Bilanz: Herr Zetsche, müssen wir uns Sorgen um den Stern machen?
Dieter Zetsche: Ganz sicher nicht. Wir hatten im ersten Halbjahr 2008 Rekordergebnisse. Dann kam die Krise. Deshalb stehen wir heute nicht da, wo wir ursprünglich stehen wollten. Wir sind aber wieder auf einem guten Entwicklungspfad. Wir nahmen einige entscheidende Weichenstellungen für die Zukunft vor. Wir haben einen arabischen Investor als neuen Grossaktionär gewonnen und uns mit neuen Beteiligungen, zum Beispiel am Elektroautobauer Tesla oder an dem russischen Weltmarktführer für Lastwagen, Kamaz, auf die Zukunft ausgerichtet.
Uns liegen Prognosen vor, wonach Audi Mercedes im kommenden Jahr weltweit beim Absatz überholt. Das sorgt Sie nicht?
Spekulieren wir nicht über die Zukunft, wir sind bei Mercedes-Benz auf einem guten Weg.
Und auch keine Angst vor Porsche? Ihr kleiner Nachbar aus Zuffenhausen hat nach der Übernahme Zugriff auf günstige VW-Technik und kann Daimler damit immer gefährlicher werden.
Die Grössenvorteile von VW sehe ich vor allem unterhalb unserer C-Klasse. Hier hat der VW-Konzern einen gewissen Vorteil. Da müssen wir uns überlegen, was wir dagegenstellen können. Eine Antwort ist die Ausweitung der Stückzahlen unserer Kompaktwagen in den Werken in Rastatt und in dem neuen Werk in Ungarn, eine weitere Option ist die Kooperation mit anderen Herstellern.
Im August arbeiteten mehr als 40 000 Ihrer Leute kurz, viele davon schon seit Januar. Wie lange kann Daimler das durchhalten?
Die aktuelle Zahl liegt deutlich unter 30 000. Unabhängig davon ist Kurzarbeit ein taugliches Instrument, um die Kapazitäten an schwächere Märkte anzupassen und die Belastungen für Mitarbeiter in Grenzen zu halten. Aber natürlich ist das kein Dauerzustand.
Während BMW im zweiten Quartal wieder schwarze Zahlen schreiben konnte, fuhr Daimler wie bereits im ersten Quartal einen Verlust in Milliardenhöhe ein. Wie erklären Sie sich das?
Das Premiumsegment ist von der Krise am stärksten betroffen. Wir haben uns über die zurückliegenden zwei Quartale aber kräftig nach oben entwickelt. Und Sie werden sehen: Das wird so weitergehen. Wir werden unsere Ziele jedenfalls in vollem Umfang erreichen. Genaue Zahlen darf ich natürlich noch nicht nennen. Aber wenn man die Marken Mercedes, BMW und Audi vergleicht, so konnten wir im vergangenen Monat deutlich mehr Fahrzeuge absetzen als die beiden anderen. Wir haben im September rund 7000 Autos mehr verkauft als BMW und 16 000 mehr als Audi.
Die E-Klasse ist ein extrem wichtiges Modell für Daimler. Konzerninsider sagen, der Absatz liege deutlich unter Plan. Woran liegt das?
Trotz Unkenrufen von Wettbewerbern: Die neue E-Klasse läuft gut. Der Absatz im gesamten Segment ist infolge der Krise geringer als früher, deshalb liegen wir, wie Sie sagen, unter dem, was wir vor der Krise geplant haben. Aber im Verhältnis zur Konkurrenz sind unsere Marktanteile hervorragend: In Deutschland zum Beispiel wurden seit Anfang des Jahres mehr E-Klasse-Fahrzeuge verkauft als Audi A6 und 5er-BMW zusammen, unser Marktanteil liegt bei rund 60 Prozent. In Europa haben wir einen Marktanteil von rund 40 Prozent in diesem Segment. Damit haben wir unsere angepeilten Marktanteile überschritten.
Von den Marktanteilen haben Sie doch nichts, wenn die verkauften Stückzahlen so niedrig sind. Besonders schlecht sieht es bei der S-Klasse aus.
Also, wir verkaufen deutlich mehr S-Klassen, als BMW derzeit vom neuen 7er absetzen kann.
Was kein guter Massstab ist, denn auch der 7er-BMW läuft schlecht.
Keine Frage, dieses Jahr lief für die gesamte Automobilindustrie insgesamt schlechter, als sie geplant hatte. Das liegt an der Krise, die keiner vorhersehen konnte.
Stichwort Qualitätsprobleme: Bei der neuen E-Klasse sind offenbar die Injektoren der Dieselmotoren häufig defekt. Wie viele Autos sind betroffen?
Entscheidend ist, dass wir das Injektorenproblem eines bestimmten Motortyps, den wir auch in einigen Modellen der E-Klasse einbauen, schnell erkannt haben und den Kunden umgehend Hilfe zukommen lassen. Wir drosselten deshalb auch die Produktion der Motoren, um mehr Injektoren für den Kundendienst bereitstellen zu können. Natürlich hatten wir den Motor in der Erprobungsphase den üblichen und sehr strengen Mercedes-Qualitätstests unterzogen, das Problem tauchte erst danach durch Umstellungen in der Produktion beim Zulieferer auf, konnte inzwischen aber gelöst werden. Wir werden in Zukunft noch genauer auf die Qualitätsprozesse auch bei unseren Lieferanten schauen.
Bei der B-Klasse rosten nach wenigen Jahren die Türen. Ist das normal?
Wir arbeiten hart daran, die wenigen Qualitätsprobleme abzustellen, die es immer wieder geben kann. Generell sind wir bei der Zuverlässigkeit und der Kundenzufriedenheit heute wieder Spitze in der Branche, das belegen viele unabhängige Studien. So wurden beispielsweise die Werke in Sindelfingen und Bremen als die Werke mit der weltweit besten Qualität ausgezeichnet. Und das gilt auch für den Service: Es gibt kaum einen Werkstättentest, den wir nicht gewinnen. Das hätten wir sicher etwas stärker kommunizieren können. Bei der Werbung haben wir in den letzten drei Jahren vielleicht ein bisschen zu viel gespart.
Wohin geht das Geschäft? Verlieren die Leute in Zeiten des Klimawandels und der Krise die Lust auf grosse, teure Autos?
Der Markt für günstige Autos wächst, und auch der Markt für Premiumautos wächst. Was entfällt, ist die Mitte. Wir gehen deshalb davon aus, dass Premiumfahrzeuge ihren Anteil am Gesamtautomarkt mindestens halten werden.
Die Frage ist doch, wie die Kunden künftig Premium definieren.
Premium heisst aus meiner Sicht, dass auch grosse Autos emissionsarm sein müssen und dass Luxus nicht laut und auffällig, sondern eher stilvoll und zurückgenommen ist. Das sind Aspekte, die wir intensiv diskutieren, und daraus entwickeln wir klare Strategien.
Audi, BMW und Porsche scheinen da schon weiter zu sein. Die hängen Mercedes in Image und Markenstärke zusehends ab.
Wir haben, wie schon gesagt, nach wie vor die wertvollste und stärkste Automobilmarke der Welt. Aber ich räume ein, dass wir bei der Profilierung der Marke noch Potenzial haben. Wir arbeiten intensiv daran.
Wie auch Ihr Konkurrent BMW, der mit seiner Efficient-Dynamics-Spritspartechnik gewaltig punkten konnte.
Tatsächlich war BMW hier eine kurze Zeit besser als wir. Aber wir haben gewaltig aufgeholt und sind im ersten Halbjahr 2009 mit einer Emission von durchschnittlich rund 160 Gramm CO2 pro Kilometer fast gleichauf mit unserem Wettbewerber BMW, der 2008 auf einen Wert von 155 Gramm kam. Wir werden im Übrigen die zukünftigen europäischen Grenzwerte für Emissionen voll erfüllen.
Sie werden also die Grenzwerte bis 2015 schaffen und müssen keine Strafzahlungen an die EU leisten?
Ja.
Viele Kunden kaufen neuerdings eine Stufe kleinere Autos. Schadet Ihnen das nicht, weil Sie mit kleineren Autos ja auch viel weniger Geld verdienen?
Ich sehe vor allem, dass die Kunden Autos wollen, die emissionsarm sind und weniger verbrauchen. Es gibt einen Trend zu kleineren Motoren. Einen generellen Trend zu niedrigeren Modellklassen sehe ich nicht.
Es ist aber unstrittig, dass Firmen kleinere Dienstwagen ordern.
Wenn Firmen hier teilweise kleinere Fahrzeuge ordern, wird das durch
die Nachfrage grösserer Modelle aus Wachstumsregionen wie China wieder ausgeglichen.
Trotzdem müssen Sie die Kosten massiv senken, wollen Sie auch mit kleineren Fahrzeugen Geld verdienen. Wir wissen, dass Sie deshalb mit Toyota und Renault über eine weit reichende Zusammenarbeit reden.
Wie ist der Stand?
Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns nicht dazu äussern, mit wem wir wann sprechen. Aber ich bin mir sicher, dass wir relativ bald ein grundsätzliches Ja oder Nein als Antwort geben können.
Wieso ist die breite Zusammenarbeit mit BMW gescheitert?
Wir sind sehr praktisch und sehr effektiv miteinander unterwegs, zum Beispiel beim Einkauf. Da wird aber nichts Spektakuläres angekündigt werden, sondern wir gehen Schritt für Schritt voran.
Der Absatz der Mercedes-Modelle stagniert seit langem bei rund einer Million Fahrzeuge pro Jahr. Wie wollen Sie da die Milliardeninvestitionen für neue Antriebstechniken stemmen?
Zunächst gehen wir nicht von stagnierenden Absätzen aus. Mercedes hatte vor der Wirtschaftskrise einen Absatz von knapp 1,2 Millionen Autos. Dass wir jetzt wieder bei rund einer Million liegen, ist im Wesentlichen Folge der Wirtschaftskrise, die uns besonders getroffen hat.
Schaffen Sie das ursprüngliche Ziel, bis 2015 auf 1,5 Millionen Fahrzeuge zu wachsen?
Davon gehe ich aus. Letztlich geht es aber um Umsatz und Gewinn. Unsere Investitionen in Forschung und Entwicklung sind vergleichbar mit den Investitionen der anderen grossen Autobauer. Ich mache mir keine Sorgen, dass das nicht ausreichen könnte, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.
Analysten, aber auch Mitarbeiter fragen sich besorgt, wie Daimler angesichts der Verluste der zurückliegenden Quartale schadlos durch den Winter kommt. Bei Sitzungen gibt es nicht einmal mehr Kekse.
(Lacht.) Das stimmt so zwar nicht, aber im Ernst: Wir sparen an allem, was nicht unseren Fahrzeugen zugutekommt. Investitionen etwa, die nicht direkt den Produkten dienen, haben wir teilweise gestrichen. Wir haben uns für dieses Jahr ein Sparvolumen von vier Milliarden Euro vorgenommen und werden dies deutlich überschreiten.
Was heisst «deutlich»?
Die Überschreitung liegt im zweistelligen Prozentbereich. Wir sehen, dass ein Unternehmen wie Daimler trotz Sparprogramm ein immenses Potenzial hat, effizienter zu werden. Das heisst, wir werden das bestehende Sparprogramm forcieren. Danach müssen wir die einmaligen Spareffekte durch Massnahmen ersetzen, die dauerhafte Effizienzgewinne bringen. Dabei geht es dann um strukturelle Veränderungen. Es gibt praktisch keinen Prozess, den wir nicht noch deutlich effizienter machen könnten.
Daimler macht immer noch vieles selbst. Mit einer geringeren Fertigungstiefe könnten Sie viel Geld sparen.
Wir schauen uns das im Einzelfall immer an. Aber es gibt kein grundsätzliches Ziel, die Fertigungstiefe zu verringern. Bei den Batterien für Elektrofahrzeuge gilt sogar das Gegenteil: Wir werden diese, im Unterschied zu vielen Wettbewerbern, selber produzieren, weil wir die Batterien für eine Schlüsseltechnologie halten.
Wird die neue C-Klasse aus Kostengründen womöglich nicht mehr in
Sindelfingen gebaut, sondern in Bremen und den USA?
Wir müssen uns grundsätzlich bei jeder Neuauflage eines Modells fragen, wo wir es am kostengünstigsten produzieren können. Aktuell diskutieren wir dies für die C-Klasse. Es gibt aber noch keine Ergebnisse.
Brauchen Sie Ihr neues Werk in Ungarn überhaupt noch?
Absolut. Mit den Nachfolgern der A- und der B-Klasse werden wir vier sehr unterschiedliche Kompaktwagen haben, die wir nicht allein in Rastatt produzieren können. Hier werden sich Rastatt und Ungarn sehr gut ergänzen, so wie sich auch die Buswerke in Mannheim, Ulm und der Türkei sehr gut ergänzen.
Immer mehr Daimler-Manager fragen sich: Was kann Zetsche, ausser zu sparen? Sie vermissen einen Entwurf für die Zukunft. Was sagen Sie denen?
Es gibt ein klares Konzept für die Zukunft, und dies setzen wir konsequent um. Wir haben vor, profitabel zu wachsen und von den Kunden als weltweit begehrenswertester Anbieter von Premiumfahrzeugen betrachtet zu werden. Daran arbeiten wir hart.
Kürzlich schrieb eine Zeitung: «Mercedes-Manager mobben Zetsche.» Was haben Sie gedacht, als Sie das gelesen haben?
Dass das nicht die Realität ist, die ich im Unternehmen erlebe. Natürlich hat die Motivation in jedem Unternehmen während der Krise gelitten. Auch wir mussten uns zusammenraufen. Am Ende des Tages ist der wirtschaftliche Erfolg die beste Motivation für die Mitarbeiter, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir diese Erfolge sehen werden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass bei uns die besten Leute der Branche arbeiten.
Ihr Vertrag läuft in rund einem Jahr aus. Werden Sie weitermachen?
Das entscheiden der Aufsichtsrat und ich, wenn der Zeitpunkt gekommen ist.
Was der Aufsichtsrat will, muss sich zeigen. Aber welche Pläne haben Sie selbst?
Mir macht mein Job grossen Spass, und für einen anderen interessiere ich mich nicht.
Dieter Zetsche (56) verbrachte seine gesamte Karriere bei Daimler. Der promovierte Ingenieur war Entwickler, Geschäftsführer in Brasilien und Argentinien und Daimler-Vertriebsvorstand. 2000 wurde er Chrysler-Chef, Anfang 2006 CEO von Daimler.