Die Durchsetzungsinitiative ist gescheitert. 58,9 Prozent der Stimmenden lehnten das Volksbegehren am Sonntag ab. Nur sechs Kantone stimmten der Initiative zu: Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Appenzell Innerrhoden und das Tessin, das mit über 68 Prozent am deutlichsten Ja sagte. Am klarsten wurde die Vorlage im Kanton Basel-Stadt abgelehnt. Dort sprachen sich 70,2 Prozent dagegen aus.

Die Abstimmung hatte die Massen bewegt: 63,1 Prozent der Schweizer gaben ihre Stimme ab – so stark hatte keine Vorlage seit 1992 mehr mobilisiert, als über den EWR-Beitritt abgestimmt wurde. Grund für die hohe Mobilisierung dürfte der Schulterschluss von Parteien, Justiz, Wirtschaft, Medien und Kulturschaffenden sein, die nahezu geschlossen gegen die Initiative auftraten.

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Ansehen der Schweiz als Rechtsstaat

Auserdem hätten die Schweizer das Verhältnis zur EU nicht weiter belasten wollen, meint Economie Suisse-Chefin Monika Rühl. Für sie sei das Ansehen der Schweiz als Rechtsstaat von Bedeutung gewesen. Der Meinung ist auch Migros-Chef Herbert Bolliger: «Es ist ein Ja zum Rechtsstaat, ein Ja zur Europäischen Menschenrechtskonvention und ein Ja zu unserer Verfassung, in der das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren für alle Menschen verankert ist, egal, welchen Pass sie besitzen», sagte er 20 Minuten. Er hatte vor der Abstimmung, wie auch der Coop-Chef Joos-Sutter, gegen die Initiative gekämpft.  

Von verschiedener Seite herrscht Zuversicht, dass die breite Allianz den Schwung mitnehmen könne und auch in Zukunft über «die destruktive SVP-Verhinderungspolitik» gewinnen werde, wie es SP-Präsident Christian Levrat ausdrückte.

Ein Signal für die Zukunft

Nach dem Ja zur Ausschaffungs- und zur Masseneinwanderungsinitiative sei es dieses Mal gelungen, der Bevölkerung die drastischen Konsequenzen solcher Volksinitiativen aufzuzeigen und damit die Mehrheit zu überzeugen, sagte Beat Flach vom überparteilichen bürgerlichen Nein-Komitee. «Dies ist ein Signal, das es zu festigen gilt.»

Justizministerin Simonetta Sommaruga sprach von «einem Zeichen von Reife, von demokratischer Mündigkeit». Das Nein sei ein Bekenntnis zu den Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz - insbesondere zu den Secondos.

«Sieg der Vernunft über die Angst»

Im Ausland stiess der Entscheid gegen die Durchsetzungsinitative auf breite Zustimmung. Der deutsche «Spiegel» titelte: «Sieg der Vernunft über die Angst» und schrieb, die Abstimmung sei auch ein Signal an Europa: «Trotz des aufgeheizten Klimas in der Flüchtlingsfrage erteilt die Schweizer Bevölkerung einer unverhältnismässig harten, gegen Ausländer gerichteten Initiative eine Absage.»

Europa könne vom Abstimmungsdebakel lernen, schreibt die «Zeit» weiter: «In einer Zeit, in der die EU an der Flüchtlingskrise zu zerbrechen droht, in der gewählte Regierungen ihre Politik häufig am Boulevardgebrüll oder Stammtischradau ausrichten, sie Zäune errichten und Obergrenzen festnageln, weil das Volk das anscheinend so will; in dieser Zeit stemmt sich ein Land gegen den Zeitgeist.» (Weitere Reaktionen der internationalen Medien in der Bildstrecke.)

Edward Snowden ist «stolz auf die Schweiz»

Der deutsche Justizminister Heiko Maas (SPD) liess über Twitter verlauten, die Schweizer hätten eindrucksvoll gezeigt, dass es eben zwischen Stammtischparolen und Volkes Meinung einen Unterschied gebe. Am Abend äusserte sich auch NSA-Enthüller Edward Snowden auf Twitter: Er sei «stolz auf die Schweiz», schrieb er, die direkte Demokratie habe über die Fremdenfeindlichkeit gesiegt.

Blocher: «Wir sind bequem geworden»

Zerknirscht gab sich die erfolgsverwöhnte SVP. Von allen ausländerkritischen Volksbegehren der Partei schnitt nur die Einbürgerungsinitiative im Jahr 2008 noch schlechter ab. Partei-Übervater Christoph Blocher sagte auf dem hauseigenen Fernsehsender Teleblocher selbstkritisch: «Die Mobilisierung bei der SVP war nicht mehr so gut. Wir sind auch bequem geworden.» Partei-Präsident Toni Brunner sprach von «einem in diesem Ausmass noch nie dagewesenen, einseitig geführten Abstimmungskampf».

Trotz des Neins zur Durchsetzungsinitative wird jetzt die vom Parlament beschlossene Umsetzung der Ausschaffungsinitiative in Kraft gesetzt. Diese SVP-Initiative haben Volk und Stände 2010 angenommen. Das Gesetz sieht ebenfalls automatische Landesverweisungen vor, unabhängig von den Umständen des Einzelfalls.

Was passiert nach der Ablehnung?

Nur ausnahmsweise kann darauf verzichtet werden, um einen schweren persönlichen Härtefall zu vermeiden. Trotz Ablehnung der Initiative bekommt die Schweiz also ein scharfes Ausländerrecht, wie auch die «Frankfurter Allgemeine» nüchtern auf seinem Online-Portal anmerkte.

Die Gewerkschaften reagierten prompt auf das Nein zur Durchsetzungsinitative und lancierten nur einen Tag später eine Einbürgerungsoffensive. Secondos und Secondas ohne Schweizer Pass werden aufgefordert, sich einbürgern zu lassen, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Für die Menschen in der Schweiz ohne Schweizer Pass sei die Lage auch ohne Durchsetzungsinitiative ungemütlich, gab der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) bekannt.

(mit Material der sda)