Marke. In seiner Zeit zwischen den Jahren 2000 und 2005 schloss er bei der amerikanischen Industrie-Ikone mehrere Fabriken, baute zehntausende Stellen ab, brachte aber auch zahlreiche neue Modelle auf den Weg. Trotz des Stellenabbaus genoss er das Vertrauen der Chrysler-Beschäftigten. Nach der Trennung von Chrysler muss sich Zetsche nun beweisen.
Was wird aus der künftigen Daimler AG? Durch den Verkauf von Chrysler ist Daimler nun wieder auf einen Hersteller luxuriöser Automobile reduziert. Die Mercedes Car Group mit den Marken Mercedes-Benz und Maybach verkaufte im vergangenen Jahr 1,25 Mio Autos. Die Grössenvorteile beim Einkauf oder der Forschung und Entwicklung, die man zunächst durch die Fusion mit Chrysler erzielen wollte, lassen sich künftig auch durch weitere Kooperationen mit anderen Herstellern erreichen.
Welche Chancen hat Chrysler? Der drittgrösste Autobauer der USA geht schwierigen Zeiten entgegen. Der US-Finanzinvestor Cerberus, der einen weiteren Stellenabbau ausschliesst, wird voraussichtlich versuchen, Chrysler internationaler aufzustellen und den Konzern unabhängiger vom US-Markt zu machen. Gleichzeitig wird Cerberus sich wohl darum bemühen, weitere Partner für Chrysler zu finden. Nach eigenem Bekunden will sich Cerberus langfristig bei Chrysler engagieren.