Fünfziger-Jahre-Architektur in der Innenstadt, eine unübersehbare Drogenszene rund um den Hauptbahnhof und ein saures Nationalgetränk namens Apfelwein – für Neuankömmlinge bietet Frankfurt erst einmal wenig Herzerwärmendes.

Die deutsche Finanzmetropole hat beim Werben um Brexit-Zuzügler ein grosses Image-Problem. Denn schliesslich kommt es auch für Banker auf den «Wohlfühlfaktor» an. Geldhäuser wollen auf dem Weg nach Frankfurt schliesslich nicht einen Grossteil ihrer Händler und Controller verlieren. Deshalb zählen bei der Wahl des «Brexit-Exils» in der EU nicht nur der nahe Flughafen, niedrige Büromieten und aufgeschlossene Bankenaufseher, sondern auch internationale Schulen, Museen – und Parkplätze.

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Hohe Lebensqualität

«Man hört immer wieder, dass Frankfurt für Weltbürger nicht attraktiv ist, weil es zu provinziell und klein ist», sagt Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands. Auch Anshu Jain sei skeptisch gewesen, als er nach seiner Beförderung zum Deutsche-Bank -Chef mehr Zeit in Frankfurt verbringen musste. «Als er dann hier war, war er positiv überrascht», berichtet der in Berlin lebende Kemmer. Auch Jains Nachfolger, der Brite John Cryan, fühle sich in Frankfurt wohl.

Die Stadt sei besser als ihr Ruf. In der Rangliste der Städte mit der höchsten Lebensqualität der Unternehmensberatung Mercer lag Frankfurt 2016 europaweit auf Platz sieben – London auf Rang 39, zwei Plätze hinter Paris.

Viele Vorteile

Objektiv spricht im Wettbewerb der europäischen Finanzmetropolen viel für Frankfurt. Die Bankenaufsicht der EZB ist am Main angesiedelt, die deutsche Wirtschaft ist stabil, und die einzige deutsche Skyline kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stadt im Vergleich zu London oder Paris klein ist. Man komme in Frankfurt schnell von A nach B und müsse sich anders als in London morgens nicht in eine überfüllte U-Bahn quetschen, sagt Kemmer.

Die Spitzenmiete für Büros im Bankenviertel liegt mit 39 Euro bei nicht einmal einem Drittel des Londoner Niveaus und noch ein Viertel unter dem in Dublin. «In Frankfurt stehen 1,5 Millionen Quadratmeter Gewerbefläche frei, die Hälfte davon sind moderner Standard», sagt Jose Martinez, Geschäftsführer des Maklerhauses BNP Paribas Real Estate. «Man rechnet mit 20 Quadratmetern pro Person. Platz gibt es also genug.»

Billig wohnen und trinken

Die Wohnungsmieten sind in den vergangenen Jahren zwar kräftig gestiegen, sie sind nach Daten von Thomson Reuters mit 1544 Euro für eine 84-Quadratmeter-Wohnung aber nur gut halb so hoch wie in LondonParis ist dagegen fast so teuer wie die britische Metropole. Auch ein grosses Glas Bier ist am Main mit 3,43 Euro deutlich billiger als in Amsterdam, Dublin oder Paris.

Doch Londoner Banker haben auch Familie, sie wollen abends ausgehen und am Wochenende ins Umland fahren. «Weiche Faktoren spielen für Londoner Banken bei der Suche nach alternativen Standorten eine grosse Rolle», sagt der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) im Gespräch mit Reuters. «Frankfurt kann hier mit seiner guten Infrastruktur punkten, aber natürlich gibt es auch Herausforderungen.» Um die zu bewältigen, haben sich die Stadt, die Region Rhein-Main und das Land Hessen zusammengetan, auch wenn es noch manchmal knirscht zwischen den Behörden.

Druck auf die Mieten

Die 13 internationalen Schulen in und um Frankfurt reichen bei weitem nicht aus, um die Kinder 20'000 englischsprachiger Bankern zu unterrichten. «Die arbeiten schon jetzt mit Wartelisten», räumt Hubertus Väth ein, der als Geschäftsführer von Frankfurt Main Finance unermüdlich um Brexit-Flüchtlinge wirbt. Doch die Landesregierung habe zugesagt, dass sich die Kapazitäten der Privatschulen binnen zwei Jahren um 50 Prozent aufstocken liessen.

«Schulgeld ist kein Problem. Die Londoner sind das ja gewohnt – für die ist das noch billig hier», betont Väth. «Ich bin zuversichtlich, dass es keinen Engpass geben wird», sagt auch Finanzminister Schäfer. Schliesslich zahlten die Banker auch Steuern, mit denen sich neue Schulen bauen liessen.

Ein Wohnungsproblem hätten eher die Einheimischen, wenn die Banker kommen. «Ein Investmentbanker konkurriert zwar nicht mit jemandem, der eine Sozialwohnung sucht. Aber die Sorge, dass Normalverdiener mit steigenden Mieten in Frankfurt überfordert sein könnten, muss man ernst nehmen», sagt Schäfer.

Wohin mit den Zuzügern?

Frankfurt wächst derzeit um 15'000 bis 20'000 Einwohner pro Jahr. «Bei einem Zuzug von 30'000 Menschen in sehr kurzer Zeit hätte Frankfurt durchaus ein Kapazitätsproblem», sagt der Minister. Den Zustrom müssten auch die Gemeinden im Speckgürtel aufnehmen und Wohngebiete ausweisen. «Schliesslich ziehen auch unabhängig vom Brexit immer mehr Leute in die Ballungsräume.» Manche Experten haben jedoch Zweifel, ob Banker wirklich an den Taunus-Rand nach Kelkheim und Hofheim ziehen wollen, wo gerade Baugebiete geschaffen werden. Und in Frankfurt klagt mancher Spitzenmanager, dass die Zahl der erlaubten Autostellplätze auf dem eigenen Grundstück begrenzt ist.

Nicht alle sind so kritisch, wie Lucia Puttrich, Hessens Ministerin für Bundes- und Europa-Angelegenheiten berichtet. Frankfurt sei ein «hidden treasure», ein verborgener Schatz, habe ihr ein am Main lebender Engländer vorgeschwärmt. Aber die Region stelle ihr Licht unter den Scheffel. Ziele wie Heidelberg oder Wiesbaden seien für Londoner Verhältnisse um die Ecke. «Die Stadt plant jetzt Wochenendtrips zum Schnuppern», sagt Puttrich.

Am schwersten hat es Frankfurt, beim kulturellen Angebot mit den Millionen-Städten London und Paris zu konkurrieren. «Das ist ein Schwachpunkt beim Image», bedauert Väth. Dabei gebe die 700'000-Einwohner-Stadt pro Kopf mehr für Kultur aus als jede andere in Deutschland. Das letzte englischsprachige Kino hat bereits vor Jahren geschlossen. Väth lässt das nicht gelten: «Was ein richtiger Banker ist, der hat ein Heimkino.»

(reuters/jfr/chb)